Versagen Wirtschaft und Politik, reagieren wir nicht gleich: Bei der Wirtschaft warten wir auf den Aufschwung, der so sicher kommt, wie das Amen in der Kirche. In der Politik erwarten wir dagegen Reformen, für die wir selber besorgt sein müssen. Tun wir das, fordere ich hier.
2009 war ohne Zweifel ein Jahr, das den Eindruck des Politikversagens hinterlassen hat. Der Bundespräsident handelt in der Libyenfrage eigenmächtig und wurde vorgeführt. Der Bundesrat hob das Bankgeheimnis mit Knall und Fall auf, obwohl er es bis vor kurzem für nicht-verhandelbar bezeichnet hatte. Und das Parlament sieht sich in der Steuerfrage einer flächendeckenden Politikänderung gegenüber, nachdem fast all unsere Nachbarn Forderungen zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung deponiert haben.
„Gouverner c’est prévoir“, lautet ein viel zitierter Satz. Und genau an der fehlenden Vorausschau leidet die Schweiz besonders. Deshalb ist die Politik herausgefordert. Politologe Hanspeter
Kriesi analysierte das kürzlich so: Das politische System der Schweiz muss seine Leistungsfähigkeit vor allem nach Aussen erhöhen. Die Kohärenz der Politik muss verstärkt werden. Und der Bundesrat muss mehr Führungswille zeigen.
Die Befunde sind nicht wirklich umstritten. Uneinig ist man sich aber, auf welcher institutionellen Basis das geschehen soll.
Der Bundesrat will an der Zahl seiner Mitglieder festhalten, das Präsidium aber aufwerten. Zweijährige Pensen neben der Departementsarbeit schwebt ihm vor. Bereitschaft zeigt er auch, die Departementsaufteilung zu überprüfen.
Im Zentrum steht die Schaffung eines Bildungsdepartements, um die wichtigste Ressource der Schweiz gezielter entwickeln zu können.
Die Parteien haben andere Vorstellungen: Die SVP ortet das Hauptproblem beim Wahlmechanismus des Bundesrates. Deshalb muss nach ihrer Auffassung die Volkswahl her. Die Grünen wiederum möchten die Zahl der Mitglieder erhöhen, um die politische Abstützung breiter zu machen. Beides riecht ein wenig nach Eigeninteressen.
Mein Eindruck des Problems ist umfassender: Die Schweiz geht den Weg einer bürgerlichen geprägten Republik, die früher und weitergehender als andere demokratisiert worden ist, und zur Integration der verschiedenen Kräfte grossmehrheitlich ein Konkordanzsystem entwickelt hat. Die plurikulturelle Zusammensetzung des Landes und der Druck der Volksrechte sorgen unverändert dafür, das Regierungssystem auch inskünftig nach den Spielregeln der KonkordanzIn der Politik bezeichnet man Konkordanz als ein Prinzip, da... auszugestalten.
Erhöht werden muss unsere Fähigkeit, globale und europäische Entwicklungen in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik besser aufzunehmen, zu bewerten und zu verarbeiten. Das sollen vor allem Fachleute übernehmen und der Politik vermitteln. Diese wiederum darf Politik nicht einfach als Verlängerung von Wirtschaftsinteressen und Gesellschaftstrends sehen, sondern als demokratische erarbeitete Gestaltung allgemeinverbindlicher Regeln für das Handeln in der Schweiz.
Vor diesem Hintergrund ist die Zukunftsfähigkeit der politischen Institutionen. Expertenmeinungen und PolitikerInnen- und Bevölkerungswünsche sollen in drei Themenbereichen einfliessen und zu einer umfassenderen Regierungsreform führen.
Namentlich sind das:
Welche Form soll der Bundesrat haben: eine Bundesregierung mit einem Präsidium, mit einer zweiten Ebene, bestehend aus StaatssekretärInnen oder mit mehr BundesrätInnen?
Auf welche Art soll der Bundesrat gewählt werden: Durch das ParlamentDas Parlament ist in demokratischen Verfassungsstaaten die V..., durch das Volk, einzeln, oder als konkurrierende Teams, die für mindestens vier Jahre zusammenarbeiten wollen?
