1. Sonstiges

Corona-Krise: Chronologie einer Tragödie

31. De­zem­ber 2019

China informiert offiziell die Weltgesundheitsorgani​sation (WHO) über den Ausbruch des Corona-Virus.

23. Januar 2020

Die 11-Millionenstadt Wuhan wird abgeriegelt, das Betreten und Verlassen völlig verboten. Die Sperre wird bis 8. April dauern.

28. Januar 2020

Das Coronavirus kommt in Italien an. Am Anfang der Infektionskette steht vermutlich ein Unilever-Manager, der in China lebt und zum Heimatbesuch nach Italien kam. Von diesem „Patient 0“ sprang das Virus auf „Patient 1“, einen 38-jährigen Mann. Es ist die erste dokumentierte Ansteckung in Italien und erfolgte bei einem Nachtessen Anfang Februar. Krankheitssymptome traten bei „Patient 1“ aber erst nach drei Wochen auf.

23. Februar 2020

Bis Sonntagabend sind in Italien 150 Personen positiv getestet und die ersten drei Menschen sterben. Ministerpräsident Conte erklärt, eine Aussetzung des freien Personenverkehrs in Europa sei „vollkommen übertrieben“. Oppositionsführer Matteo Salvini betrachtet die Epidemie als Problem mangelnder Grenzsicherung.

Das Eidgenössische Bundesamt für Gesundheit (BAG) erklärt, es handle sich in Norditalien um einen lokal begrenzten Ausbruch. BAG-Koch rät in der Tagesschau SF den Menschen im Tessin, Ruhe zu bewahren. Auch die SBB sehen keine Änderungen vor. Für den grenzüberschreitenden​ Bahnverkehr müssten einheitliche Regelungen gelten.

Die Schweizer Behörden verzichten auf alle Massnahmen an der Grenze im Tessin, wo 68‘000 Personen täglich aus Italien pendeln. Nationalrat Lorenzo Quadri verlangt als Minimalmassnahme, Temperatur-Scanner einzusetzen. Damit würde wenigstens ein Teil der Infizierten am Grenzübertritt gehindert. Das BAG lehnt dies mit dem sinnwidrigen Argument ab, dass so nicht alle Fälle erfasst würden (weil nicht alle Fieber haben).

24. Februar 2020

Gesundheitsminis​ter Alain Berset und BAG-Chef Pascal Strupler (der später völlig abtaucht) geben eine Medienkonferenz:. Der Bevölkerung werden Hygienevorkehrungen wie Händewaschen und Niesen ins Taschentuch oder die Armbeuge nahegelegt. Das BAG macht die verhängnisvolle Aussage, das Cornonavirus sei kaum gefährlicher als eine normale Grippe. Diese Aussage setzt sich in den Köpfen der Bevölkerung fest und wird später das „Social distancing“ enorm erschweren.

NZZ-Inlan​dredaktor Simon Hehli schreibt einen schnoddrigen Kommentar („Kein Grund zur Panik“). Zu den Grenzkontrollen: „Die Nebenwirkungen der Massnahme –etwa lange Wartezeiten an der Grenze – stünden in keinem Verhältnis zum erhofften Nutzen.

BAG-Koch: Informationsmaterial für Grenzgänger*innen muss erst noch gedruckt werden. Er weiss keine Antwort auf die Frage, wie viele Betten es auf Schweizer Intensivstationen gebe. Es hätte gereicht, einem der 599 BAG-Mitarbeitenden irgendwann anfangs Februar den Auftrag zu geben, einmal alle Kantonsärzte anzurufen.

  • Vorhanden​e Schutzmasken: Anzahl völlig ungenügend. Wieder kam das BAG seiner Aufsichtspflicht nicht nach und verordnet jetzt ganz einfach, Schutzmasken seien nicht nötig.
  • Die Testkapazität lag anfangs März bei 1‘000 Tests täglich –für 8,5 Millionen Einwohner*innen! Zudem sah das BAG vor, alle Blutproben mit der Post ans nationale Referenzlabor in Genf zu schicken. Drei Tage Postweg! Es ist absehbar, dass die Phase der individuellen Fallverfolgung (Contact Tracing9 nicht durchgehalten werden kann und durch eine Phase der Mitigation (Milderung) ersetzt werden muss. Mit Selbstisolation sollen Personen sich selber schützen.
  • Fallzahlen:​ Die Fallzahlen spielen eine wichtige Rolle zur Einschätzung der epidemischen Lage. Hier zwingt das BAG die Ärzte zur Benutzung von Faxgeräten eine Methode aus den 70er Jahren. Die Schweiz ist in besonderem Masse von der Krise betroffen. Ende März 2020 hatte sie die höchste Infektionsziffer pro 10‘000 Einwohner*innen weltweit.
  • Beatmungsge​räte: Schätzungsweise sind in der Schweiz insgesamt rund 1‘000 bis 1‘200 Geräte vorhanden. Deutschland hat fas 2,5-mal so viele pro Kopf wie die Schweiz.
  • In manchen Arztpraxen fehlt es bereits an Desinfektionsmitteln und Hygienemasken.

