Mutter Courage und ihre Kinder
Sie war eine Ikone der Frauenbewegung und eine unbequeme sozialistische Politikerin. Nun unterstützt Anne-Marie Rey die als extrem verschrieene Ecopop-Initiative. Die Genossen von einst wittern Verrat.
«Wir können doch nicht das Matterhorn aushöhlen»: Aktivistin Rey, 77.Bild: Sonja Ruckstuhl
Da sich momentan richtigehende Schlammschlachten abspielen um Ecopop, indem diffamiert, gelogen und sonstwie draufgehauen wird dass es ein graus ist, ragt diese ehrwürdigen Frau Rey wie ein Fels aus der Brandung heraus. Ihre Einstellung zu Ecopop verdient es hier erwähnt zu werden.
1. Blick hinaus auf eine Bilderbuch-Schweiz
Durch die sonnendurchfluteten Fenster geht der Blick hinaus auf eine Bilderbuch-Schweiz: sattgrüne Wiesen, auf denen, wie von einem Malerpinsel hingetupft, buntgescheckte Rinder grasen. Ein, zwei behäbige Berner Bauernhöfe und ein paar Wäldchen runden das Bild ab. Gleichsam den Rahmen für das pastorale Bild formt die Alpenkette am Horizont.
Rey weiss, wie privilegiert diese Wohnlage ist. Und sie weiss auch, dass sich die Entwicklung nicht zurückdrehen lässt, dass man Zollikofen und all die anderen missratenen gesichts- und seelenlosen Siedlungen im Schweizer Siedlungsbrei nicht mehr zurückverwandeln kann in pittoreske Bauerndörfer. Aber sie weiss eben auch, dass sie jeden weiteren Raubbau an der unvergleichlichen Landschaft stoppen muss, damit ihre Enkel und Urenkel nicht eines Tages in einem total zubetonierten Land leben müssen.
2. Auf in den Kampf mit 77 Jahren.
Deshalb hat sich die alte Dame mit ihren 77 Jahren noch einmal in den Kampf gestürzt. Fremd ist ihr die politische Auseinandersetzung nie gewesen. Als «Mutter der Fristenregelung» hat die deutsche Zeit Anne-Marie Rey einmal unfreiwillig komisch tituliert, weil sie es war, die den Kampf für die Straffreiheit der Abtreibung in der Schweiz initiierte und jahrzehntelang vorantrieb. Im März 1970 begann es mit einem Artikel im Berner Bund. Damals, so erinnert sie sich, hatte sie als Frau noch nicht einmal das Wahlrecht.
Jetzt wirft sie sich für die Ecopop-Initiative in die Bresche, jenen Vorstoss, der vom Schweizer Establishment noch umfassender und unversöhnlicher abgelehnt wird als im Februar die Masseneinwanderungsinitiative der Schweizerischen Volkspartei. «Extremistisch», «unnütz», «fremdenfeindlich», ja geradezu dumm sei der Vorschlag, Einwanderungsüberschuss in der Eidgenossenschaft jedes Jahr auf lediglich 0,2 Prozent der Wohnbevölkerung zu begrenzen, tönt es unisono von links bis rechts, von Arbeitgebern ebenso wie von Gewerkschaften, von Schweizer und von Ausländerverbänden. Auch der SVP-Führung ist die Vorlage zu einschneidend, ja zu gefährlich – obschon es an ihrer Basis eindeutig Sympathien für die InitiativeDie Initiative ist in der Schweiz ein politisches Recht der ... gibt.
Nicht nur dort, sondern auch in anderen Bevölkerungsschichten scheint man sich für den eigentlich aus linker, grüner Ecke kommenden Vorstoss zu erwärmen. Die Pendlerzeitung 20 Minuten hat an diesem sonnigen Morgen die Nation mit der Schlagzeile aufgeschreckt, dass gut sechs Wochen vor dem Abstimmungstermin am 30. November eine ziemlich deutliche Mehrheit von 53 Prozent der Schweizer Stimmbürgerinnen und Stimmbürger tendenziell ja sagen würden zu dem drastischen Schritt.
