1. Wirtschaft

Die Mär vom Fachkräftemangel

Immer wie­der hört man, dass die Schweiz trotz Personenfreizügigkeit​ einen Fachkräftemangel hat.

 

http://www.i​t-markt.ch/News/2011/​05/11/Swico-erklaert-​Fachkraeftemangel-zur​-Chefsache.aspx

 

E​rstaunlich ist dabei, dass bei einem so flexiblen Arbeitsmarkt wie in der Schweiz die Löhne sich nicht nach Angebot und Nachfrage richten. Weshalb verdienen gesuchte Facharbeiter nicht mehr? Und weshalb gibt es viele qualifizierte Facharbeiter, die längere Zeit arbeitslos sind?

Falsche oder fehlende Qualifikation

Heute wird erwartet, dass Fachkräfte eine perfekt passende Qualifikation mitbringen, während es früher genügte eine gute Basisausbildung mitzubringen. Der Rest wurde durch den Arbeitgeber ausgebildet. Zudem hat Rationalisierung und Automatisierung die Folge, dass Fachkräfte immer weniger für leicht lernbare, repetitive Arbeiten eingesetzt werden.

Riesiges Angebot

Dank Internet kann mit wenig Kosten weltweit nach geeigneten Fachkräften gesucht werden. Mit der Annahme der EU-Personenfreizügigk​eit wurden administrative Hürden entfernt. Die billigen Verkehrskosten (bzw. deren Subventionierung) ermöglichen es vielen Arbeitnehmenden weit entfernte Arbeitsstellen anzunehmen.

Mindestl​öhne / Nichtmonetäre Anreize

Arbeitende erhalten nebst ihrem Lohn auch noch ein Bündel von nichtmonetären Anreizen. Positive Anreize sind etwa hohes Ansehen, sicherer Arbeitsplatz, anständige Behandlung, während Stress, eine schlechte Behandlung, Flexibilitätserforder​nisse negative Anreize sind. Im Wissen, dass man jeden Mitarbeitenden dank riesigem Angebot ersetzen kann, setzen sich immer mehr negative Anreize im Arbeitsmarkt durch.

Implizite oder explizite Mindestlöhne führen dazu, dass Arbeitende sich vermehrt über nichtmonetäre Anreize konkurrenzieren. Sie wollen unbezahlte Überstunden machen, gehen kurzfristig freiwillig in die Ferien (wenn die Firma wenig Arbeit hat), arbeiten intensiver (teilweise bis zum Umfallen).

Pensionsk​assenbeiträge / Taggeldversicherung

Der Sparbeitrag der Arbeitgeber ist vom Alter des Arbeitenden abhängig. Während für unter 25-Jährige der Arbeitgeber keine Beiträge bezahlen muss, muss dieser bei 55-65-Jährigen ca. 15% des Lohnes bezahlen. Es besteht folglich ein Anreiz, bei vergleichbaren Bewerbenden den jüngeren zu nehmen.

Arbeitnehmen​den mit gesundheitlichen Problemen oder mit gesundheitlich zu erwartenden Problemen werden systematisch aus dem Arbeitsmarkt ausgeschieden, weil die Firmen sonst höhere Kosten für die Taggeldversicherung bezahlen müsste. Firmen, welche ganz sicher gehen wollen, scheiden daher die potentiell häufiger kranken älteren Arbeitnehmer aus und ersetzen sie durch jüngere Gesunde.

 

Es wäre korrekter von einer versteckten Optimierung der Arbeitskosten zu sprechen und nicht von einem effektiven Mangel an Facharbeitskräften. Das ist einmal der erste Schritt. Nun müssen mögliche Korrekturmassnahmen diskutiert werden.

 

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Comments to: Die Mär vom Fachkräftemangel
  • August 9, 2011

    Es gab mal Zeiten da wurde Learning by Doing betrieben hat sehr gut funktioniert.
    Sogar ich habe nebst meinem erlernten Beruf 3weitere fachgerecht erlernt.

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  • August 12, 2011

    Ich freue mich, dass Sie so flexibel waren 3 weitere Berufe zu lernen.
    Nur haben wir einen Fachkräftemangel oder nicht?

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  • August 19, 2011

    In meinem Beruf (Bauingenieur) ist der Fachkräftemangel akut trotz grossem Zufluss von Deutschen Ingenieuren. Gefühlsmässig arbeiten beim ASTRA und auch in den privaten Büros sicher 20% Deutsche. Und Learning by Doing ist auch bei uns immer noch gefragt, wir bilden immer wieder junge Ingenieure oder Praktikanten aus der ETH aus. Der Fachkräfte Mangel besteht nicht überall, aber bei uns sicher. Eine “Mär” ist es nicht jedenfalls nicht überall.

