1. Wirtschaft

Konsumtipp Aktiengesellschaft

Sanktionen?

Sanktione​​n sind in der internationalen Politik voll im Trend. Die Welt leide an »Sanktionitis«, könnte man fast sagen. Die Frage ist natürlich nur, ob die Sanktionen von der Politik auch wirklich am richtigen Ort verhängt werden…
Letztlich ist es aber immer an erster Stelle nicht die Politik sondern die Konsumentin und der Konsument, die sich zu überlegen haben, was sie durch ihr Konsumverhalten bewirken, was sie fördern wollen und was nicht. Es sind die Konsumentinnen und Konsumenten, die das Heft in der Hand haben, ihren eigenen Konsum verantwortungsbewusst​​​ zu steuern. Und mit vereinten Kräften hätten sie sogar eine geballte Macht, Konzerne in die Knie zu zwingen.

Nach reiflicher Überlegung bin ich zum Schluss gekommen, dass es eben doch nicht zu extrem sondern einfach nur sehr aufmerksam ist, das weltbeherrschende cor​​​porate system – das weltumspannende System von gewinnorientierten Konzernen einschliesslich des auf ihnen aufbauenden Börsenhandels – als im Grundsatz hoch problematisch zu erkennen.

Das Corporate System als Problem wahrzuhaben, bedeutet allerdings nicht, dass länderübergreifende und völkerverbindende Projekte schlecht oder dass nur multinationale Konzerne übel wären. Der Hund ist woanders begraben: in der skrupellosen, alles korrumpierenden Profi​​​torientierung und deren desaströsen Folgen für Menschen, Tiere und Umwelt.

Etwas Markt schadet nicht

Die stetigem wirtschaftlichem Wachstumsdruck und Wettbewerb folgende Ausbeutung von Menschen, Tieren und Umwelt ist lebensfeindlich. Die stetigen Bestrebungen der Konzerne, Erträge weiter zu steigern und gleichzeitig die Kosten zu senken, um in der Marktwirtschaft gegen die Konkurrenz anderer mächtiger Konzerne zu bestehen, quetscht die Natur gnadenlos wie eine Zitrone aus. Allerdings ist nicht die Marktwirtschaft per se schlecht.
Etwas Markt schadet nicht. Etwas Markt entspricht sogar der ganz natürlichen Art der Menschen, lebensnotwendige Güter zu verteilen. Aber der Konkurrenzkampf auf dem Dorfmarkt und unter seinen Teilnehmerinnen und Teilnehmern hielt sich – vielleicht notgedrungenermassen,​​​ vielleicht aber auch weil man im Dorf einfach eine menschliche Lebensgemeinschaft bildete und in deren Rahmen über den wöchentlichen Markt hinaus miteinander zu tun hatte – in engen, sozial und ökologisch verträglichen Grenzen. Die Mittel, mit denen Konzerne den Konkurrenzkampf führen, bluten die Erde hingegen aus. Die Konzernmanager und -kader leben dazu abgehoben, von ihren untergebenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern stark abgegrenzt – wenn nicht grad hinter Panzerglas so doch immer noch in ihren Villen und Luxuskarossen und teils von Sicherheitsfirmen rund um die Uhr geschützt – in »steueroptimierten« Reichenghettos weitab der Siedlungen des gemeinen Volks und ohne persönlichen Kontakt zu diesem.
Um diesen Unterschied zwischen dem Wettbewerb auf dem Dorfmarkt und dem internationalen Wettbewerb der Multis zu verdeutlichen, lässt sich der Boxsport zum Vergleich anführen: Boxen ist Konkurrenzkampf par excellence. Liesse man aber die Regeln dieses Zweikampfs fallen, um den Kontrahenten völlig frei die Wahl der Waffen zu lassen, mit denen sie den Gegner zu besiegen versuchen, würde aus dem Boxkampf sehr schnell ein Kampf mit allen Mitteln. Es würde daraus ein Kampf, der so verbissen mit allen Mitteln um den Sieg geführt wird, dass er womöglich sogar für das Publikum gefährlich würde. Es würde ein Kampf daraus, der regelmässig Tote fordert. Analog verhält es sich mit dem von Konzernen geführten Konkurrenzkampf. Er wird gnadenlos mit den (nur) Konzernen zur Verfügung stehenden Mitteln und an den Börsen geführt – mit entsprechenden Auswirkungen auf das Gesamtsystem Erde.

Rowdys sind das Problem

Fazit:

  • Nicht der Markt an sich ist das Problem. Das Problem sind die Marktteilnehmer, die sich wie Rowdys verhalten und auch mit Mitteln einfahren, mit denen sie Konkurrenz gnadenlos über den Haufen fahren.
  • Das Problem ist die Gruppe von Rowdys, die inzwischen den Markt beherrscht und in einem unsäglichen Konkurrenzkampf weltweit Kollateralschäden verursachen, die uns alle in Mitleidenschaft ziehen. Überfischung der Meere ist nur ein Beispiel dafür, eines aus der Umwelt.
  • Das Problem ist das Fehlen geeigneter, umweltgerechter, lebensfreundlicher Regeln beziehungsweise das Fehlen eines Sicherheitsdienstes, der die Rowdys vom Marktplatz weist.

