Die freie Wahl der Schule ist in der Schweiz erst ab der 10. Klasse möglich, doch immer mehr Eltern fordern, dass sie bereits früher eingeführt wird. Der so entstehende Wettbewerb zwischen den Schulen soll die Qualität der Bildung steigern. Viele sehen darin aber auch Nachteile.
Dieser Text zeigt auf, wie eine freie Schulwahl in der Schweiz aussehen könnte und welches die Vor- und Nachteile sind. Dazu werden Argumente von Befürwortern und Gegnern diskutiert und ein Blick auf Erfahrungen im Ausland geworfen.
Freie Schulwahl in der Theorie
Heute wird jedem Kind ein Platz in einer staatlichen Schule zugeteilt. Diese werden direkt von der Gemeinde oder dem Kanton finanziert. Entsprechend ist es unmöglich, die Schule frei zu wählen.
Um die freie Schulwahl einzuführen, wird daher oft diskutiert, dass anstelle der direkten Finanzierung ein System mit Bildungsgutscheinen (sog. Voucher-System, siehe Kasten) eingeführt wird. Dabei erhält jedes Kind einen Bildungsgutschein. Die Eltern wählen nun für ihr Kind die Schule, welche sie für die beste halten und bezahlen diese mit dem Gutschein. Durch diese Massnahme stehen öffentliche und private Schulen untereinander im Wettbewerb und würden um die Gunst möglichst vieler Schüler kämpfen. Das Resultat – so die Befürworter – wären Schulen, die optimal auf die verschiedenen Bedürfnisse der Schüler ausgerichtet seien.
Blick auf das Ausland
Die oben genannte Idee wird in diversen Ländern sehr unterschiedlich in die Praxis umgesetzt. Die Erfahrungen aus dem Ausland zeigen, dass bei blosser Wahlfreiheit nicht genügend Wettbewerb mit all seinen Vorteilen entsteht. Erst wenn das System so ausgestaltet wird, dass mit dem Schüler die finanzielle Basis zur Schule kommt (beispielsweise mit Bildungsgutscheinen), wird die Wahlmöglichkeit aus Qualitätsgründen (z.B. bessere Infrastruktur) auch genutzt. Dies kann man allerdings nur feststellen, wenn vergleichende Standards und Tests existieren. In Tabelle 1 werden vier europäische Länder mit freier Schulwahl untereinander verglichen.
Dänemark
In Dänemark herrscht nicht Schulpflicht, sondern Unterrichtspflicht. Das heisst, es kann frei zwischen öffentlichen und privaten Schulen gewählt werden, daneben wird auch Homeschooling (1% der Schüler) (siehe Kasten) akzeptiert. Der Staat finanziert die Mehrheit der Kosten für Privatschulen auf Basis der Schülerzahl und gibt einen Lehrplan vor. Die Eltern bezahlen die restlichen 20%, was ca. CHF 1500 pro Jahr ausmacht. Die Zahl der privaten Schulen ist in den letzten Jahrzehnten ständig gestiegen und sie haben mittlerweile einen Schüleranteil von 12%. Nicht zuletzt dank der langjährigen Erfahrungen scheint die Wahlfreiheit in Dänemark gut zu funktionieren.
Schweden
Dieses skandinavische Land kennt die freie Schulwahl mittels Voucher-System seit Anfang der neunziger Jahre. Vor allem in städtischen Gebieten wird davon auch gebraucht gemacht. Wie bei anderen Voucher-Systemen trat als Nebeneffekt eine sozioökonomische Segregation (siehe Kasten) der Schüler auf. Dabei schicken vor allem besser gebildete und einkommensstarke Familien ihre Kinder in dieselbe Schule, während Kinder aus ärmeren Verhältnissen die andere besuchen. Ebenso sind die Kosten in Schweden durch die Einführung der Wahlfreiheit nicht gesunken. Allerdings hatte die Konkurrenz unter den Schulen wohl eine leichte Steigerung der Bildungsqualität zur Folge.
Finnland
Im Zusammenhang mit den PISA-Studien wurden in den letzten Jahren vielfach die Leistungen der finnischen Schüler hervorgehoben. Finnland kennt die Wahlfreiheit zwischen privaten und öffentlichen Schulen, allerdings gelten strikte Regeln. Der Staat behält die Kontrolle über Lehrplan und Lehrerschaft. Zudem dürfen beispielsweise bei der Wahl einer Privatschule keine zusätzlichen Kosten anfallen und der Schulweg darf nicht mehr als 5 km betragen. Durch diese Einschränkungen ist der Anteil Schüler an privaten Instituten sehr gering und darum sind Auswirkungen der Wahlfreiheit kaum spürbar.
