Seit einiger Zeit ist klar, dass der bewährte bilaterale Weg für die Schweiz sehr schwierig wird. Die Schweiz und insbesondere unsere Wirtschaft möchten ein Stromabkommen, ein Gesundheitsabkommen, ein Landwirtschaftsabkommen und ein Chemikalienabkommen (Reach) abschliessen. Doch die Verhandlungen kommen nicht vom Fleck. Der Rat der Europäischen Union, in dem die Mitgliedstaaten sitzen, hat bereits im Dezember 2008 in einem Bericht festgehalten, dass die bilateralen Verträge der Schweiz zu dynamisieren seien. Dies bedeutet, dass alle bestehenden und neuen Verträge an das EU-Recht (Acquis) angepasst werden sollen. Der Binnenmarktausschuss des Europaparlaments fordert nun einen effektiven Streitbeilegungsmechanismus. Diplomatische Streitschlichtung reicht nicht mehr.
Fakt ist, neue bilaterale Abkommen werden kaum abgeschlossen werden können. Die erforderliche Zustimmung von 27 EU-Mitgliedsländern wird extrem schwierig zu erreichen sein. Italien ratifizierte nicht einmal das Betrugsbekämpfungsabkommen von 2005.
Wie weiter also? Die Schweizerinnen und Schweizer wollen in nächster Zeit sicher nicht der EU beitreten. Zu gross sind die Vorbehalte. Insbesondere die Mitteparteien CVP, BDP und GLP haben erkannt, dass eine EU-Beitrittsdiskussion, die nur den zahlreichen, virulenten EU-Gegnern in die Hände spielen würde, keinen Sinn macht. Die zu schnell gewachsene EU ist in einer Krise, einzelne Staaten sind wirtschaftlich schwer angeschlagen.
Auch die SP ist vorsichtig geworden. Nur die SVP behauptet nach wie vor, dass alle anderen Bundesratsparteien in die EU wollten. Welche einfältige Unterstellung! Damit hofft die SVP einerseits ihre Wählerstagnation zu überwinden und andererseits ihre Doppelzüngigkeit zum bilateralen Weg zu übertünchen. Denn im ParlamentDas Parlament ist in demokratischen Verfassungsstaaten die V... und in den Volksabstimmungen hat die SVP kaum eines der bilateralen Abkommen unterstützt.
Doch Isolation der Rechten und EU-Beitrittsträume der Sozialdemokraten ermöglichen keine sachgerechte Europa-Politik. Beides führt zu politischen Blockaden und unerwünschten Pattsituationen. Dies darf nicht sein!
Es lohnt sich, über einen dritten Weg zu diskutieren. Nach langjähriger Beobachtung des EWR und vielen Gesprächen als Mitglied der EU-EFTA-Delegation bin ich der Meinung, dass die Option EWR für die Schweiz gründlich zu prüfen ist. Norwegen und Liechtenstein haben den Weg erfolgreich beschritten, Island hat nur Probleme bekommen wegen seinen Banken. Trotz Finanzkrise und Beitrittsverhandlungen zwischen Island und der EU wollen gemäss aktuellen Umfragen nur rund 25 Prozent der Isländerinnen und Isländer der EU beitreten. Auch für die Norweger ist ein EU-Beitritt nicht mehr attraktiv.
Der EWR gäbe uns einen rechtssicheren Rahmen und ein gewisses Mitspracherecht. Konflikte wie etwa der Steuerstreit mit der EU, aber auch Fälle der Behinderung von Schweizer Unternehmen im Ausland würden entpolitisiert. Schweizer Personen und Unternehmen könnten sich auf EWR-Recht berufen, entscheiden würde im Streitfall der EFTA-Gerichtshof oder der Europäische Gerichtshof. Der EWR-Vertrag ist auf die Schweiz massgeschneidert. Diese gute Lösung wurde leider 1992 von Blocher und den Grünen abgelehnt und von der SP nur halbherzig unterstützt. Der knappe negative Entscheid der Schweizer Bevölkerung vom 6. Dezember 1992 führte uns in eine zehn Jahre anhaltende wirtschaftliche Wachstumsschwäche. Heute übernehmen wir EU-Recht laufend einseitig. Dies ist der grösste Souveränitätsverlust für die Schweiz.
