Seit einigen Jahren hat sich die Wahrnehmung von Muslimen weltweit und in der Schweiz verändert. Der Umgang mit Muslimen beschäftigt die Bevölkerung. In der Schweiz gibt es hierzu zwei aktuelle Beispiele: die kantonale Volksinitiative zur Einführung eines Verhüllungsverbotes im Kanton Tessin, das schliesslich Musliminnen das Tragen von Burka und Niqab verbietet. Vergleichsweise hohe Wellen hat 2009 auch die Anti-Minarett-Initiative geworfen. Die am heftigsten diskutierten Themen im Zusammenhang mit dem Islam werden im Folgenden kurz vorgestellt und erläutert.
Muslime in der Schweiz
Der Islam ist nach dem Christentum die zweitgrösste Religion weltweit. In der Schweiz stellen Muslime die viertgrösste Glaubensgemeinschaft dar: nach den aktuellsten Zahlen von 2011 sind dies 320’958 Musliminnen und Muslime. Diese Zahl ist seit der Erhebung von 2000 praktisch konstant geblieben. Während den grossen Einwanderungswellen ab den 1970er sowie 1990er Jahren sind viele Flüchtlinge und Arbeitskräfte aus muslimischen Ländern in die Schweiz gekommen. Etwa 90% der hier lebenden Muslime stammen somit ursprünglich aus dem Balkan und der Türkei. Insofern überwiegt in der Schweiz ein europäisch geprägter Islam. An der Gesamtbevölkerung bemessen machen Muslime nach den Berechnungen des Bundes heute rund 4.5% der ständigen WohnbevölkerungUnter der Wohnbevölkerung versteht man alle Personen, die i... aus. Die Mehrheit lebt in den Städten, rund ein Drittel besitzt den Schweizer Pass und etwa die Hälfte spricht eine Landessprache als ihre Hauptsprache.
Abb. 1: Anzahl Muslime in der Schweiz
Es ist wichtig zu betonen, dass die Muslime in der Schweiz weder ethnisch und kulturell noch hinsichtlich ihrer Einwanderungsgründe eine einheitliche Gruppe bilden. Die Bandbreite der Auffassungen ihres Glaubens reicht von weltlichen und modernen bis hin zu streng traditionellen Ansichten.
Nach Schätzungen praktizieren nur 10 bis 15% der Muslime ihren Glauben tatsächlich. Dies liegt in der Grössenordnung der anderen grossen Religionsgemeinschaften in der Schweiz. Die grosse Mehrheit der in der Schweiz lebenden Muslime sind also rein „nominelle“, da sie ihren Glauben nicht praktizieren. Dies heisst allerdings nicht, dass sie nicht gläubig sind.
Abb. 2: Religionszugehörigkeit in der Schweiz 2011
Erwartungshaltungen
Grundlage für die Diskussion über den Umgang mit dem Islam in der Schweiz sind die gegenseitigen Erwartungshaltungen von Muslimen und Nicht-Muslimen. Viele Schweizer Nicht-Muslime erwarten von Muslimen grundsätzlich eine gewisse Anpassung an die lokalen Gegebenheiten, Gesetze und grundlegenden Normen. Umgekehrt erwarten Muslime, dass sie ihre Religion frei ausüben können. Unbestritten ist, dass sich Muslime wie alle anderen Bürger an die hier geltenden Gesetze halten müssen. Dazu gehört auch, dass sie die Demokratie und den Rechtsstaat respektieren und die Trennung von Religion und Staat akzeptieren. Gleichzeitig garantiert die VerfassungEine Verfassung ist die rechtliche Grundordnung bzw. das obe... die Religionsfreiheit und verbietet die Diskriminierung Andersgläubiger. Wie stark Muslime darüber hinaus schweizerische Verhaltensweisen und gesellschaftliche Normen übernehmen sollen, ist weniger klar. Einigen Schweizer Nicht-Muslimen genügt es, wenn Muslime Rechtsstaat und Demokratie akzeptieren. Andere fordern, dass Muslime vor allem im öffentlichen Leben schweizerische Lebensformen übernehmen, das heisst beispielsweise kein Kopftuch tragen. Umgekehrt genügt es einigen Muslimen, wenn der Islam als Religion in der Schweiz grundsätzlich akzeptiert wird. Andere wollen wiederum, dass sie hier fast genauso leben können wie in ihrem Heimatland.
Diese unterschiedlichen Auffassungen führen zu öffentlich geführten Diskussionen. Am meisten diskutiert werden: die Kopfbedeckung, die Integration der Kinder in der Schule, und Moscheen.
