1. Gesellschaft

Beschneidungen: Religion und Recht

Am ver­gan­ge­nen Don­ners­tag konnte man davon Zeuge wer­den, wie das Par­la­ment in un­se­rem nördlichen Nach­bar­staat in Panik aus­brach. Dabei ging es nicht etwa dar­um, dass Spa­ni­ens Ban­ken unter den Eu­ro-Ret­tungs­schir​m flüchten und im Ge­gen­zug die Spa­ni­sche Bevölkerung ein Spar­pa­ket auf­ge­zwun­gen be­kommt. Nein, es ging dar­um, dass ein Kölner Ge­richt ent­schie­den hat­te, dass eine religiöse Be­schnei­dung von urteilsunfähigen Kna­ben mit el­ter­li­cher Zu­stim­mung eine unzulässige Körperverletzung dar­stellt. Panik ver­ur­sachte dies des­halb, weil es doch Selt­sam wäre, wenn „ausgerechnet Deutsch­land das erste Land und ein­zige Land auf die­ser Welt sein soll­te, wo die Be­schnei­dung von Juden und Mus­li­men straf­bar sein soll. (Vol­ker Beck).“ Ab­ge­se­hen von der Lin­ken, die of­fen­sicht­lich ihre an­ti-is­rae­li­sche Kli­en­tel zu be­frie­di­gen such­te, war man sich schnell ei­nig, dass dies nicht sein dürfe und man Be­schnei­dun­gen aus Religiösen Gründen er­lau­ben müsse.

Die Argumentation der Parlamentarier lief dabei immer in einem ähnlichen Muster ab. Zuerst versicherte man, dass es hierbei nicht um Genitalverstümmelunge​n bei Mädchen gehe (das Wort Beschneidung wurde in diesem Zusammenhang sogar explizit vermieden) und solche nie und nimmer legal seien dürfen. Dann wurde betont, wie wichtig diese Beschneidung im Islam und im Judentum seien, ja dass sie eines der wichtigsten Gebote überhaupt für diese Religionen darstellen. Dann wurde die Bedeutung der Religionsfreiheit betont und zwar insbesondere, als Freiheit, alles tun zu dürfen zu müssen, was einem die eigene Religion vorschreibt.

Natürli​ch ist diese Argumentation ein Widerspruch in sich, zumindest auf dem Boden der Gleichheit aller Menschen vor dem Recht. Entweder wir interpretieren Religionsfreiheit so, dass Religiöse Riten über dem Gesetz stehen, in welchem Fall man auch Genitalverstümmelunge​n an Mädchen nicht verbieten darf. Oder Religionen haben sich dem geltenden Recht unterzuordnen, und man interpretiert die Religionsfreiheit als ein Schutzrecht dagegen, einer Religion angehören zu müssen oder einer Religion nicht angehören zu dürfen. Dieses „Religion hat Vorrang, aber wir suchen uns aus, wann“ ist einer Demokratie nicht würdig.

Und wenn man genau darüber nachdenkt, ist auch der Gedanke, dass Religion Vorrang vor dem Gesetz haben soll, nicht Praktikabel. Oder wer ist bei meiner neuen Religion dabei, bei der man Rituell mit 160 auf der Autobahn fährt und aus religiöser Überzeugung keine Mehrwertsteuern zahlen darf?

Nein, Religionen müssen sich den Gesetzen unterordnen. Sie mögen ab und an noch alte Gewohnheitsrechte wahrnehmen. Aber sie müssen damit leben, dass sie diese Rechte nicht auf alle Zeit haben, insbesondere dann nicht, wenn sie die Freiheiten anderer Menschen bedrohen. Und so halte ich es auch für ein korrektes Vorgehen, dass auch in der Schweiz erste Kinderspitäler ein Moratorium für religiöse Beschneidungen angesetzt haben. Es bleibt nur zu hoffen, dass das Schweizer Parlament weniger ,vorauseilenden Gehorsam‘ gegenüber Religionsgemeinschaft​en an den Tag legt und sich eine vernünftige Debatte über die Problematik entwickelt.