Der EWR gäbe uns Rechtssicherheit, der Dienstleistungsbereich, d.h. auch die Finanzdienstleistungen wären einbezogen und auch das Cassis de Dijon-Prinzip gälte nicht nur einseitig, sondern gegenseitig. Der EWR ist nicht verstaubt, er funktioniert bestens.
* Kathy Riklin, Zürich, Nationalrätin CVP, ist Mitglied der Aussenpolitischen Kommission und der EU-EFTA-Delegation
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Kommentare anzeigen Hide commentsSehr geehrte Frau Riklin,
Ich glaube, wir täten alle gut daran, das parteipolitische Gezänk endlich zu begraben. Die Herausforderungen, die uns harren, erlauben es nicht, polemisch zu argumentieren, sondern verlangen nach einer nüchternen Sicht der Dinge. 1992 entschied das Volk gegen den EWR-Vertrag, nicht Blocher oder die Grünen.
Die Euro-Krise entlarvt mit unüberbietbarer Deutlichkeit, dass die Schweiz ein souveräner Staat mit einer überaus stabilen Währung widerspiegelt. Unsere Wirtschaft legte eine bemerkenswerte Mischung aus Flexibilität und Festigkeit an den Tag. Es gelang uns, die Lohnkosten einigermassen unter Kontrolle zu halten und unser Land stellte sich mit seiner offenen Nationalökonomie erfolgreich der Globalisierung. Die Schweiz zeigt sich als Land mit der tiefsten Arbeitslosenrate in Europa.
All das heisst doch, wer hart arbeitet, braucht sich vor der Konkurrenz nicht zu fürchten. Die Ausnahmestellung der Schweiz hat sich aus der Tiefe der Zeit entwickelt. Sie ist nicht imitierbar (Julius Bär).
Ich bin überzeugt, der innovationsstarken Schweiz bieten sich ausgezeichnete Chancen für eine erfolgversprechende Zukunft. Die derzeitigen Probleme im Euro-Raum sprechen gegen einen Beitritt der Schweiz zu einem grösseren Wirtschaftsraum, erklärt uns der Chefökonom der Credit Suisse, Martin Neff. Der Wirtschaftsprofessor Reto Föllmi von der Uni Bern sieht ökonomisch keine allzu grossen Unterschiede zwischen dem Status quo und einem EWR-Beitritt. Die Frage nach einem EWR-Beitritt sei in erster Linie politisch, meint Jan-Egbert Sturm, Leiter der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich.
Ich kann also Ihre Begeisterung für einen EWR-Beitritt nicht teilen.
Klammern wir uns vielleicht zu stark an Europa, die EU oder den EWR und vergessen dabei den tiefgreifenden Wandel, der das globale Umfeld tüchtig und nachhaltig umpflügt?
Wenn das 19. Jahrhundert das britische Jahrhundert widerspiegelt, so war das 20. das amerikanische. Vieles spricht dafür, dass sich das 21. Jahrhundert als die Epoche Asiens und des roten Drachens, China, herauskristallisiert. Wo bleibt hier Europa, das, allein schon aus demographischen Überlegungen, an Gewicht verlieren wird.
Europa wird chinesisch lernen müssen. Peking sieht den Rest der Welt wieder als Peripherie. Das Fortschrittsstreben beeindruckt. Computer, Container und intellektuelles Kapital verschieben die Weltachse vom Atlantik hin zum Pazifik. Die Erweiterung der G-7 zur G-20 entpuppte sich – im Soge der Finanz- und Wirtschaftskrise – als unausweichlich. China und Asien wetterten die Verwerfungen am wirkungsvollsten ab.
Europa brennt, und in Asien entwickeln sich Staaten und Gesellschaften, die nicht unter Schuldenmühlsteinen ächzen und keinem illusorischen Anspruchsdenken frönen. Wir Schweizer scheinen diesen Tatbestand noch nicht wirklich begriffen zu haben.