Welche parteipolitischen Zusammensetzung soll der Bundesrat haben: mit mehr oder weniger Parteien, unter Einschluss der Grünen, oder unter abwechselnden Ausschluss von SVP und SP?
Wenn junge Menschen sich daran beteiligen, sollte es die älteren nicht nur freuen. Denn es sollte eine Selbstverständlichkeit sein, sich an der Regelung der eigenen Zukunft zu beteiligen.
Claude Longchamp
Personen haben auf diesen Beitrag kommentiert.
Kommentare anzeigen Hide commentsdas würde zum Chaos führen wie man die SVP kennt werden sie keine demokratische Abstimmung die gegen Sie fällt, mit einer ähnliche Initiative bekaämpfen und geht das in die Hose werden die anderen parteien verunglimpft und die Umsetzung wir mit einem Referendum blockiert
Welches Problem soll mit einem starken Bundespräsidium, der Erhöhung der Anzahl Bundesräte, der zweistufigen Regierung oder gar einer grundsätzlichen Abkehr von der Regierungsbeteiligung gemäss dem Gewicht der Parteien im Parlament gelöst werden? Die Ueberlastung des Bundesrates ist ein Mythos und der Leistungsausweis unseres Konkordanzsystems im internationalen Vergleich hevorragend. Dies auch dann, wenn sich die Parteien in der Oppositionsrolle zunehmend genau so gut gefallen wie in der Regierungsverantwortung (was FDP und CVP fallweise genau so halten wie – schon fast traditionell – SP und SVP). Unsere Demokratie ist lebendig wie schon lange nicht mehr. Es wird debattiert und um politische Gunst gerungen. Die Gewichte verschieben sich, das Zentrum formiert sich neu, Pläne und Allianzen werden geschmiedet. Was wollen wir eigentlich mehr? – Dass es der Bundesrat in diesem Umfeld nicht leicht hat, versteht sich. Gerade deshalb sollte er sich auf seine Aufgabe konzentrieren können: auf das Regieren, nicht auf das Reformieren.
Passend zu diesem Thema:
Der neuste Text von VIMENTIS zur Reform des Bundesrates:
https://vimentis.ch/d/publikation/183/Die+Reform+des+Bundesrates.html
Die Schweiz braucht keine Regierungsreform, sondern fähigere und selbstbewusstere Bundesräte, die unsere Interessen wahrnehmen und nicht immer auf das Wohlwollen von Dritten (EU, OECD, UNO, Menschenrechtsrat usw.) schielen. Dann bessert sich einiges !
Wie in einem anderen Blog kann ich hier nur das gleiche schreiben:
“Die Wirtschaft und die Politik schreien dauernd nach Wachstum, welches gar nicht mehr notwendig ist, sondern nur die natürlichen Ressourcen unnötig verschwendet.
Weltweit gibt es ca. 6,9 Milliarden Menschen – wir aber produzieren Lebensmittel für ca. 12,8 Milliarden Menschen und trotzdem sterben täglich Menschen den Hungertod.
Es wird ständig von Problemen = “nicht lösbar” gesprochen, statt von Aufgaben für welche man eine Lösung finden muss!
Die Wirtschaft ist einer rasanten Weiterentwicklung unterworfen – nur die Gesellschaft verbleibt in veralteten und nicht mehr funktionierenden Struckturen.
Für die meisten “Probleme” gibt es die Lösung durch ein bedingungsloses Grundeinkommen (siehe: http://www.kultkino.ch/kultkino/besonderes/grundeinkommen).
Es geht nicht mehr ohne den Wachstumswahnsinn zu beenden und nach Lebensqualität für alle zu streben.”
Dann brauchen wir keine Veränderung der Regierung – alle sind zum Umdenken eingeladen!
Einverstanden – wir brauchen keine umfassende Regierungsreform. Was wir aber dringend brauchen, sind charaktervolle, sensible, lebenserfahrene und unabhängige Köpfe, die aus innerer Überzeugung handeln und mit sicherem Instinkt die drängenden Zeitfragen erkennen und sie beantworten können.