Quellen:​

– Bundestagssitzung vom Donnerstag 19.7.2012 bei Youtube
– Artikel von tagesanzeiger.ch vom 20.07.2012

Personen haben auf diesen Beitrag kommentiert.
Kommentare anzeigen Hide comments
Comments to: Beschneidungen: Religion und Recht
  • Juli 23, 2012

    Danke für Ihren Blog, Herr Maron. Würde das Wort “Religion” durch “Brauch/Tradition” ersetzen. http://de.wikipedia.o​rg/wiki/Beschneidung_​weiblicher_Genitalien​ / http://de.wikipedia.o​rg/wiki/Zirkumzision . Gleichstellung der Kinder auf körperliche Unversehrtheit finde ich soweit gut. Wobei die Gesundheitlichen Probleme bei Genitalverstümmelunge​n der Frau doch massiv gravierend sein können….. http://desertflowerfo​undation.org/ Wie auch immer die Beschneidung/Verstümm​elung kann auch als Kontrolle über die Sexualität – ev. aus Angst – verstanden werden…. . Gilt also als komplett abzulehnen – es sei denn aus gesundheitlichen Gründen.

    Kommentar melden
  • Juli 25, 2012

    Das religiös begründetes Herumschnipeln an Kindern birreweich ist, muss man nicht weiter diskutieren. Wichtiger fände ich die Frage wie weit Kinder und in welchem Ausmass religiös belastet werden dürfen. Kinder sollten m.E. nicht mit Religion indoktriniert werden.

    Kommentar melden
  • Juli 26, 2012

    Sehr guter Artikel Herr Maron. Religionen geniessen leider immer noch Privilegien, welche die Freiheits- und Persönlichkeitsrechte​ von Menschen einschränken. Dazu gehört neben Beschneidungen und der Einschränkung der Informations- und Meinungsfreiheit auch die Kirchensteuer. Die Kirchensteuer für die Landeskirchen wird vom Staat eingezogen und muss selbst von juristischen Personen bezahlt werden.

    Kommentar melden
    • Dezember 29, 2019

      Der Atheist Kremsner ärgert sich wegen einem “Gutsch Wasser” und meint, es sei Vergewaltigung.
      Er unterschlägt dabei, dass andere Religionen (Judentum, Islam) noch ganz andere Bräuche kennen, welche dann wirklich irreversible Schäden am Menschen hinterlassen (Beschneiden) von denen man dann auch von “Vergewaltigung” sprechen könnte.
      Diese viel schlimmern Bräuche werden aber von den sog. Atheisten und “Freidenkern” verschont und deshalb nicht erwähnt.–

      Dafür ärgern sie sich dann, wegen der Kirchensteuern, welche vor kurzer Zeit auch wieder vom Stimmvolk bestätigt wurden.
      Das Volk will eben gar nicht diese totalitäre “Trennung”!-
      Sonst wäre das Abstimmungsresultat im Kt.Zürich nicht so eindeutig gewesen!–

      Kommentar melden
    • Juli 19, 2021

      Da haben Sie Recht Hr Müller.
      Als Atheist der ich bin (nun ich war Zwangsmitglied der Katholiken; als Säugling auf dem Taufaltar vergewaltigt zum katholischen Glauben). Bin mit 18 Jahren ausgetreten.
      Was sie vergessen haben: Der Inkasso-Aufwand. Die Steuerbehörden treiben für die anerkannten Religionen (in den meisten Kantonen katholisch;reformiert​) die Kirchensteuern ein. Das ist ein Aufwand, die sogenannten Inkasso-Gebühren.
      Ic​h schätze mal dass das schweizweit sicher 50 Millionen oder mehr ausmacht. Geld das der Steuerzahler den anerkannten Religionen schenkt.
      Deshalb: strikte Trennung Kirche-Staat (Laizismus).
      Und Abschaffung der Kirchensteuern für juristische Personen. Ein totaler Unfug. Da eine Firma diese Steuern zahlen muss (gemäss Bundesgericht muss!). Ein absoluter Schwachsinn sowas.
      Laizismus siehe http://de.wikipedia.o​rg/wiki/Laizismus

      Kommentar melden
  • August 15, 2012

    Herr Maron, mit Ihrem Fokus auf die Frage “ob Religion Vorrang vor dem Gesetz haben soll” reden Sie leider komplett am Thema vorbei.
    Es geht in der Sache ja nichtmal um Religion, das Thema wird wohl aber emotional aufgebauscht, weil Religionsgemeinschaft​en betroffen sind.