3. “Dunkle Wurzeln” und “fremdenfeindlichen Missklang”.
Für Andreas Thommen, den Sekretär des Ecopop-Komitees, ist das Engagement von Rey eminent wichtig: «Eigentlich war sie schon länger nicht mehr aktiv», meint er. «Aber als sie hörte, wie unsere InitiativeDie Initiative ist in der Schweiz ein politisches Recht der ... und unser Komitee systematisch als rechtsextrem verunglimpft wurden, hat sie sich entschlossen, sich wieder einzumischen.» Vor mehr als 40 Jahren gehörte Anne-Marie Rey zu den Mitbegründern von Ecopop, weshalb Thommen sie «unser historisches Gewissen» nennt. Wichtiger für den aktuellen Abstimmungskampf dürfte freilich eine andere Eigenschaft der alten Dame sein, die Thommen hervorhebt: «Nach so vielen Jahren Kampf hat sie ein dickes Fell.»
Das wird sie auch brauchen können, denn so bissig und böse wie jetzt wurde die diplomierte Übersetzerin und Mutter dreier Kinder noch nie attackiert. «Absolut schockierend», findet sie es, «solche Schlammschlachten, Verdrehungen, Verleumdungen, das ist doch unter allem Hund.» Damals, als es um die Fristenregelung ging, seien die Vorwürfe von «Fundamentalisten» gekommen, erinnert sie sich, Ewiggestrigen gewissermassen, die Frauen grundlegende Rechte verweigerten. «Da konnte man mit einem Achselzucken darüber hinweggehen», seufzt Rey. «Aber jetzt kommen die Attacken von Genossinnen und Genossen – und das schmerzt.»
Genau hier liegt die Crux: Rey kommt aus dem linken und dem grünen politischen Lager. Die Frauenrechte waren viele Jahre lang ein Thema, das in erster Linie von «progressiven» Kräften beackert wurde. Rey sass zudem sieben Jahre für die SP im Berner Grossen Rat. Ihre Entscheidung, sich den Sozialdemokraten anzuschliessen, fällte sie übrigens auf einer FDP-Veranstaltung: «Das waren Damen», schrieb sie in ihrer Autobiografie «Die Erzengelmacherin», – «und ich fühlte mich als Frau.»
Als Gemeinde- und Kantonspolitikerin setzte sie sich immer für Umweltthemen ein, und auch privat versucht sie ein beispielhaftes grünes Leben zu führen: Warm geduscht wird nur einmal in der Woche («Ich arbeite ja nicht körperlich auf dem Feld»), die Heizung wird auf höchstens neunzehn Grad gedreht, und wenn die Sonne durch die Fenster scheint, wird der Thermostat ganz heruntergedreht. Anne-Marie Rey war eine engagierte Grüne, eine Mutter Courage der Frauenbewegung.
Und nun ist sie angeblich nach rechts gekippt. «Dunkle Wurzeln, die da mitschwingen», hätten ihn bei der Lektüre der InitiativeDie Initiative ist in der Schweiz ein politisches Recht der ... «zum Schaudern» gebracht, lässt sich der grüne NationalratDer Nationalrat stellt neben dem Ständerat die grössere de... Balthasar Glättli vernehmen. Einen «fremdenfeindlichen» Missklang hört SP-Bundesrätin Simonetta Sommaruga heraus.
Viele Verbündete von einst wissen nicht mehr so recht, wie sie mit der Ecopopperin Rey umgehen sollen. Ist das, was sie vertritt, aus ihrer Sicht nicht unendlich viel «fremdenfeindlicher» als die Masseneinwanderungsinitiative der SVP? Im besten Falle naiv, weil sie nicht erkennt, in welche anrüchige Gesellschaft sie sich begibt. Im schlimmsten Falle ist sie eine Verräterin.
4. Die historische Schuld der Genossen.
Und was ist mit dem zweiten Teil der Ecopop-Vorlage, laut der zehn Prozent der eidgenössischen Entwicklungshilfe in den Empfängerländern zwingend für die Familienplanung eingesetzt werden müssen? «Kolonialistisch» gehört noch zu den minder schweren Vorwürfen. «Absoluter Schwachsinn», findet das Rey. «Es geht um ein grundlegendes Frauenrecht. Ausserdem spart jeder Franken, der in die Familienplanung investiert wird, zwei bis drei Franken anderswo ein.»