Sehr geehrter Herr Longchamp
Für ihren unermüdlichen Einsatz als Politikwissenschaftler mit vielen Medienauftritten möchte ich ihnen an dieser Stelle ganz herzlich danken. Ebenfalls besten Dank für das Nachfragen der Meinungen zum Thema der Regierungsreform. Gerne gebe ich dazu meinen Beitrag ab und stelle neue Möglichkeiten zur Diskussion.
Ich bin der Meinung wir sollten bei sieben Bundesräten bleiben. Diese sieben Bundesräte sollen sich mehr um die strategischen sowie planerischen Anliegen kümmern. Neue zu wählende Bundesräte müssen diesen strategischen Aufgaben gewachsen sein. Es darf sein, dass die Departemente durch eine zweistufige Struktur von Staatssekretären geführt werden. Sinnvoll halte ich es, im Zusammenhang mit der Regierungsreform gewisse Verschiebungen der Zuständigkeiten der Departemente durchzuführen.
Die Wahl der sieben Bundesräte soll weiterhin durch das Parlament erfolgen. Die Versprechen an die Lobbyisten vor der Wahl haben in einem demokratischen Wahlkampf nichts zu suchen. Diese sollen mit geeigneten Mitteln reduziert werden. In den 18 Monaten vor den Parlamentswahlen sollen Rücktritte nicht mehr durch Kandidaten der gleichen Partei ersetzt werden können. Ausgenommen bei vorliegenden zwingenden Rücktrittsgründen.
Aus meiner Sicht sind vier Parteien ideal für die Konkordanz-Regierung. Gemäss aktueller Wählerstärke heisst dies 2x SVP, 2x SP, 2x FDP, 1x CVP. (Mit einem zusätzlichen Bundespräsidenten könnte dies heissen 2x SVP, 2x SP, 2x FDP, 2x CVP)
** Zusätzlicher Bundespräsident **
Zusätzlich zu den sieben Bundesräten soll meines Erachtens ein Bundespräsident amtieren. Er erhält zusätzliche Kompetenzen. Dieser Bundespräsident soll gleichzeitig mit den Parlamentswahlen VOM VOLK gewählt werden. Die Amtszeit beträgt fest fixiert vier Jahre bis zu den nächsten Wahlen – ohne Wiederwahlmöglichkeit. Nach der Amtzeit fügt er sich wieder ins Parlament ein. Mit dieser Regelung kann gegenüber dem Ausland eine grössere Konstanz und eine gute Legitimation für das Wirken erreicht werden.
DIE BUNDESREGIERUNG BENÖTIGT EINE PERSON MIT BEVÖLKERUNGSVERTRAUEN
Die Aktivitäten rund um die Vertragswerke der Schweiz mit der EU sind für die Bevölkerung sehr geheimnisvoll und immer wieder voller Überraschungen. Die vertretenen Interessen des Bundesrates sind NICHT klar erkennbar. Insbesondere die bisherige Weigerung sich um die negativen Folgen der Personenfreizügigkeit zu kümmern ist ein DEUTLICHES ALARMSIGNAL.
Eine Person des Vertrauens wird in der Regierung benötigt.
Mein Vorschlag: Der Bundespräsident wird neu von der Bevölkerung gewählt. Die Wahlen finden jährlich statt. Die maximale Amtsdauer beträgt vier Jahre. Ein automatischer Mechanismus wird eingeführt, so dass die Person bei einer allfälligen Abwahl normalerweise in den Nationalrat zurückkehrt. In Detailabklärungen wird bestimmt, wie die bisherige Funktion benennt wird, sowie wie die strukturelle Zusammenarbeit mit der Bundeskanzlerin und der bisherigen Funktion des Bundespräsidenten sein wird.
Die aktuellen Vorgänge sind einer direkten Demokratie nicht würdig. DER BEDARF EINER VERTRAUENSPERSON FÜR DIE BEVÖLKERUNG MUSS DRINGEND BEHANDELT WERDEN.