Kopftuch, Burka, Nikab
Das Kopftuch und die Verhüllung des Gesichtes ist in der Schweiz das wahrscheinlich am stärksten diskutierte Thema im Zusammenhang mit dem Islam. Diese Debatte ist im Herbst 2013 in eine neue Runde gegangen: Im Kanton Tessin wurde mit deutlicher Mehrheit eine kantonale InitiativeDie Initiative ist in der Schweiz ein politisches Recht der ... angenommen, die ein Vermummungsverbot im öffentlichen Raum vorsieht, im Endeffekt aber auf das Verbot der Verschleierung muslimischer Frauen abzielt. Das Bundesparlament muss die InitiativeDie Initiative ist in der Schweiz ein politisches Recht der ... noch auf Vereinbarkeit mit der VerfassungEine Verfassung ist die rechtliche Grundordnung bzw. das obe... überprüfen und absegnen. Die Auswirkungen der InitiativeDie Initiative ist in der Schweiz ein politisches Recht der ... sind unklar, da der Anteil von Burka tragenden Frauen von in der Schweiz lebenden Musliminnen sehr gering ist, es aber einen Einfluss auf den Tourismus im Hinblick auf Besucher und Geschäftsleute aus arabischen Ländern haben könnte.
Das Tragen des Kopftuches bzw. die vollständige Verhüllung ist in der Schweiz zusätzlich umstritten, weil man es als mangelnde Integrationsbereitschaft oder als Zeichen der Unterdrückung der Frau auffasst. Solange sich die Frau freiwillig für das Tragen eines Kopftuches bzw. Ganzkörperverschleierung entscheidet, seien ihre Grundrechte nicht verletzt. Das ist die Meinung des Bundesrates. Dies gilt mit Einschränkung: gesichtsverhüllende Kleidungsstücke müssen laut Gesetz im Verkehr mit Behörden und in öffentlich-rechtlichen Institutionen und auch von privaten Arbeitgebern nicht geduldet werden. So können Amtsstellen für ihre Bereiche vorschreiben, dass sie ihre Leistungen nur gegenüber Personen erbringen, deren Gesicht unverhüllt ist. Schulen können die Gesichtsverhüllung bei Mädchen untersagen und Unternehmen sind nicht verpflichtet, Personen mit verhülltem Gesicht einzustellen oder weiter zu beschäftigen. Grundsätzlich wird in der Schweiz das Kopftuch als religiöses Symbol betrachtet und die Religionsneutralität des Staates verbannt religiöse Symbole aller Art aus öffentlichen Gebäuden.
Warum ein Kopftuch tragen?
Die Gründe, warum sich eine Muslimin entscheidet, Teile ihres Kopfes und Gesichtes zu bedecken, sind vielfältig. Konservative Muslime verweisen auf drei Suren im Koran, die ihrer Ansicht nach Musliminnen das Tragen einer Kopfbedeckung vorschreiben. Unter islamischen Gelehrten ist aber umstritten, ob das Tragen eines Kopftuches zwingende religiöse Pflicht oder lediglich eine kulturelle Ausprägung ist. Dementsprechend sind die regionalen Unterschiede sehr ausgeprägt. Während Frauen in der Türkei Kopftücher tragen, die das Gesicht freilassen, verschleiern sich Frauen in Afghanistan und teilweise auch in Pakistan und Indien mit Burkas praktisch vollständig. Im Balkan hingegen tragen meist nur noch die älteren und traditionell eingestellten Frauen ein Kopftuch. Wie bereits erwähnt stammt der Grossteil der Schweizer Muslime ursprünglich aus dem Balkan und der Türkei. Vor allem auf dem Balkan spielt die Religion im Vergleich zu anderen muslimischen Ländern eine weniger dominante Rolle. In der Schweiz tragen nur wenige Musliminnen ein Kopftuch und vollständig verhüllte Frauen sind selten anzutreffen. Ein Kopftuch kann einerseits als modisches Kleidungsstück betrachtet werden, andererseits aber auch dem klaren Bekenntnis zum Islam dienen. Aus diesem Grund fordern auch gewisse Kreise in der Schweiz unterschiedlich weitgehende Kopftuch- und Verhüllungsverbote. Das Bedürfnis dahinter steckt in der gesellschaftlichen Konvention, dass das Gesicht in der Öffentlichkeit erkennbar sein muss, um Vertrauen zu schaffen. So wird auch von Motorradhelmträgern gesellschaftlich erwartet, dass sie beispielsweise an der Tankstelle während des Bezahlens ihren Helm ausziehen. Grundsätzlich wären allgemeine Kleidervorschriften kaum mit der VerfassungEine Verfassung ist die rechtliche Grundordnung bzw. das obe... vereinbar. Für ein generelles Verbot des Kopftuchs im öffentlichen Raum (z.B. im öffentlichen Verkehr oder beim Einkaufen) gibt es in der Schweiz dazu auch keine rechtliche Grundlage.