    Es ist selbstverständlich, dass Religion nicht “Vorrang vor dem Gesetz” hat. Siehe u.a. das Schächtverbot. Worum es hier geht, ist die elterliche Gewalt.
    Natürlich darf sich jeder erwachsene Mann beschneiden lassen, genauso wie er sich tätowieren und piercen lassen darf. Die Frage präsentiert sich als eine der elterlichen Gewalt bzw. Fürsorgepflicht, und wo genau der Staat eingreifen muss, wenn Eltern gegen das Kindeswohl handeln. Der “liberale” Standpunkt ist, dass der Staat das nur im äussersten Notfall dürfen soll, wenn die Grundrechte des Kindes mit Füssen getreten werden. Der radikal antiliberale Standpunkt meint, alle Menschen sind gleich, und müssen deshalb die gleichen Bedingungen erhalten, also sei die elterliche Gewalt abzuschaffen und alle Kinder seien genormt in staatlichen Institutionen zu erzeihen.

    Es überrascht mich nicht im geringsten, hier von einem FDP-Mitglied eine zutiefst antiliberale Meinung zu lesen: Der Staat soll also bereits in elterliche Entscheidungen eingreifen dürfen, wenn es um medizinisch völlig unbedenkliches Brauchtum geht? Etwa, weil das Kleinkind als Jude oder Muslim “gebrandmarkt” wird, und dieses Zeichen später nicht mehr tilgen kann? Bei derart ultra-antiliberalen Auffassungen sowohl von Vormundschaft als auch von Brauchtum kann ich mich nur gruseln. Haben Sie sich schon mal überlegt, dass es aus der Sicht dieser Eltern ein Versagen an den Rechten des Sohnes darstellt, ihn *nicht* durch Beschneidung in die Gemeinschaft aufzunehmen?
    In den Worten von Leon Wieseltier:
    “But [my son] is not only his father’s son, as I was not only my father’s son. We are the sons of a people.”

    Ja, über den richtigen Punkt einer staatlichen Intervention im Interesse des Kindswohles darf man streiten. Zunächst sollte man aber festhalten, dass es dies ist, worüber man streitet, ohne irgendwelche Nebelbomben über “Religion” abzulassen.
    Definitiv bei drohender ernsthafter Verstümmelung: Soll einem Kind die Nase abgeschnitten werden, oder einem Mädchen die Klitoris (oder, in ‘männlicher Analogie’ zur “Mädchenbeschneidung​”, einem Knaben die Eichel) werden Sie sicher eine Mehrheit zugunsten einer Intervention finden.
    Wie ist es mit anderen ersthaft schädigender Behandlung von Kleinkindern? Übermässiger TV-Konsum? Falsche Ernährung, die zu Übergewicht führt? Oder, Gott bewahre, Eltern die rauchen? Soll der Staat da sofort und kompromisslos einschreiten? Erst wenn wir darüber einig sind, können wir zu Intervention bei gesundheitlich unbedenklichem Elternverhalten reden (politische oder religiöse Beeinflussung; mangelnde oder ökonomisch nicht wertvolle Bildung der Eltern, usw.)

    Wenn sie all diesen Eltern die Kinder weggenommen haben, dann dürfen Sie anfangen, über medizinisch *möglicherweise*, aber nicht erwiesenermassen, benigne Eingriffe zu reden:
    “The American Academy of Pediatrics (1999) stated that studies suggest that neonatal circumcision confers some protection from penile cancer, but circumcision at a later age does not seem to confer the same level of protection.”

    Woll​en Sie Beschneidung verbieten, *nur* wenn die Eltern Juden oder Muslime sind, aber zulassen, wenn sich die Eltern auf diese Studie berufen, und das Krebsrisiko ihres Sohnes senken wollen? Dann muss ihre Frage nicht heissen, “soll Religion Vorrang vor dem Gesetz haben”, sondern “soll das Ziel, die Religionen zu schwächen, Vorrang vor dem Gesetz haben”.