Niederlande
Die Holländer kennen die wohl bunteste Schullandschaft mit mehr als 400 unterschiedlichen Schulprogrammen. Für Lehrpläne und Unterricht sind die einzelnen Schulen abgesehen von Richtlinien des Staates selber verantwortlich. Deshalb gibt es viele Institute, die sich beispielsweise an religiösen Gesichtspunkten orientieren. Die PISA-Studie attestiert dem niederländischen Modell gute Noten was die Leistung anbetrifft. Jedoch treten wie in Schweden Tendenzen auf, dass eine Segregation nach Hautfarbe auftritt.
Dänemark | Schweden | Finnland | Niederlande | |
Freie Wahl der Schule | Ja | Ja | Ja | Ja |
Freie Schulwahl seit: | 1849 | 1992 (Bildungsgutscheine) | keine Angaben | 1848 |
Vom Staat vorgegebener Lehrplan | Ja | Ja | Ja | Nein, nur Richtlinien |
Privatschulen vom Staat finanziert | Zu 80% | Zu 100% (mit Bildungsgutscheinen) | Zu 100% | Zu 100% |
Einheitliche Leistungstests | Ja | Ja | Ja | Ja |
%-Anteil Schüler in Privatschulen | 12% | 7.4% | 2.2% | 70% |
PISA-Rang 2006 (Lesen/Rechnen) | 19 / 15 | 10 / 21 | 2 / 2 | 11 / 5 |
Tabelle 1: Länderübersicht
Situation in der Schweiz
Grundsätzlich teilen sich in unserem Land Bund und Kantone die Bildungsverantwortung, allerdings haben die Kantone wegen des FöderalismusDer Föderalismus ist ein Organisationsprinzip, bei welchem ... weitgehende Selbstbestimmungsrechte. Der Bund sorgt lediglich für die Sicherung der Qualität.
Bestrebungen für die freie Schulwahl sind deswegen vor allem auf Kantonsebene im Gange. Im Kanton Baselland wurde Ende 2008 dazu bereits eine InitiativeDie Initiative ist in der Schweiz ein politisches Recht der ... abgelehnt, der Gegenvorschlag zur Erhöhung der staatlichen Gelder für Privatschulen aber angenommen. Später wurde zudem die freie Schulwahl für Kindergarten und Primarschule erleichtert.
Ebenso wurden in den Kantonen St. Gallen (November 2009) und Thurgau (April 2009) Initiativen zur freien Schulwahl eingereicht, während in Basel-Stadt und Solothurn Unterschriften gesammelt werden. Im Kanton Waadt wurde im September 2009 eine PetitionIn der Schweiz hat gemäss Art. 33 der Bundesverfassung jede... eingereicht.
Inhaltlich wird vor allem die freie Wahl zwischen staatlichen und privaten Schulen gefordert. Der Staat soll den Privatschulen für jedes Kind einen bestimmten Beitrag bezahlen. Dieser Beitrag entspricht dabei den Kosten, welche ein Kind auch an staatlichen Schulen verursachen würde. Für den Staat entstehen damit keine zusätzlichen Kosten aber die Eltern hätten die Möglichkeit ihre Kinder an eine Privatschule zu schicken. Zudem soll der Zugang ohne ethische, religiöse und finanzielle Einschränkung möglich sein.
Argumente der Befürworter
In der Bundesverfassung steht, dass ein Kind Anrecht auf unentgeltlichen Unterricht bei einer Schule bekommt. Damit dies für alle Kinder in der Schweiz gelte, müsse eine Wahlfreiheit eingeführt werden.
Die Verfechter der freien Schulwahl wollen zudem erreichen, dass jedes Kind ungeachtet der geografischen Herkunft oder sozialen Stellung optimal ausgebildet werden kann. Durch die Einführung der genannten Massnahmen verbessere sich die Qualität sowie Transparenz, da die Schulen unter Qualitätsdruck stehen würden. Ferner gehen die Befürworter davon aus, dass viel Geld für Sondermassnahmen eingespart werden könnte, da nun die optimalste Schule für das Kind ausgewählt werden könnte. Die freie Schulwahl sei zudem ein Mittel gegen die zunehmende Schliessung von Schulen auf dem Land. Die gefährdeten Schulen könnten dann von Eltern übernommen und damit gerettet werden. In Deutschland werde dies erfolgreich in die Praxis umgesetzt.
Die Befürworter werden von einer OECD-Studie unterstützt. Diese sagt aus, dass sich der Schulerfolg für schlechter Lernende durch Massnahmen wie die freie Schulwahl eher verbessert als verschlechtert. Die Wahlfreiheit ermögliche zudem schulische Erfolge, die nicht von der Herkunft der Kinder abhängen.