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    • Juli 18, 2021

      Dass es auf dem Bau einen Fachkräftemangel gibt ist offensichtlich. Schliesslich heizen nun die im 2008 beschlossenen Konjunkturpakete des Bundes zusätzlich ein. Parallel werden riesige Infrastrukturvorhaben​ wie die NEAT weitergebaut und dazu mittels Lenkungsabgaben energieeffiziente Massnahmen fossiert. Die Masseneinwanderung löst einen Bauboom aus, denn die Schweizer Infrastruktur ist nicht auf ein so schnelles Bevölkerungswachstum ausgelegt.

      Ich war schon 2008 der Meinung, dass die Konjunkturpakete des Bundes kontraproduktiv waren, denn man muss zur Bewältigung im Ausland rekrutieren. Jetzt sind die Leute im Land und werden bei der nächsten Baukrise nicht nach Hause gehen, sondern direkt in in unser Sozialsystem einwandern, schliesslich haben sie einbezahlt.

      Manchm​al wäre weniger Aktivisums des Bundes besser für alle.

      Interessant wäre nun zu wissen, ob in Ihrem Beruf die Löhne wegen dem akuten Mangel gestiegen sind?

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    • Juli 18, 2021

      Na ja der Fachkräftemangel bestand schon im Jahr 2000. Damals war ich noch Bauzeichner, ich suchte mir eine Stelle aus, bewarb mich und bekam den Job…als einziger Bewerber..also keine grosse Leistung. Dasselbe nach Abschluss meines Studiums 2005…noch schlimmer ich wurde zu Hause angerufen und ein Arbeitgeber bewarb sich bei mir. Das Grundübel für unsere Berufsgruppe, es gibt zu wenig Nachwuchs und die Geburten starken Jahrgänge werden jetzt pensioniert. Der Anschub der Infrastrukturprojekte​ durch den Bund hat das Problem nur verschärft. Aber das seltsame ist…die Löhne sind nicht sehr gestiegen, warum? Da gibt es ein ganzer Strauss von Gründen. Aber man kann mit dem Verdienst gut leben.

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    • Juli 18, 2021

      Eine ökonomische Grundregel besagt aber, dass bei einem Mangel der Preis steigt. Die Kontraposition davon: Wenn der Preis nicht steigt, so liegt kein Mangel vor. Wieder inetrssant wäer nun zu wissen, ob schon Projekte wegen Mangel an Bauingenieuren nciht realisiert wurden. Ich habe zumindenst nie davon gehört.

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  • September 3, 2011

    EXKLUSIV-VERTRÄGE FÜR PERSONALREKRUTIERUNGE​N

    Was bedeutet ein Exklusiv-Vertrag für Rekrutierungen? Das Grossunternehmen stellt in einem gewissen Unternehmensbereich nur Personen ein, die über einen bestimmten Personalvermittler kommen. Nebenbei wird oft auch noch öffentlich ausgeschrieben. Diejenigen Personen, die sich auf die öffentliche Ausschreibung melden, erhalten aber ohne Prüfung ihrer Fähigkeiten eine Ablehnung. Begründungen werden mit einem einfachen Verfahren ermittelt und oft werden gar keine abgegeben.

    Diese umstrittenen Verträge können auch als «Rekrutierungs-Kartel​le» bezeichnet werden. Vertiefte Diskussionen über die Einwanderung ohne das Ausmass dieser umfangreichen Verträge zu kennen sind nicht zielführend. Jegliche Bagatellisierungen sind Realitätsverweigerung​en. Inhaltlich geht es dabei um die viel diskutierten Bereiche in den Grossunternehmen.

    Die Probleme des Fachkräftemangels können durch den Swico-Chef (siehe Artikel) bestimmt in guter Weise gelöst werden. Was es nicht gibt, kann jederzeit als erfolgreich bekämpft bezeichnet werden. Bei einem echten Fachkräftemangel würden die genannten Exklusiv-Verträge bestimmt nicht abgeschlossen.

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    • Juli 18, 2021

      Exklusiv-Vertrag für Rekrutierungen kennen die Grossbanken UBS und CS, sowie viele weitere Grossunternehmen. Begründet wird dies durch eine bessere Kandidaten-vor-Selekt​ion.

      Des weiteren ist es aber so, dass Aufträge so gebündelt werden, dass nur bestimmte Alles-Anbieter mitbieten können. Das wäre wie, wenn man auf dem Bau nur Firmen berücksichtigen würde, welche Elektroarbeiten, Bauaushub und Spenglaerarbeiten anbieten.

      Weiter kommt es immer wieder vor, dass Ausschreibungen auf bestimmte Anbieter massgeschneidert werden. Werden beispielsweise Lehrlinge im Betrieb absolut und nicht prozentual berücksichtigt, so verlieren alle Kleinbetriebe.

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