1. Abstimmungen & Initiativen

Ausschaffungsinitiati​ve: Dornenvoller Weg zum Gegenvorschlag

 

Die Ausschaffungsinitiati​ve ist zwar populär, hat aber massive inhaltliche Mängel. Deshalb hat das Parlament einen überzeugenden direkten Gegenvorschlag ausgearbeitet. Im Nationalrat hat dabei die SP ihre Schlüsselrolle erpresserisch ausgenutzt. Dies hat aber die Parteiführung nicht daran gehindert, sowohl Initiative als auch Gegenvorschlag verantwortungslos einfach abzulehnen.

1) Gründe für einen direkten Gegenentwurf

Die Mehrheit des Parlaments schloss sich der Auffassung des Bundesrats an, wonach die Volksinitiative nicht gegen zwingendes Völkerrecht verstösst und damit gültig ist. Der Initiativtext lässt sich so auslegen, dass niemand in einen Staat ausgeschafft werden muss, in dem ihm Folter oder eine andere Art grausamer und unmenschlicher Behandlung oder Bestrafung droht. Widerspricht eine gemäss der Initiative anzuordnende Ausweisung eines ausländischen Straftäters diesem völkerrechtlich zwingenden „Non-Refoulement-Prin​zip“, besteht ein absolutes Vollzugshindernis.

Der Bundesrat schlug einen indirekten Gegenvorschlag zu dieser Initiative vor, das heisst eine Änderung des Ausländergesetzes. Ein solches Vorgehen ist zwar rechtlich vertretbar. Die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger sollen jedoch die Möglichkeit erhalten, den Text der Ausschaffungsinitiati​ve direkt mit einer alternativen Verfassungsbestimmung​ vergleichen zu können. Daher entschied sich die Mehrheit des Parlaments für einen Gegenentwurf, mit dem die Probleme tatsächlich angegangen werden können. Die berechtigten Anliegen der Initiative werden aufgenommen, ohne dass insbesondere ein Widerspruch zu den Grundwerten der Bundesverfassung oder zum Völkerrecht entsteht.

2) Inhalt des direkten Gegenentwurfs

Nach dem geltenden Recht liegt es im freien Ermessen der Behörden, bei Straftaten von Ausländerinnen und Ausländern die ausländerrechtlichen Bewilligungen zu widerrufen. Der Gegenentwurf entzieht diesen weiten Handlungsspielraum und führt so zu einer einheitlicheren und konsequenteren Praxis der Kantone.

Wird die Ausländerin oder der Ausländer wegen eines Delikts rechtskräftig verurteilt, für welches eine Mindeststrafe von einem Jahr angedroht wird, oder liegt eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren vor, wird das bisherige Ermessen beim Bewilligungsentzug eingeschränkt. Mit dieser Regelung werden – im Gegensatz zur Initiative – Bagatellfälle ausgeschlossen und alle schweren Straftaten werden lückenlos und unabhängig von der Art des Delikts erfasst.

Der Gegenentwurf führt darüber hinaus auch dazu, dass für den Tatbestand der schweren Körperverletzung im Strafgesetzbuch neu ebenfalls eine Mindeststrafe eingeführt werden muss.

Eine besondere Regelung ist bei den Betrugsdelikten in den Bereichen der Sozialhilfe, der Sozialversicherungen,​ der Steuern und der Wirtschaft vorgesehen. Hier soll das Ermessen der Behörden beim Widerruf von ausländerrechtlichen Bewilligungen bereits bei Freiheitsstrafen von mindestens 18 Monaten eingeschränkt werden. Mit Betrügereien insbesondere im Sozialbereich wird die notwendige Solidarität zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen nachhaltig gestört. Das Parlament sieht auch hier eine Regelung vor, die sich an der Schwere des Einzelfalls orientiert.

Gemäss der Ausschaffungsinitiati​ve soll demgegenüber jeder Betrug beim Bezug von Leistungen der Sozialversicherungen oder der Sozialhilfe zu einer Ausweisung führen, selbst wenn es sich um klare Bagatellfälle handelt. Andererseits hätte ein Betrug im wirtschaftlichen oder steuerrechtlichen Bereich keine aufenthaltsrechtliche​n Konsequenzen.

Gemäss dem Gegenentwurf sind ein Entzug des Aufenthaltsrechts und eine Wegweisung ausgeschlossen, wenn dadurch die Grundwerte und die Grundprinzipien der Verfassung und des Völkerrechts verletzt werden.

Eine Verfassungsbestimmung​ über die Ausländerinnen und Ausländer, die sich lediglich zur Wegweisung von straffälligen Personen äussert, wäre nach Auffassung der Parlamentsmehrheit unvollständig. Sie hat daher den Gegenentwurf mit einer neuen Bestimmung über die Integration sinnvoll ergänzt. Zu einer umfassenden Bekämpfung der Kriminalität gehört neben den erforderlichen repressiven Massnahmen auch eine wirksame Prävention. Eine erfolgreiche Integration der in der Schweiz lebenden Ausländerinnen und Ausländer ist die beste Vorsorge gegen Straftaten.

3) Die Vorlage der Initianten

Die Ausschaffungsinitiati​ve hat gravierende Mängel. So enthält sie eine unvollständige und zufällige Aufzählung von mehr oder weniger schweren Straftatbeständen, die unabhängig von den Umständen des Einzelfalls zwingend zu einer Ausweisung der ausländischen Täterinnen und Täter führen müssen. Die gleichen Folgen hat auch jeder missbräuchliche Bezug von Leistungen der Sozialversicherungen oder der Sozialhilfe selbst in Bagatellfällen. Die Aufzählung der Straftatbestände könnte der Gesetzgeber nach dem Wortlaut der Initiative zwar noch irgendwie ergänzen, nicht aber kürzen.