    Kommentar melden
    • Juli 19, 2021

      Sehr geehrter Herr Bachmann,

      Also da muss ich gleich von Anfang an mal wiedersprechen. Ich bin der Autor dieses Artikels und was das Thema von dem Artikel sein soll oder nicht, entscheide immer noch ich. Unddas Thema, dass ich gewählt habe, ist die politische Reaktion des Bundestages in Deutschland auf die Feststellung, dass Beschneidungen Illegal sind. Ich stimme ihnen zu, dass Religionsfreiheit bei der Frage der Beschneidung letztlich keine Rolle spielt, bei dieser Reaktion ist das Thema aber sicher wichtig.

      Ich muss ihnen auch stark darin wiedersprechen, dass mein Standpunkt antiliberal ist. Wenn sie meinen Artikel nochmals genau lesen, werden sie feststellen, dass ich darin gar keine Stellung zur Frage ob Beschneidungen verboten sein sollen gemacht habe.

      Wenn wir ehrlich sind, bin ich aber durchaus der Ansicht, dass Beschneidungen illegal sind und bleiben müssen. Ich fordere kein Verbot für Beschneidungen. Ich fordere nur, dass das Gesetz, so wie es heute ist, durchgesetzt wird. Die Mediziner geben selbst zu, dass eine Beschneidung eine Körperverletzung ist und medizinisch nicht notwendig. Körperverletzungen, in die nicht eingewilligt wurden (und die nicht medizinisch zu dem Grad notwendig sind, dass man nach treu und glauben von einer impliziten Einwilligung ausgehen kann) sind verboten. Eine Einwilligung der Eltern für eine Körperverletzung an ihren Kindern ist klar Sittenwidrig, ansonsten hätte man zB. einen Fritzl ja kaum belangen können.

      Ich weiss nicht was sie unter Liberalismus verstehen. Aber dass man im Liberalismus so wenig Staat wie möglich will, ist erst der zweite Satz. Der erste Satz ist: Der Staat muss umbedingt und in jedem Fall die Rechte seiner Bürger schützen, allen voran das Recht auf Freiheit, körperliche Unversehrtheit und Eigentum. Beschneidungen betreffen ganz klar die körperliche Unversehrtheit daher hat ein liberaler Staat nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, hier einzugreifen.

      Elte​rliche Gewalt dagegen wird schon von den ersten liberalen Denkern in der Luft zerrissen. John Lockes zweite Abhandlung über die Regierung ist mehr oder weniger das Manifest des liberalen Gedankenguts. Die erste Abhandlung handelt dagegen fast nur vom Thema, wieso Elterliche Gewalt kein Recht begründen kann. Bei allem Respekt, aber was sie vertreten ist irgendwo zwischen Libertarianismus und Anarchismus.

      Was diese Krebsstudien angeht, kann ich sie auch auf Studien verweisen, welche festgelegt haben, dass beschnittene Menschen ein signifikant weniger erfülltes Sexualleben haben als unbeschnittene Männer. Und für jede studie die sie für einen positiven medizinischen Effekt einer Beschneidungins Feld führen, kann ich eine ins Feld führen, die einen negativen medizinischen Effekt nachweist. Und selbst wenn ich das nicht könnte, haben sie in ihrem Text gerade breit und lange erklärt, dass das Kindeswohl keinen eingriff in die Freiheitsrechte erlaubt. Dem Stimme ich zu. Deshalb ist das Kindeswohl auch kein Argument dafür, eine Beschneidung durchzuführen.

      mfg Lucio Maron

      Kommentar melden

Kommentar schreiben

Neuste Artikel

Bleiben Sie informiert

Neuste Diskussionen

Willkommen bei Vimentis
Werden auch Sie Mitglied der grössten Schweizer Politik Community mit mehr als 200'000 Mitgliedern
Tretten Sie Vimentis bei

Mit der Registierung stimmst du unseren Blogrichtlinien zu