25. Februar 2020

Die Schweiz hat ihren ersten Corona-Fall. Die Ansteckung eines 70-jährigen Mannes im Tessin sei ein Einzelfall, sagt BAG-Koch in der Sendung „10 vor 10“. Das Risiko für die Bevölkerung sei weiterhin moderat.

26. Februar 2020

Wissenschaftler beginnen gegen die Verharmlosung Alarm zu schlagen (z. B.Christian Althaus)

27. Februar 2020

Bundebern verharrt bei der Lageanalyse und beim Beobachten.

28. Februar 2020

An der Tessiner Grenze werden BAG-Plakate zum Händewaschen aufgehängt. Der Leiter der Tessiner Ärztekammer, Francesco Denti, fordert dringend Grenzkontrollen. Die Informationskampagne des BAG komme zu spät.

4. März 2020

Italien schliesst sämtliche Schulen und Universitäten.

Es gebe keinen Grund zur Panik, sagt BAG-Koch vor den Medien. Flugreisende aus Hochrisikoländern wie China werden bei der Einreise in die Schweiz in keiner Weise gescannt. Der Grenzverkehr mit Italien wird nicht eingeschränkt. Schulschliessungen sind gemäss BAG unnötig.

11: März 2020

Mittlerweile hat die Schweiz den zweithöchsten nachgewiesenen Covid-19 Befall pro Kopf in Europa. Innerhalb einer Woche hat sich die Zahl verzehnfacht.

13. März 2020

An allen Grenzen werden Grenzkontrollen eingeführt. Auf Temperaturmessungen an den Landesgrenzen und an Flughäfen wird verzichtet. Der Flugverkehr in die Krisengebiete (China, Italien) wird konkret nicht eingeschränkt. Der Bund verzichtet auf jede Reisewarnung.

16. März 2020

Der Bundesrat erklärt endlich den Notstand.

19. März 2020

Bei der Medienkonferenz des Bundes macht BAG-Koch die saloppe Bemerkung, dass die Heilungschancen in der Intensivpflege (künstliche Beatmung) „nicht besonders gross“ seien. Das Heilen von Patienten sei keine Lösung für die überfüllten Spitalbetten. Der Hinweis schafft in weiten Teilen der Bevölkerung grosse Verunsicherung.

Nic​ht nur das BAG, auch die politische Führung hat versagt. Mit der konsequenten Verweigerung von Grenzschliessungen lieferte der Bundesrat die Tessiner Bevölkerung schonungslos der in Norditalien wütenden Epidemie aus. Das Argument war, „in der Lombardei und im Veneto handle es sich um lokale Ansteckungsherde“.

Di​e Grenzgänger*innen schleppten das Virus ins Tessin ein. Erst mit der Aufnahme von Grenzkontrollen am 16. März 2020 wurden minimale Massnahmen ergriffen. Auf ein Fiebermessen der Einreisenden wurde nach wie vor völlig verzichtet. Und als sich dann das Virus –wie zu erwarten – im Tessin zu verbreiten begann, hiess es seitens der Politiker*innen: Grenzschliessungen nützten jetzt eh nichts mehr, das Virus ist ohnehin schon da…

Bis zum 14. März 2020 flogen China Airlines und Swiss täglich aus China mit Grossraumflugzeugen Genf und Zürich an. Tausende von Chinesen kamen noch in der zweiten Februarhälfte in die Schweiz – ohne jeden Gesundheitscheck bei der Einreise am Flughafen!

Eine Reihe von Virologen und Epidemie-Experten kritisieren die Kantone und vor allem den Bundesrat. Sie werfen ihm schwere Versäumnisse vor. Er habe zu spät gehandelt und Experten nicht ernst genommen.