Tatsächlich birgt der Vorstoss von Ecopop, an dessen Ausarbeitung Anne-Marie Rey nicht beteiligt war, viele Risiken für die Schweiz, vor allem für die Wirtschaft. Ganze Branchen würden in schwerste Turbulenzen geraten, heisst es, wenn wirklich nur noch – nach derzeitigem Bevölkerungsstand – netto 16 000 Personen pro Jahr zuziehen dürften. Kein Wunder, dass die bürgerlichen Parteien, die Wirtschaftsverbände und die Unternehmen Sturm laufen gegen Ecopop. Aber warum regt sich Links-Grün so auf ?
«Unsere InitiativeDie Initiative ist in der Schweiz ein politisches Recht der ... könnte die meisten Forderungen aus links-grünen Kreisen umsetzen helfen», gibt sich Anne-Marie Rey überzeugt. «Oder ist Kritik an unbegrenztem Wachstum in einer begrenzten Welt keine urgrüne Forderung?» Sicher, es würden kaum mehr ausländische Firmen in die Schweiz kommen – und ausländische Arbeitskräfte nachholen. «Aber es ist doch viel solidarischer, wenn Arbeitsplätze dort geschaffen werden, wo die ArbeitnehmerArbeitnehmer ist, wer in einem Arbeitsverhältnis steht und ... leben.»
Wenn man sie so an dem alten, schweren Holztisch in ihrem Wohnzimmer vor dem Fenster mit dem Panoramablick sitzen sieht, käme man nicht auf die Idee, dass so viel Kampfeslust in dieser zierlichen Frau steckt.
Alles in ihrem Haus strahlt bürgerliche Gediegenheit aus. Solide Möbel, ein bisschen altmodisch, ein bisschen antik, aber alle zusammen praktisch. Den Büchern sieht man an, dass sie alle mehrmals gelesen und nicht einfach so ins Regal gestellt wurden. Neben ihrer politischen Arbeit hat Rey als Übersetzerin gearbeitet und drei Kinder grossgezogen, die längst erwachsen sind und das Haus verlassen haben. Trotz eher sozialistischer Überzeugungen eine grundbürgerliche Existenz also.
5. Konsequent die Faktoren Bevölkerungszahl und MigrationUnter Migration versteht man das dauerhafte Verlegen des Woh... verdrängen ?
Tatsächlich brodelt hinter Reys ruhiger Fassade noch immer ungeheurer Zorn. «Ich kann mich nicht gelassen zurücklehnen», gibt sie zu. Milde ist sie mit dem Alter nicht geworden: «Im Gegenteil, ich rege mich immer mehr auf.»
Zornig ist sie denn auch über ihre früheren Genossinnen und Genossen. Laden sie nicht fast eine historische Schuld auf sich, indem sie konsequent die Faktoren Bevölkerungszahl und MigrationUnter Migration versteht man das dauerhafte Verlegen des Woh... verdrängen? «Die Schweiz ist, gemessen an der besiedelbaren Fläche, nach den Niederlanden das am dichtesten besiedelte Land in Europa», rechnet sie vor. «Auch meine Utopie sind offene Grenzen, ich verstehe jeden Afrikaner, der in die Schweiz kommen will», räumt sie ein. Doch solange es derart krasse Wohlstandsgefälle zwischen Arm und Reich in Europa und in der Welt gebe, sei dieser Wunsch «illusorisch». «So kann es nicht mehr weitergehen», entrüstet sie sich. «Wir können doch nicht das Matterhorn aushöhlen und dort drinnen Leute unterbringen.»
Zu den wenigen Parteifreunden, die Rey indirekt beistanden, gehörte die Zürcher SP-Nationalrätin Jacqueline Badran. Schon bei der Vorstellung des Migrationspapiers ihrer Partei übte sie Kritik an dem Dokument, weil es «die wichtigste Frage ausblendet: Wie viel Einwanderung wollen wir, wie viel Einwanderung verträgt die Schweiz, wie viel Wanderung die Europäische Union und die Welt.».
