1. Wirtschaft

Die Schweiz für einmal im Hintertreffen

Interessant:

Das zeigt deutlich, dass auch die Schweiz auf die EU etc. angewiesen ist, wir sind nun mal keine Insel, die es im Alleingang schafft, wie die SVP es immer allen weis machen will.

FINANZPORTAL​

E​ur​opas Arbeitsmärkte

Die Schweiz für einmal im Hintertreffen

Matt​​​hias Müller Heute, 14. Mai 2014
http://www.nz​​​z.ch/wirtschaft/wirt​​s​chafts-und-finanzpo​​rt​al/die-schweiz-fu​e​r-e​inmal-im-hinter​tr​effe​n-1.18301804

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Zahlen von Eurostat zeigen zweierlei: Erstens klaffen zwischen den europäischen Arbeitsmärkten grosse Lücken, und zweitens hinken einige schweizerische Regionen deutschen und österreichischen hinterher.
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D​ie Schweiz rühmt sich gerne, bei diversen wirtschaftlichen Kennziffern den Rest Europas hinter sich zu lassen. Und in vielen Punkten wie dem liberalen Arbeitsmarkt, relativ niedrigen Steuersätzen oder gesunden Staatsfinanzen trifft diese Selbsteinschätzung zu. Doch Zahlen des EU-Statistikamts Eurostat über die Erwerbslosigkeit in den Regionen im Jahr 2013zeigen, dass sich einige Gebiete in Deutschland und Österreich im vergangenen Jahr mindestens genauso gut oder gar besser als jene in der Schweiz geschlagen haben. Es handelt sich um einen nicht zu unterschätzenden Sachverhalt, denn in wenigen Jahren werden in den entwickelten Volkswirtschaften die geburtenstarken Jahrgänge der Babyboomer-Generation​​​ allmählich in Rente gehen, und wegen der – bis auf wenige Ausnahmen wie in Frankreich – niedrigen Geburtenrate wird sich der Wettbewerb um Fachkräfte zusätzlich verschärfen.

Wettb​​​ewerb um Fachkräfte

Dieser findet jedoch nicht länger innerhalb der Landesgrenzen statt, sondern wegen der Mobilität qualifizierter Arbeitskräfte müssen die Personalverantwortlic​​​hen auch die Arbeitsmärkte in anderen Volkswirtschaften im Blick haben. Dabei bleiben die Erwerbstätigen in Deutschland und Österreich für den deutschsprachigen Teil der Schweiz wegen der sprachlichen und kulturellen Gemeinsamkeiten von besonderem Interesse. Allerdings lehren die Erfahrungen der jüngeren Vergangenheit, dass sich Fachkräfte aus ihren wirtschaftlich florierenden Heimatländern schwieriger als bis anhin abwerben lassen.

 

S​​o hatte der Personalberater Guido​​​ Schilling in dieser Zeitung nach der Abstimmung über die «Masseneinwanderungsi​​​nitiative» vor den Folgen gewarnt. Wenn er 2008 Personen in Deutschland angesprochen habe, ob sie an einem Engagement in der Schweiz interessiert seien, habe er in neun von zehn Fällen eine positive Antwort erhalten, hatte Schilling im Rückblick gesagt. Inzwischen seien im Durchschnitt nur noch ein bis zwei Deutsche an einer Tätigkeit hierzulande interessiert, weil es in ihrem eigenen Land verlockende Angebote gebe und die Schweizer Diskussionen über das Für und Wider von Ausländern abschreckend wirkten.

Die Eurostat-Zahlen belegen, wie gut der Arbeitsmarkt in Teilen Deutschlands reüssiert. Die Statistiker haben für die Erwerbslosenstatistik​​​ Europa in Gebietseinheiten («Nomenclature des unités territoriales statistiques», Nuts; es gibt abhängig von der Einwohnerzahl drei unterschiedliche Nuts-Regionen) untergliedert. Neben den 272 Nuts-2-Regionen in den 28 EU-Ländern berücksichtigten sie noch 44 in den Kandidatenländern Montenegro, ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien und Türkei sowie Regionen in den Efta-Ländern Island, Liechtenstein, Norwegen und Schweiz. Die Schweiz ist in die sieben Regionen Espace Mittelland, Nordwestschweiz, Ostschweiz, Région Lémanique, Tessin, Zentralschweiz und Zürich unterteilt.

Grundl​​​age für die Erwerbslosenquoten bildet die Definition der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO). Personen im Alter zwischen 15 und 74 Jahren gelten als erwerbslos, wenn sie drei Bedingungen erfüllen: Erstens dürfen sie in der Woche, in der die Zahlen erhoben werden, keine Arbeit haben, zweitens müssen sie innerhalb von zwei Wochen eine Stelle antreten können und drittens müssen sie im vergangenen Monat aktiv einen Job gesucht haben.