Argumente der Gegner
Die Gegner befürchten bei der Einführung der Wahlfreiheit praktische Probleme. Erfahrungen im Ausland hätten gezeigt, dass die Kosten für die Bildung steigen würden. Weiter hätten bevorzugte Schulen möglicherweise nicht genügend Infrastruktur. Da die staatlichen Schulen jedem Kind einen Platz garantieren müssten, könnten zudem viele ungenutzte Plätze entstehen. Die Gegner sind ausserdem nicht der Meinung, dass Sondermassnahmen eingespart würden, denn es müsse weiterhin spezielle Massnahmen beispielsweise für Legastheniker oder Hochbegabte geben.
Das Argument, dass durch die freie Schulwahl Schulen gerettet werden können, lassen die Gegner ebenfalls nicht gelten. Sie weisen darauf hin, dass in der Schweiz teilweise keine anderen Schulen innerhalb vernünftiger Distanzen entstehen könnten. Wenn nun von gefährdeten Dorfschulen Kinder abwandern, so wären diese ohnehin nicht mehr zu retten.
Bildungswissenschaftler halten die Einführung einer freien Schulwahl in der Schweiz noch verfrüht. Da es noch keine einheitlichen Standards gibt, könne man die Schulen nur schlecht vergleichen. Damit wären die Qualitätsunterschiede zwischen Schulen nicht messbar. In der Schweiz sind Bestrebungen für einheitliche Standards aber erst im Aufbau. Ausserdem würden Beispiele aus dem Ausland zeigen, dass die blosse Schulwahl alleine noch wenig Wettbewerb mit sich bringe.
Fazit
Die obige Diskussion hat gezeigt, dass die Auswirkungen der Wahlfreiheit stark von der Umsetzung abhängen. Die Idee der freien Schulwahl wurde bisher in vielen Ländern mit unterschiedlichen Schulsystemen und –stufen, Zielen und Rahmenbedingungen eingeführt. Die Erfahrungen aus dem Ausland zeigen, dass Systeme mit freier Schulwahl ebenso wie staatliche Schulinstitute Spitzenplätze in der PISA-Rangliste erreichen können. Bei einer Einführung von Bildungsgutscheinen oder Wahlfreiheit ohne grosse Einschränkungen besteht allerdings die Gefahr von soziökonomischer Segregation, wie sie beispielweise in Schweden oder in Holland auftritt.
Bisherige Erfahrungen zeigen ebenfalls, dass Schulen einfach aus negativen Gründen, z.B. wenn die Eltern nicht mit dem Lehrer auskommen, gewechselt werden. Damit aber eine Schule aus Qualitätsgründen (z.B. bessere Lehrer) gewechselt wird, braucht es öffentlich zugängliche Informationen, die einen Vergleich zulassen. In der Schweiz herrschen derzeit noch viele unterschiedliche Rahmenbedingungen. Eine schweizweite Einführung der freien Schulwahl wäre wohl daher erst nach der derzeit laufenden Vereinheitlichung der Bildung sinnvoll. Es hat sich aber beispielsweise in Finnland gezeigt, dass die staatlichen Schulen nicht zwingend in Gefahr sind, wenn sie im Wettbewerb mit privaten Anbietern stehen. Denn die Nähe zur Schule ist oftmals das wichtigste Wahlkriterium. Das Gesetz kann zudem je nach Ausgestaltung die staatlichen Schulen stärker oder schwächer schützen.
Literaturverzeichnis
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European Agency (2006). Country information Finland. Gefunden am 10. Nov. 2009 unter Link
Kanton Baselland] (2005). Formulierte Verfassungsinitiative „Ja, Bildungsvielfalt für alle“. Gefunden am 10. Nov. 2009 unter Link
Neue Zürcher Zeitung [NZZ] (2008). Freie Schulwahl: Einfache Idee, schwierige Umsetzung. Gefunden am 14. Nov. 2009 unter Link
Neue Zürcher Zeitung [NZZ] (2009). Den Kleinen soll die Schule vorgeschrieben werden. Gefunden am 23. Sept. 2005 unter Link
Oelkers, J. (2007). Expertise Bildungsgutscheine und Freie Schulwahl. Gefunden am 02. Nov. 2009 unter Link
Organisation for Economic Co-operation and Development [OECD] (2007). The program for international student assement (PI-SA). Gefunden am 14. Nov. 2009 unter Link
Organisation for Economic Co-operation and Development [OECD] (2007). School Accountability, Autonomy, Choice, and the Equity of Student Achievement:International Evidence from PISA 2003. Gefunden am 14. Nov. 2009 unter Link
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