6. «irrationalen Reflex» & immer gleich mit «rechtsextrem» und SVP.
Aber warum blendet die Linke das Thema MigrationUnter Migration versteht man das dauerhafte Verlegen des Woh... aus ? Rey sieht einen «irrationalen Reflex» am Werk: Das Thema wird immer gleich mit «rechtsextrem» und SVP gleichgesetzt», glaubt sie. Aber genau diese Kräfte sind es doch jetzt, die ihr – von der falschen Seite – Beifall spenden für die InitiativeDie Initiative ist in der Schweiz ein politisches Recht der .... Sind ihr diese falschen Freunde nicht unangenehm, ja vielleicht sogar peinlich?
Anne-Marie Rey entpuppt sich als Pragmatikerin: «In der Politik muss man Allianzen dort nehmen, wo man sie kriegt», konstatiert sie lapidar, und fügt mit feinem Lächeln hinzu: «Ich war damals schliesslich auch froh, als Christoph Mörgeli die Fristenregelung unterstützt hat.» Der SVP-Politiker, so viel klingt bei ihren Worten an, zählt normalerweise nicht zu ihren natürlichen Verbündeten.
7. Ein Feuer unter dem Allerwertesten
Sie weiss natürlich auch, dass nicht alle Befürworter der Ecopop-Initiative aus denselben Beweggründen für die Vorlage stimmen werden wie sie. Vielen wird es nicht um die Grenzen des Wachstums, um eine grüne Wirtschaftsordnung, um eine gesunde Schweiz auf einem gesunden Planeten gehen. Für diese Wähler wird Ecopop nur so etwas wie «Masseneinwanderung 2.0» sein: der zweite Durchgang, mit dem man dem politischen Establishment im Allgemeinen und dem BundesratDer Bundesrat der Schweiz bildet die Exekutive bzw. Regierun... im Besonderen ein Feuer unter dem Allerwertesten entfachen kann.
Das stimmt. Es kann noch viel passieren bis zum 30. November 2014
Quellenangabe;
http://www.weltwoche.ch/ausgaben/2014-44/mutter-courage-und-ihre-kinder-die-weltwoche-ausgabe-442014.html
- Marcel Kraus
- 02.11.2014 | 23:58 Uhr
DENKZETTEL an den BundesratDer Bundesrat der Schweiz bildet die Exekutive bzw. Regierun...: 3 x JA! Unsere Regierung hat die Bodenhaftung mit der einfachen Schweizer Bevölkerung verloren. Politische Entscheidungen werden vor allem für eine kleine Wirtschaftselite getroffen; die direkte Demokratie entwickelt sich langsam zu einer Eurokratie (Herrschaft der Eurokraten). Höchste Zeit für einen deutlichen DENKZETTEL am 30. November 2014. Wir haben endgültig genug von allen Abzockern, Bonus-Spezialisten, Spekulanten, Steueroptimierern und EU-Turbos. Ich empfehle Ihnen deshalb mit 3 x JA zu stimmen. Von dieser schallenden Ohrfeige wird sich das Establishment ni
- Marcel Kraus
- 02.11.2014 | 17:56 Uhr
Ich bin der gleichen Auffassung wie Anne-Marie Rey (SP-Mitglied): Ecopop ist unser Schutzschirm für Natur und Umwelt. Am 30. November 2014 haben wir die einmalige Chance, uns für eine nachhaltige Politik zu entscheiden. Die Schweiz kann sogar eine Pionierrolle in Europa spielen. Wer die Einwanderungspolitik mit dem Prinzip der NachhaltigkeitNachhaltigkeit - auch "Nachhaltige Entwicklung" - bezeichnet... kombiniert, handelt sorgfältig und wird langfristig belohnt. Statt kurzfristige Profite zu maximieren, können wir langfristig den Wohlstand für die ganze VolkswirtschaftAls Volkswirtschaft bezeichnet man einen [[Wirtschaftsraum]]... garantieren. PS: Ich war viele Jahre CVP-Mitglied.
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