Ende Monat kommt die Initiative für einen geordneten Atomausstieg zur Abstimmung. Zeit für eine Auslegeordnung, wie es um die Probleme und Chancen der Atomenergie heute steht:
Sicherheit vor Atomunfällen: Gehen wir einmal davon aus, dass unsere AKWs ‘sicher’ sind. Nach internationalen IAEA-Standards heisst das: sie sollten einer Natur- oder technischen Katastrophe widerstehen können, die einmal pro 10’000 oder 25’000 Jahren auftritt. Das tönt gut, heisst aber: bei global rund 1000 Kernreaktoren erwarten wir (als akzeptiertes Restrisiko) rund alle 25 Jahre irgendwo auf der Welt eine Katastrophe vom Typ “Fukushima” oder “Chernobyl”. Wenn bei Annahme der Ausstiegsinitiative das Atomzeitalter nach total rund 200 Reaktorbetriebsjahren zu Ende geht, werden wir (hoffentlich) ein Risiko von knapp 1% für ein GAU überlebt haben – vorausgesetzt natürlich, alle halten sich an die Vorschriften. Heute gibt es nachhaltige Energiequellen ohne dieses Grossrisiko und damit keinen Grund, das Risiko weiterhin einzugehen.
Versorgungssicherheit: Der Atomausstieg würde die Versorgungssicherheit gefährden, hört man. Nur: Dieser Monate ist mit Beznau 1 und Leibstadt bereits mehr Leistung wegen Defekten und Sicherheitsproblemen unvorhergesehen vom Netz, als die Ausstiegsinitiative bis Ende nächstes Jahr kontrolliert abschalten möchte. Letztes Jahr gab es durch ein paar dumme Zufälle auch mal zwei Tage, wo gar kein Schweizer AKW in Betrieb war. Dies zeigt zwei Dinge: Erstens ist die Abhängigkeit nicht so gross, wie manche sie erscheinen lassen möchten. Und zweitens sind AKWs Klumpenrisiken in der Stromversorgung. Es ist der Versorgungssicherheit nur förderlich, mittelfristig darauf zu verzichten und dafür auf eine Versorgung durch kleinere Werke und eine Vielfalt alternativer erneuerbarer Energiequellen zu setzen.
Wirtschaftlichkeit: AKWs sind heute ein Verlustgeschäft. Die BKW hat bereits aus wirtschaftlichen Gründen die Stillegung von Mühleberg beschlossen, Axpo und Alpiq als Hauptbesitzer der übrigen Werke schreiben einen Milliardenverlust – die Axpo nota bene, obwohl sie eben die kalkulatorische Lebensdauer von Beznau von 50 auf 60 Jahre erhöht und so über verminderte Abschreibungen die Rechnung zu schönen. Trotzdem werfen die beiden Konzerne dem guten Geld schlechtes hinterher, wohl in der Erwartung, dass schlussendlich der Bund und damit der Steuerzahler einspringen werde, da aus Gründen der Sicherheit ein unkontrollierter Bankrott der KKW-Betreiber nicht infrage kommt.
Vertrauenswürdigkeit ist derzeit nicht gerade eine Stärke der AKW-Betreiber: Alpiq bilanzierte die beiden AKW Gösgen und Leibstadt mit einem Wert von über 5 Mrd. Franken (Jahresbericht 2015), wollte sie aber gleichzeitig heimlich für 1 Fr. an Électricité de France verschenken (was EDF ablehnte, da der Konzern aus eigener Erfahrung weiss, dass solche Werke heute nur noch Verlustgeschäfte sind). Und der Chef der Axpo hat es kürzlich geschafft, im selben Interview im Fall eines Atomausstieges 4 Mrd. Schadenersatz zu fordern u.a. für entgangene Gewinne und im Fall Fall eines Nicht-Ausstieges Subventionen für die defizitären Kraftwerke zu verlangen. Man fühlt sich fast ans Geschäftsmodell Nordkoreas erinnert: Erpressung mit Atomanlagen. Die Axpo wirkt umso weniger verantwortungsvoll, da sie derzeit sowohl gegen die Anpassung der Beiträge an den Entsorgungsfonds prozessiert (der nach fast 50 Betriebsjahren erst gut zur Hälfte geäuffnet ist), wie auch gegen Sicherheitsauflagen des Ensi (welche die Axpo vorher als Gegenleistung für die unbefristete Betriebsbewilligungen noch selber befürwortet hat). Es muss einem angst und bang darob werden, dass solche Firmen die technischen Anlagen mit dem grössten Schadenspotential unseres Landes betreiben.
Auslandabhängigkeit: Nicht nur das Uran kommt aus dem Niger, sämtliche Schritte der Aufbereitung, Herstellung von Brennelementen, Umarbeitung nach Gebrauch etc. findet im Ausland statt. Nicht dass man diese Anlagen statt in Sellafield, La Hague und dem russischen Majak bei uns haben möchte (schliesslich sind alle für gewaltige Verstrahlungsprobleme verantwortlich), aber Auslandunabhängigkeit sieht anders aus. Auch die Reaktortechnik ist importiert. Das einzige, was an der Atomkraft strikt helvetisch ist, ist das…
Müllproblem: Seit 40 Jahren sucht die Nagra nach einem Standort für den Atommüll. Nach aktuellen Plänen soll es nochmals 50 Jahre dauern, bis ein Endlager für hochaktive Abfälle in Betrieb geht. Mit anderen Worten: Unsere Grosseltern und Eltern haben zwar AKWs gebaut, aber das Entsorgungsproblem uns überlassen. Und wir überlassen es unseren Kindern. Wohlwissend, dass es auch für sie keine langfristig wirklich befriedigende Lösung geben kann. Denn wenn die Neandertaler Atomkraftwerke gehabt hätten, müssten wir deren Müll heute noch hüten. Das einzige, was wir hier fairerweise tun können, ist, nicht noch mehr von dem Müll zu produzieren.
Industriepolitik: Im Gegensatz zur Importtechnik Kernenergie ist die Schweizer Forschung und Industrie bei Alternativenergien technisch vorne dabei: Generatoren und Lastschaltungen für Windkraftwerke, Verarbeitungstechnik für die Solarzellenproduktion, Anlagenbau für Biogas, Batterienentwicklung, Risikoforschung für Geothermie. All diesen innovativen Wirtschaftzweigen kann ein gestärkter Heimmarkt zur helfen, globale Führungspositionen zu erreichen oder zu verteidigen. Zudem kommt eine beschleunigte Energiewende vollumfänglich und landesweit dem einheimischen Bau- und Installationsgewerbe zugute.
Der Atomausstieg ist eine Chance, alte Probleme und Risiken mindestens teilweise zu entschärfen und die Schweizer Wirtschaft in einem Schlüsselbereich für die Zukunft fit zu machen. Wir sollten sie packen und die Energiewende zügig und verbindlich angehen: Mit einem Ja zur Initiative für einen geordneten Atomausstieg. Die 13 Jahre, welche die Initiative dafür vorsieht, sind realistisch: Es ist die gleiche Zeitdauer, die man seinerzeit gebraucht hat, um vier unserer fünf AKWs zu bauen. 50’000 Kleinanlagen für Solarenergie sind bereits fertig geplant und warten nur noch auf den Startschuss.
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