Ein Fokus der Kritik gilt den Vorbereitungsmassnahm​en. Die Behörden hatten die Gefahr einer weltweiten Seuche nicht auf dem Radar. 2015 bezeichnete das Bundesamt für Bevölkerungsschutz (Babs) eine Pandemie als zweitgrösstes Risiko für das Land – nach der Gefahr einer Strommangellage. In einem Bericht gingen die Autoren davon aus, dass ein solches Ereignis die Schweiz alle 30 bis 100 Jahre trifft und dabei einen Schaden in der Höhe von 70 bis 80 Mia. Franken anrichtet. 2016 trat das neue Epidemiegesetz in Kraft. Es gibt auch eine Eidg. Kommission für Pandemievorbereitung und –bewältigung (EKP). Zusammen mit dem BAG hat sie erst 2018 den Influenza-Pandemiepla​n überarbeitet. Und trotzdem hat das Corona-Virus die Schweiz kalt erwischt.

All dies stellt ein fahrlässiges Verhalten unserer politischen Führung und vor allem des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) dar. Erstaunlich unkritisch verhalten sich in dieser Zeit aber auch die Medien

Die Pandemie verursacht gewaltige Kosten. Geschätzte 30% aller KMU sind unmittelbar vom Konkurs bedroht. Anders als etwa in Südkorea, Hongkong, Taiwan oder der Tschechei wurde in der Schweiz die Chance, das Virus frühzeitig unter Kontrolle zu bekommen, von den politischen Behörden und der Verwaltung vertan.

Der Tag wird kommen, die Schäden aufzuräumen. Ob dabei allerdings auch eine politische Rechenschaftsablage stattfindet, ist fraglich. (Auszug aus der SSI-Schrift: Covid-19: Das verhängnisvolle Versagen des Bundesamtes für Gesundheit. Eine chronologische Dokumentation, Mitte April 2020)

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Comments to: Corona-Krise: Chronologie einer Tragödie
  • April 26, 2020

    Dem Corona mit gezielten Massnahmen begegnen:

    Gezielte​r Schutz und nicht flächendeckende Massnahmen. Um eine mögliche Ansteckung eines wiederkehrenden Virus zu vermeiden, muss man nicht die Lebensqualität zu Grabe tragen. Dabei geht es nicht um die Vermeidung von wirtschaftlichen Auswirkungen (Arbeitsplätze und Gewinne), denn die Liquidität zur Vermeidung des Dominoeffekts, lässt sich ohne jegliche Folgen bereitstellen. Bei korrekter Umsetzung (nicht Bankkredite = Todsünde), hier liegt der Hund geistig begraben, muss niemand Existenzängste haben.

    Quelle: The Post 17.04.2020 Übersetzung aus Nachdenkseiten
    Die richtige Politik ist es, nur die Alten und Gebrechlichen zu schützen. Dies wird schließlich zur Herdenimmunität als “Nebenprodukt” führen. Die erste Reaktion Großbritanniens, vor der “180-Grad-Wende”, war besser. Das Papier des Imperial College war “nicht sehr gut” und er hat noch nie ein unveröffentlichtes Papier gesehen, das so viel Einfluss auf die Politik hatte. Das Papier war viel zu pessimistisch. Solche Modelle sind ohnehin eine zweifelhafte Grundlage für die öffentliche Politik. Die Abflachung der Kurve ist darauf zurückzuführen, dass die an den stärksten gefährdeten Personen zuerst sterben, ebenso wie die Abriegelung. Die Ergebnisse werden schließlich für alle Länder ähnlich ausfallen. Covid-19 ist eine “milde Krankheit” und der Grippe ähnlich, und es war die Neuartigkeit der Krankheit, die den Menschen Angst machte. Die reale Sterblichkeitsrate von Covid-19 liegt im Bereich von 0,1%. Mindestens 50% der Bevölkerung sowohl Großbritanniens als auch Schwedens werden die Krankheit bereits durchgemacht haben, wenn Massen-Antikörpertest​s verfügbar werden.

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  • April 26, 2020

    Wer hat vor der Corona-Krise schon einmal etwas gehört oder gelesen von Herrn Koch vom BAG?

    Unten finden Sie den Link zu über 120 Expertenmeinungen zu Corona, darunter auch etliche Aussagen von hochrangigen Medizinern und Virologen. Diese Auflistung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

    w​ww.rubikon.news/artik​el/120-expertenstimme​n-zu-corona

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