Liebe Demokraten, Pazifisten, Schweizer und Europäer,
wie Ihr alle bin auch ich für friedliche Konfliktlösung, auf dem Verhandlungsweg und im Rahmen des internationalen Rechts. Wir haben wirklich gute Erfahrungen damit gemacht im Europa der letzten 70 Jahre, Probleme auszudiskutieren, Verträge abzuschliessen und uns in etwa daran zu halten. Viel bessere als mit den Weltkriegen, Laichenbergen und Wirtschaftskrisen in den Jahrzehnten davor. Wir sind dabei zu Wohlstand gekommen, und auch zu einer gewissen Dekadenz.
Und nun kommt da einer und spielt nicht mit. Er hält sich nicht an die selbst unterschriebenen Verträge (Budapest-Memorandum zur Garantie der territorialen Integrität der Ukraine im Austausch gegen die Abgabe der sowjet-ukrainischen Atomwaffen), nicht an das internationale Kriegsrecht (wonach Truppen nach ihrer Landeszugehörigkeit gekennzeichnet sein müssen), nicht an internationale Gepflogenheiten (dass man sich dem Gespräch mit einem anderen Land nicht grundsätzlich und zum vornherein verweigert). Er schickt einfach seine Armee, um Tatsachen zu schaffen, Regionalpräsidenten auszutauschen, in anderen Ländern Abstimmungen anzusetzen, fremde staatliche Organe in ihre Amtshäuser zu sperren, alles in der nicht unbegründeten Annahme, die Armee sei abschreckend genug, dass die andern dies schon irgendwie akzeptieren würden.
Was tut Europa? Was tun wir? Wir drücken unsere Betroffenheit aus. Wir appellieren. Wir denken mit grossen Gesten darüber nach, allenfalls einer Konferenz fernzubleiben. Sagen, dass wir nächste Woche sogar über Reisebeschränkungen diskutieren könnten. Natürlich nur für zwei Hände voll unbedeutendes Provinzpersonal. Natürlich muss dem internationalen Recht Nachachtung verschafft werden. Gleichzeitig möchten wir ja den Russen nicht etwa verärgern, schliesslich haben wir russisches Gas auch lieber billiger statt teurer. Maschinen, Züge, Autos, Hochtechnologie nach Russland exportieren möchten wir auch. Und diesmal hat der russische Hegemonial-Appetit nicht uns selbst getroffen, sondern nur ein paar wirtschaftlich unbedeutende Möchtegern-Europäer am Rand unseres Weltbildes.
Liebe Leute, so geht das nicht! Wenn wir weiterhin in einem friedlichen (nie wieder Krieg!), demokratischen (nicht nur Wahlen, sondern Wahlfreiheit!) Europa leben wollen, das seine Probleme auf dem Verhandlungsweg löst statt die militärische Macht des Stärkeren sprechen lässt, genügt diplomatische Selbstbeweihräucherung fürs Posesiealbum nicht. Vielmehr müssen wir jetzt diese Regeln des europäischen Zusammenlebens umfassend durchsetzen. Sonst werden andere andere Regeln durchsetzen.
Nein, ich meine nicht, dass wir jetzt auch beginnen, Kanonenbootpolitik zu betreiben im amerikanisch-russisch-chinesischen Stil – überhaupt nicht (die war in den letzten Jahrzehnten auch nirgendwo nachhaltig erfolgreich). Sondern, dass wir unsere friedlichen Mittel mit aller Vehemenz einsetzen: Komplette Unterbrechung des Zahlungsverkehrs, unter Blockierung aller russischen Auslandsvermögen bis zum Abzug der Truppen. Boykott von russischen Rohstoffen. Stopp des Technologietransfers jenseits des Dampfkochtopfs. Und alles schön erklärt und aufbereitet auf russisch für russisches Publikum, per Satellitenfernsehen direkt bis Mittelsibirien.
Das wird mitnichten schmerzfrei abgehen. Es wird Geld kosten, Arbeitsplätze vielleicht, zu hohen Gasrechnungen und kühlen Wohnungen führen. Aber es wird wirkungsvoll, weil sich die russische Bevölkerung selbst gegen eine nutzlose militärische Expansionspolitik mit verheerenden wirtschaftlichen Folgen einsetzen wird, wie schon nach Afghanistan. Und ein demokratisches Europa ohne Krieg als Mittel für die Durchsetzung nationaler Interessen ist einen hohen Preis wert.
Wenn wir unsere Prinzipien für billiges Öl und politisches Appeasement verkaufen, uns in die Wohlfühlecke verkriechen und darauf warten, ob das Wetter von selber wieder besser wird, droht es uns gleich zu ergehen wie Viktor Janukovych. Einer seiner Oligarchenvorbilder , Igor Kolomojskyj (der Gouverneur des Oblasts Dnjepropetrovsk), hat gesagt: „Janukowitsch war nicht fähig, bei Bedarf selbst auf etwas kleines zu verzichten. Deshalb hat er am Schluss alles verloren“.
Personen haben auf diesen Beitrag kommentiert.
Kommentare anzeigen Hide comments‘Was tut Europa? was tun wir?’ Am Besten nichts, weil gerade denn, kommt es zum Krieg.
http://www.ostschweiz-am-sonntag​.ch/aktuell/international/international-sda/Weiterer-Krim-Grenzposten-uebernommen;art253652,3730346
“Was tut Europa? – am besten nichts.” Das hat Chamberlain auch gesagt, als das Deutsche Reich das Sudetenland haben wollte. Der Rest ist Geschichte.
Die Schweiz gilt seit jeher als neutrale Nation und das soll auch so bleiben. Wir sind Nichtmitglied der EU und brauchen uns deshalb auch nicht diesem Bürokratenkomplotthaufen zu unterwerfen. Was von diesem reinen Bürokratengremium zu halten ist hat sich nach der MEI und nun mit der Ukraine gezeigt. Hände weg. Friedensverhandlungen anbieten, mehr nicht.