Es wird höchste Zeit, dass wir die asiatischen Optionen genauer prüfen.
Die EU ähnelt immer mehr einem brodelnden Labor. Niemand weiss so recht, wohin diese Gemeinschaft noch driftet.
Wenn Europa ein verlorenes Jahrzehnt vermeiden will, reicht es nicht, immer mehr Schulden anzuhäufen (Prof. Kenneth Rogoff). Langfristig braucht es vor allem eine nachhaltige Produktivität. Kurzfristig ist es wichtig, Deflation in japanischem Stil wachsam zu bekämpfen. Wie das in einem heterogenen Umfeld von 27 Mitgliedstaaten gehen soll, ist mir, ehrlich gesagt, schleierhaft.
Griechenland, so die “NZZ”, steht, als Folge einer exorbitanten Staatsverschuldung am finanziellen Abgrund. Die Euro-Staaten und der IMF müssen mit Milliardenkrediten das Land vor dem endgültigen Bankrott bewahren. Nach einer Benzinknappheit, ausbleibenden Touristen und schrumpfendem Bruttoinlandprodukt steigt nun auch noch die Arbeitslosigkeit in Rekordgeschwindigkeit. Und dann gönnen sich die Griechen auch noch die grösste Panzerarmee Europas. Trotz klammer Kassen will Athen immer noch 2.8 % seiner Wirtschaftsleistung für seine Armee und Waffenkäufe ausgeben – umgerechnet auf seine Bevölkerung Rüstungsrekord in Europa. (Quelle: Die Welt)
Last but not least, werde die EU auf dem Schleichweg immer grösser, lese ich bei “Welt Online”. Millionen Osteuropäer können EU-Bürger werden, wenn sie eine vage Abstammung aus Ungarn, Rumänien oder Bulgarien belegen können.
Sehr geehrte Frau Nationalrätin Riklin
Für die Veröffentlichung dieses Artikels hier im «Dialog» danke ich ihnen. Gerne nehme ich die Gelegenheit wahr mich dazu zu äussern und beschreibe ihnen meine Ansicht zu diesem Thema.
In der Diskussion über die vertragliche Verbindung der Schweiz mit dem Staatenbund EU ist es schwierig die Übersicht über die Themenbereiche zu behalten. Oft gehen die Zeitungsartikel nur auf Einzelanliegen ein. Deshalb habe ich die Teile der Thematik nachfolgend zusammengetragen und etwas strukturiert.
* Themen *
– Vertragsart, Änderungsmöglichkeiten, Übergangsfristen
– Möglichkeit von Verträgen gegenüber Drittstaaten: Wie Abkommen mit Japan, China, USA
– Gerichtsbarkeit
– Übernahme von EU-Recht: Vetomöglichkeit, eigene Gesetze erhalten
– Währung: Können wir unsere Währung behalten? Ist eine feste Anbindung des CHF an den EURO möglich/sinnvoll um die Risiken der Nationalbank zu minimieren?
Die vier Freiheiten der EU
– Freier Warenverkehr
– Freier Kapitalverkehr
– Freier Personenverkehr: Korrektur der Fehlentwicklung ist dringend
– Freier Dienstleistungsverkehr: Zurzeit reguliert
* Ausnahmen innerhalb Europa (PFZ = Personenfreizügigkeit) *
– Grossbritannien: PFZ gegenüber Rumänien und Bulgarien aufgehoben, eigene Währung
– Jersey, Guernsey: Gehören nicht zur EU, Kronbesitz von GB, eigene Währungen mit fester Anbindung an GBP
– Norwegen, Island: In EWR, nicht in EU, eigene Währungen
– Liechtenstein: In EWR und EU, keine PFZ, Währung CHF
– Schweden, Dänemark, Polen, Tschechien, Ungarn, Bulgarien, Rumänien: eigene Währungen
– Deutschland: Übergangsfristen für PFZ zu Oststaaten
– Kroation, Bosnien, Serbien, Montenegro, Albanien: Nicht in EU, eigene Währungen
(diese Liste ist nicht abschliessend)
* Meine Vorstellung wie wir uns als Staat Schweiz verhalten sollen *
– Fehlentwicklungen in der Personenfreizügigkeit korrigieren: «Zu lange wurde der Ruf der Wirtschaft nach billigen Arbeitskräften erfüllt» sagte Philipp Müller, FDP Nationalrat in der Zeitung Sonntag vom 22.08.2010
– Die Bundesverfassung einhalten: «Die Schweizerische Eidgenossenschaft schützt die Freiheit und die Rechte des Volkes und wahrt die Unabhängigkeit und die Sicherheit des Landes.»