Auf Basis der ILO-Definition und von 105 000 Interviews – als Stichprobe – veröffentlicht das Bundesamt für Statistik (BfS) quartalsweise die international vergleichbare Erwerbs​​​losenquote– als prozentualer Anteil der Erwerbslosen im Alter zwischen 15 und 74 Jahren an den Erwerbspersonen insgesamt – für die Schweiz. Diese Zahlen unterscheiden sich von den monatlich vom Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) präsentierten und international nicht vergleichbaren Arbeitslosenzahlen, in die jene Personen eingehen, die im betrachteten Monat bei einem der Regionalen Arbeitsvermittlungsze​​​ntren (RAV) arbeitslos gemeldet sind.

Zwei Länder auf dem Podest

Unberücksic​​​htigt bleiben jene Arbeitslosen, die ausgesteuert sind und nicht länger bei einem RAV den Status eines Arbeitslosen oder Stellensuchenden haben. Entsprechend gibt es zwischen den beiden Statistiken Differenz​​​en . Laut Seco gab es im Durchschnitt des vierten Quartals 2013 etwas mehr als 140 000 Arbeitslose, während das BfS von durchschnittlich 193 000 Erwerbslosen im selben Zeitraum ausging; 91 000 davon seien bei einem RAV gemeldet gewesen, 102 000 Erwerbslose dagegen nicht, geht aus der BfS-Statistik hervor.

 

I​​m Vergleich mit allen von Eurostat untersuchten Ländern hatte die Schweiz mit 4,4% nach Norwegen (3,4%) im vergangenen Jahr die niedrigste Erwerbslosenquote. Auch die beiden punkto Arbeitsmarkt führenden EU-Länder Österreich (4,9%) sowie Deutschland (5,3%) wiesen höhere Werte auf. Sie lagen 2013 damit jedoch immer noch deutlich unter dem EU-28-Durchschnitt von 10,8%.

Laut Eurostat hatten im vergangenen Jahr von den 272 Nuts-2-Regionen 49 eine Erwerbslosenquote von weniger als 5,4%, was der Hälfte des EU-28-Durchschnitts entsprach. Dazu zählten 23 Regionen in Deutschland, jeweils 8 in Österreich und Grossbritannien, 3 in Tschechien und Rumänien, 2 in Belgien und jeweils eine in Italien sowie in den Niederlanden. Die Spitzenplätze jener Regionen mit den niedrigsten Erwerbslosenquoten teilen Deutschland und Österreich unter sich auf. Den geringsten Wert mit 2,6% hatte Oberbayern, wozu auch die Landeshauptstadt München gerechnet wird. Auf den Plätzen folgten die Regionen Freiburg i. Br. und Salzburg mit einer Erwerbslosenquote von jeweils 2,9% vor Tübingen sowie Tirol mit je 3,0%.

Rabenschwarz​​​es aus Spanien

Die Schweiz schneidet in dem Ranking zwar hervorragend ab. Doch ausser der Zentralschweiz mit einer Erwerbslosenquote von 2,6% gelänge keiner weiteren Region der Sprung in die EU-Top-Ten. Die Région Lémanique sowie das Tessin lagen mit Erwerbslosenquoten von 6,6% bzw. 6,8% gar über dem Schwellenwert von 5,4%, also der Hälfte des EU-28-Durchschnitts. Weitaus besser schneiden die süddeutschen Bundesländer Baden-Württemberg (3,4%) und Bayern (3,1%) ab.

Sorgen bereitet Deutschland die Lage in einigen in der einstigen DDR gelegenen Bundesländern wie Mecklenburg-Vorpommer​​​n (10,1%), Sachsen-Anhalt (9,0%) sowie Berlin (10,6%). In diesen strukturschwachen Regionen dürfte ein deutschlandweiter Mindestlohn von € 8.50 pro Stunde mit den Geringqualifizierten jene in die Bredouille bringen, die sich am Arbeitsmarkt bereits schwertun.

Solche Probleme wie Deutschland, Österreich und die Schweiz hätten andere EU-Länder sicherlich gerne. Sind bereits durchschnittliche Erwerbslosenquoten von 10,8% in der EU-28 für die Betroffenen kaum erträglich, und auch ein Beleg für das jahrelange Versagen der jeweiligen Wirtschafts- und Sozialpolitik, zeichnen die hinteren Plätze der Eurostat-Rangliste ein noch viel düstereres Bild vom Zustand bestimmter (süd)europäischer Regionen.