Dispensationen vom Schulunterricht
Anlass zur Diskussion geben auch Schuldispensationen von Muslimen. In den meisten Fällen betreffen solche Gesuche religiöse Feiertage des Islams. In einigen Fällen fordern Eltern aus religiösen Gründen aber auch die Dispensation ihrer Töchter von Schwimmunterricht und Klassenlagern sowie Teilen des Biologieunterrichts.
Für die Gegner von solchen Gesuchen sind sie unnötige Sonderbehandlungen und grenzen die betroffenen Kinder aus. Umstritten sind dabei vor allem die Dispensationen vom Schwimmunterricht und von Teilen des Biologieunterrichts, da sie zum obligatorischen Schulplan gehören. Hier kritisiert man die Missachtung des Gleichstellungsgebots. Mädchen würden gegenüber den Jungen benachteiligt.
Auf der anderen Seite fordern Muslime Toleranz gegenüber religiösen und kulturellen Eigenheiten. Eltern muslimischer Schüler möchten als Erziehungsberechtigte bei der Bildung und Erziehung ihrer Kinder in der Schule mitbestimmen. Dispensationen fallen in den Regelungsbereich der Kantone und werden daher unterschiedlich gehandhabt. Grundsätzlich sind Freistellungen für hohe religiöse Feiertage in allen Kantonen möglich, Dispensationen vom Schwimm- oder Biologieunterricht hingegen grundsätzlich nicht. 2012 bekräftigte das Bundesgericht seine Ansicht, dass die Chancengleichheit der Kinder, die Gleichstellung von Mann und Frau sowie die Angewöhnung und Einbindung von Kindern in die hiesige Kultur und Sitten wichtiger sind als der individuelle Anspruch auf Religionsfreiheit.
Moscheen
Für Muslime ist die Moschee ein Ort des Gebets und der Wertvermittlung für den Lebensalltag. Gläubige Muslime sind für die Ausübung ihrer Religion auf den Besuch einer Moschee angewiesen. Sie erwarten deshalb, dass es ihnen in der Schweiz ermöglicht wird, Moscheen zu bauen. Minarette sehen die meisten Muslime zwar lediglich als Symbol islamischer Tradition und als Orientierungshilfe, aber grundsätzlich als Bestandteil einer Moschee.
Einige Nicht-Muslime lehnen den Bau von neuen Moscheen und insbesondere von Minaretten ab, da sie den Machtanspruch und die zunehmende Ausbreitung des Islams repräsentieren würden. Solange sich Moscheen an die geltenden Bauvorschriften halten, wird ihr Bau in der Schweiz nicht weiter eingeschränkt. Allerdings darf man in der Schweiz seit 2009 keine neuen Minarette mehr bauen.
Die meisten Moscheen in der Schweiz sind lediglich schlichte, umgestaltete Gebetsräume in Industriegebieten und Hinterhöfen. Einige Nicht-Muslime wollen diesen Zustand so beibehalten, da ihrer Meinung nach klassische Moscheen weder ins Stadtbild noch in die Kultur hineinpassen. Andere hingegen sind der Meinung, dass sichtbare, transparente Moscheen eher beaufsichtigt werden können. Dies würde es extremistisch denkenden Muslimen verunmöglichen, ihr Gedankengut zu verbreiten. Dass den Schweizer Muslimen genügend Moscheen zur Verfügung stehen, ist ihnen aber wichtiger, als dass diese als solche klar erkennbar sind. Trotzdem würden sie sich wünschen, dass man die Moscheen auch als solche erkennen kann.
Fazit
Muslime bilden in der Schweiz keine einheitliche Gruppe; insbesondere kann nur ein kleiner Teil der Muslime als sehr religiös bezeichnet werden.
Gemäss VerfassungEine Verfassung ist die rechtliche Grundordnung bzw. das obe... dürfen Muslime in der Schweiz ihre Religion frei ausüben und müssen sich dabei wie alle anderen in der Schweiz lebenden Personen an die geltenden Gesetze halten. In der Frage, wie weit sich der Islam im öffentlichen Leben zeigen darf bzw. wie weit sich Muslime an die schweizerische Kultur anpassen sollen, gehen die Meinungen allerdings auseinander.
Während die meisten Muslime erwarten, dass sie ihre Religion in den Grenzen des Gesetzes frei ausüben können, fordert ein Teil der Schweizer Nicht-Muslime eine weitergehende Anpassung an Schweizer Werte. Die Unterschiede zwischen den Kulturen und den Glaubensgemeinschaften treten in vielen Bereichen zutage. Solange diese Unterschiede bestehen, wird auch immer über den Islam diskutiert werden.
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