– Rechtsstaatlichkeit und Verlässlichkeit der Bevölkerung und für bereits Zugewanderte erhalten: Überlegen was für Unternehmen, für Privatpersonen und für Wohlhabende wesentlich ist, dies erhalten und in erstrebenswerten Teilen ausbauen
– Die Sicht der EU beurteilen: Welche Vertragswerke werden gegenüber USA, Japan, China und Russland erstellt – welche Möglichkeiten bestehen uns gegenüber?
– Anstreben eines übersichtlichen und wenig komplizierten Vertragswerks – dies kann ein Rahmenvertrag sein. Jede inhaltliche Änderung gegenüber heute kritisch beurteilen. Eventuell vorbildliche Regelungen vorschlagen und damit innerhalb der EU eine Stärkung der demokratischen Rechte erwirken.
Sehr geehrte Frau Riklin,
Vielleicht sollten Sie einmal das “Undenkbare” denken. Die EU könnte an der aufgebauten Krise zerbrechen.
Lieber Herr Burgermeister, Ihre Idee ist ein Tagtraum und Wunsch von Leuten, die die EU nicht kennen. Wir müssen uns mit der EU als Handelspartner und freundnachbarlich auseinandersetzen. Ob Sie wollen oder nicht! Vogelstrausspolitik nützt uns nichts!
Sehr geehrte Frau Riklin,
Nein, ich rede keiner Vogelstrausspolitik das Wort und bin mir sehr wohl bewusst, dass wir uns mit Europa ernsthaft auseinandersetzen müssen. Ich schlug lediglich vor, auch einmal das Undenkbare zu denken und das ist weder hirnrissig noch der Traum oder Wunsch von jemandem, der Europa nicht kennt.
Darf ich Sie in diesem Zusammenhang an die Botschaft der Europäischen Zentralbank an die europäischen Politiker erinnern? Löst das Problem der überschuldeten Staaten, saniert die maroden Banken und schafft strikte Schuldenregeln. Hören die verantwortlichen Politiker eigentlich einen solch alarmierenden Weckruf?
Noch ist nicht auszuschliessen, dass die Euro-Zone auf längere Sicht an den kaum mehr zu meisternden Problemen erstickt oder zerbricht. Die Voraussetzung dafür liegt in den Händen der deutschen Bevölkerung. Wie lange erduldet sie die Rolle des Zahlmeisters?
Wird diese Bevölkerung der Politik ihrer Regierung irgendwann schaudernd und angewidert den Rücken kehren? Die Zukunft der Euro-Zone hängt unausweichlich davon ab, wie sich das Verhältnis zwischen der deutschen Bundesregierung und deren Bürger in den brennenden Europafragen entwickeln wird.
Ich will, als Schweizer, nicht am Rockzipfel Brüssels zappeln. Ich will nicht als Geldgeber in einen Verbund getrieben werden, dessen Grundfesten zittern. Ich will mir keine Währung – Euro – überstülpen, die an den globalen Märkten mehr und mehr ihr Vertrauen verspielt.
Wie, so frage ich Sie, lautet eigentlich das Rezept der EU gegen das Euro-Debakel? Mehr Europa, mehr Staat, weniger Freiheit und weniger Marktwirtschaft. Wollen wir das auch?
In der Euro-Krise entblösst sich das ganze Versagen der europäischen Politik.
Die Schweiz wird von der EU von einem Sachzwang in den nächsten geschubst. Das wäre auch beim EWR der Fall. Freiheit wo bleibst du?