Wählt man als weiteren Schwellenwert das Doppelte der EU-28-Erwerbslosenquo​​​te, wiesen im vergangenen Jahr 27 Regionen eine Quote von mehr als 21,6% auf: 13 davon befanden sich in Spanien, 10 in Griechenland, 3 französische Départements in Übersee (Guadeloupe, Martinique sowie Réunion) zählten dazu, und mit Kalabrien lag eine in Italien. Ganz besonders grosse Differenzen gab es zuletzt im südlichen Nachbarland der Schweiz: Die landesweite durchschnittliche Erwerbslosenquote lag 2013 bei 12,2%, Kalabrien fiel mit 22,2% stark ab, die Provincia Autonoma di Bolzano, also Südtirol, hatte mit 4,4% dagegen den gleichen Wert wie die Schweiz.

Frauen als Problemlöser

Noch bedrückender als in Teilen Italiens ist die Lage in Spanien: 6 von 19 spanischen Nuts-2-Regionen hatten Erwerbslosenquoten von über 30%, der landesweite Durchschnitt lag bei 26,4%. Am unteren Ende der europaweiten Skala befand sich 2013 mit einem Wert von 36,3% die Region Andalusien; am besten schnitt in Spanien mit einer Erwerbslosenquote von immer noch 15,8% die Region País Vasco (Baskenland) ab.

Im Schlepptau dieser Entwicklung klaffen nach Berechnungen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zwischen den europäischen Ländern bei den Beschäftigungsquoten – als Verhältnis von Erwerbstätigen zur arbeitsfähigen Bevölkerung im Alter zwischen 15 und 64 Jahren – erhebliche Lücken: Gingen in Deutschland im Durchschnitt des vergangenen Jahres annähernd 70% der Frauen und rund 78% der Männer einer Arbeit nach, betrugen die Vergleichswerte in Griechenland gerade einmal 40,1% bzw. 58,4%. In der Schweiz lag die Beschäftigungsquote der Frauen laut OECD bei 74,4%, und jene der Männer belief sich auf 84,7%.

Die hohe Erwerbsbeteiligung der Frauen in der Schweiz darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass ein Grossteil davon einer Teilzeitbeschäftigung​​​ nachgeht. Hatten von den 2,4 Mio. erwerbstätigen Männern im vergangenen Jahr 85,7% eine Vollzeitstelle, lag der Anteil unter den 2,1 Mio. berufstätigen Frauen bei 41,3%, 6 Prozentpunkte weniger als 1993, wie aus Zahlen des BfS hervorgeht.

Teilze​​​itbeschäftigung hat Vor- und Nachteile. Es lassen sich dadurch Erwerbsarbeit und Kinderbetreuung sowie Hausarbeit besser unter einen Hut bekommen. Das BfS streicht unter dem Stichwort « Gleichstellung von Mann und Frau – Daten, Indikatoren » auch die Nachteile heraus. Teilzeitbeschäftigung​​​ habe häufig ungesicherte Arbeitsverhältnisse, schlechtere soziale Absicherungen sowie geringere Weiterbildungsmöglich​​​keiten und Karrierechancen zur Folge.

Über kurz oder lang muss sich die Schweiz bei kontingentierter Zuwanderung darüber Gedanken machen, wie es ihr gelingen wird, die Lücke an Fachkräften mit länger beschäftigten Frauen und Älteren zu füllen.

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Personen haben auf diesen Beitrag kommentiert.
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Comments to: Die Schweiz für einmal im Hintertreffen
  • Mai 14, 2014

    Nicht berücksichtigt sind dann zusätzlich die Langzeitsarbeitslosen​ und die von der IV auf die Sozialämter abgeschobenen Rentner, welche von uns Steuerzahlern finanziert werden müssen. Das Gleiche gilt für die unterbezahlten Löhne, die nicht ausreichen, um einigermassen in der Schweiz leben zu können.

    Profitiere​n tun einzig und alleine die Arbeitgeber auf Kosten der Allgemeinheit.

    Des​halb: JA zum Mindestlohn!

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    • Juli 19, 2021

      “Nicht berücksichtigt sind dann zusätzlich die Langzeitsarbeitslosen​​​ und die von der IV auf die Sozialämter abgeschobenen Rentner, welche von uns Steuerzahlern finanziert werden müssen.”

      Arbeitslo​​se und Invalide werden nicht auf die Sozialämter abgeschoben und von den Steuerzahlenden finanziert, Herr Sutter. Sie haben in die ALV und in die IV Ihre Prämien entrichtet und haben als Versicherte das Anrecht auf Versicherungsleistung​​en der ALV bzw. der IV.

      Invalide Rentner haben anstelle der IV die AHV und das Anrecht auf Ergänzungsleistungen.​​

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  • Mai 15, 2014

    Unsinn, die im Abt.-Büchli erwähnten angeblichen 330000 Personen oder 9% der arbeitenden Bevölkerung sind durch nichts belegt. Schall und Rauch, also Schätzung der Initianten. Damit ist die Grundlage für die MI LO INI vom Tisch.
    Vergessen wir diesen Unsinn. Ablehnen.

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