Zudem missachtet die Initiative Grundsätze unserer Verfassung sowie wichtige – nicht zwingende – völkerrechtliche Verpflichtungen der Schweiz. Dazu gehören insbesondere der Grundsatz der Verhältnismässigkeit von behördlichen Massnahmen, das Freizügigkeitsabkomme​n mit der EU sowie Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvent​ion (EMRK); sie könnten mit dem in der Initiative vorgesehenen Automatismus bei der Ausweisung nicht mehr in allen Fällen eingehalten werden.

Das Parlament ist sich bewusst, dass die Bekämpfung der Ausländerkriminalität​ ein wichtiges Anliegen der Bevölkerung ist. Dies zeigt sich nicht zuletzt darin, dass die Ausschaffungsinitiati​ve sehr rasch und mit einer grossen Zahl von Unterschriften zu Stande gekommen ist.

Es hat sich mehrheitlich für eine konsequente Lösung entschieden, die keine neuen Rechtsprobleme schafft und die auch tatsächlich umgesetzt werden kann. Die mit einer Annahme der Ausschaffungsinitiati​ve schon absehbaren erheblichen Vollzugsprobleme werden mit dem durchdachten Gegenentwurf vermieden. Leider werden aber mit der Ausschaffungsinitiati​ve – wie schon bei anderen Gelegenheiten – falsche Erwartungen bei den Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern geweckt, die bei einer Annahme der Initiative nicht eingehalten werden könnten.

4) Vernehmlassungsvorsch​lag wirft Fragen auf

Zum Verhältnis zwischen der Initiative und dem Vernehmlassungsvorsch​lag des Bundesrats, die frühere strafrechtliche Landesverweisung wieder einzuführen: Dieser Vorschlag erfolgte auf Grund der nach der Abschaffung insbesondere von den Vollzugsbehörden im Bereich des Strafrechts immer wieder geäusserten Kritik. Ein politischer Zusammenhang mit der Abstimmung über die Ausschaffungsinitiati​ve besteht somit nicht.

Bezüglich der rechtlichen Auswirkungen der Initiative oder des Gegenvorschlags auf eine allfällige Wiedereinführung der Landesverweisung besteht gemäss Nachfrage noch keine gefestigte Meinung beim Bundesamt für Justiz. Es stellt sich die Frage, ob das Ermessen der Strafbehörden beim Erlass der Landesverweisung ebenfalls gemäss der Initiative oder des Gegenvorschlags eingeschränkt werden müsste. Dagegen würde sprechen, dass sich die Initiative ausdrücklich auf die Ausschaffung bez. Ausweisung bezieht (ausländerrechtliche Begriffe) und zu einem Zeitpunkt geschrieben wurde, in dem es keine Landesverweisung mehr gab. Diese Frage wurde noch nicht abschliessend geklärt.

5) Fazit

Im Ständerat waren die Mehrheiten für einen direkten Gegenvorschlag zur Ausschaffungsinitiati​ve immer klar (FDP und CVP). Hingegen war man im Nationalrat für dieses Vorhaben auf die Stimmen der SP angewiesen. Die SP hat denn diese Schlüsselposition auch brutal ausgenutzt und ihre Anliegen im Integrationsbereich mit an Erpressung grenzenden Methoden durchgesetzt. Umso unverständlicher ist nun die Tatsache, dass die SP-Führung unmittelbar nach der Session sowohl die Ablehnung der Initiative als auch des Gegenvorschlags (!) beschlossen hat. Ist das die neue Sachpolitik der SP? Aber die Hoffnung ruht nun nicht ganz unbegründet auf der SP-Basis…

Personen haben auf diesen Beitrag kommentiert.
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Comments to: Ausschaffungsinitiati​ve: Dornenvoller Weg zum Gegenvorschlag
  • Oktober 29, 2010

    Ihre Argumentation ist gut verständlich und auch nachvollziehbar, Herr Büttiker. Vielleicht ist der direkte Gegenentwurf sogar besser. jedoch stimme ich trotzdem für die Initiative und nicht für den Gegenvorschlag. Warum?

    Menschen werden zu Tode geprügelt. Menschen werden zu Tode gefahren. Menschen werden ausgeraubt und ausgenutzt. Ich fühle mich nicht mehr sicher!

    Eine solche Situation ist inakzeptabel. Es muss ein Zeichen gesetzt werden. Mich interessieren weder Probleme im Bezug auf Völkerrecht noch einen lückenhafter Straftatenkatalog, dies ist Sache des Parlaments zu lösen. Mein Votum ist klar: So nicht! Keine Toleranz, keine Diskussion für Menschen mit krimineller Energie.

    Noch etwas zur Integration. Ich bin absolut gegen weitere Integrationsmassnahme​n. Wer sich integrieren will, hat hier ein unglaubliches Angebot. Oder hat Ihnen ein gut integrierter Ausländer jemals etwas anderes bescheinigt?

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  • November 2, 2010

    Das Problem beim Gegenvorschlag liegt im richterlichen Ermessen: Der Richter soll entscheiden, ob jemand ausgeschafft wird oder nicht. Nun sind ja genau die Richter ein Teil des Problems, weshalb im Volk die Ausländerkriminalität​ eine derartige Bedeutung erhalten hat. Auch ich habe kein vertrauen mehr in die Gerichte. Deshalb stimme ich der Initiative zu, auch wenn sie einige Ungenauigkeiten enthält. In ihr steht aber auch, dass der Gesetzgeber (= das Parlament)die Straftatbestände ergänzen kann.

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