Solche Rowdys zu identifizieren und namentlich zu nennen, war eigentlich das Ziel des Konsumtipps meines Blogs. Darum geht’s ganz zentral: um unethisches Verhalten und Strafe dafür. Nun bin ich aber zum Schluss gekommen, dass das Corporate System, das uns beherrscht (und auch die Demokratie aushöhlt) als Ganzes zum Problem geworden ist, und zwar durch den Konkurrenzkampf, den es in sich – damit aber auch gegen alternative Angebote (die Konzerne ersticken mit ihrer Übermacht und ihrem ätzenden Konkurrenzdruck gesunde Alternativen geradezu im Keim) – führt.

Geld, das Mass aller Dinge

Im allumfassenden System des Wettbewerbs, in dem Geld das Mass aller Dinge ist, haben die Konzerne auch gesellschaftlich leichtes Spiel, die Menschen zu unterjochen: wer zahlt, befiehlt. Alle sind auf Geld angewiesen. In der Politik mischen die Konzerne mit dem gleichen Rezept mit. Sie zahlen Heerscharen von Lobbyisten, die dafür sorgen, dass in den Parlamenten dieser Welt Gesetze auf ihre Interessen (Profite) zugeschnitten werden.
Selbst die Wissenschaftler sind zu haben für kleine (finanzielle) Aufmerksamkeiten. Die entsprechende Lobbyarbeit, mit der Pharmaindustrie und andere Medizinalkonzerne Ärztinnen und Ärzte umgarnen, zum Beispiel ist hinlänglich bekannt. Dass es Aktivitäten der Nahrungsmittelkonzern​​​e gab, um beispielsweise gesundheitsschädliche​​​ Auswirkungen des ihren Produkten systematisch hinzugefügten Zuckers zu unterschlagen, ist ebenfalls hinlänglich bekannt. Von den wissenschaftlichen Forschungen zur Steigerung des Suchtpotenzials von Zigaretten, die es von mindestens einem Tabakkonzern gab, reden wir gar nicht erst (solche Konzerne haben kein Interesse, dass die Gesellschaft die sozialen Kosten, die zusätzlich gezuckerte Lebensmittel und Tabakkonsum verursachen, erkennt).

Es ist also das Corporate System als Ganzes, das zum Problem geworden ist. Das heisst: allem voran börsennotierte Unternehmen. Aktiengesellschaften.​​​ AGs. Die Frage, ob auch kleine Aktiengesellschaften,​​​ die (noch) nicht börsennotiert sind, als Teil des problematischen Corporate Systems anzusehen sind, würde ich persönlich aber auch klar bejahen. Sie sind des Übels Keimling. Produkte und Dienstleistungen, die von Aktiengesellschaften erbracht werden, ob börsennotiert oder nicht, müsste ich deshalb eigentlich boykottieren.

Ist ein Boykott überhaupt realisierbar?

Aber ist ein solch umfassender Boykott überhaupt (noch) realisierbar? Ich sehe ein, wie schwierig es zum Beispiel wird, meine gegenwärtige technische Infrastruktur zu erhalten. Denn es wird kein neues Tablet geben. Immerhin wird sich mein derzeitiges Smartphone mit einem Fairphone erset​​​zen lassen (aber auch das Fairphone ist aus Komponenten gebaut, die zum Teil von Aktiengesellschaften produziert werden). Welcher Telecomanbieter hat eigentlich überhaupt das Fairphone im Angebot? Meines Wissens in der Schweiz soweit keiner. Aber Sunrise, Salt und Swisscom, die drei Mobilanbieter der Schweiz, sind ja sowieso – Grosskonzerne. Sie sind Maden im Speck des Corporate Systems (aber sind wir Konsumentinnen und Konsumenten nicht alle ein bisschen »Maden im Speck des Corporate Systems« mit unserem bisherigen Lebensstil?). Welchen Telecomanbieter sollte ich also bevorzugen? Jenen, der dem Wettbewerb entsprechend technisch »fortschrittlich« als erstes 5G in der Schweiz getestet hat? Oder den meinem Budget entsprechendsten? Mein Google-Konto benötige ich gegenwärtig übrigens auch noch. Vielleicht könnte ich aber wenigstens von Googles Chrome-Browser wieder zu Firefox zurückkehren. Und Android? Jedenfalls braucht es doch unbedingt ein Linux für Mobilgeräte, wie es mit Ubuntu kurzzeitig einmal (versuchsweise) demonstriert wurde. Nicht weil Android schlecht ist, sondern weil Google börsennotiert ein Teil des Corporate Systems ist. Und zu welcher Bank könnte ich wechseln? Apropos Banken: Vollgeld? Ja, selbstverständlich. Denn das Corporate System produziert hier in eigener Regie auch gleich so viel Geld, wie es gerade will.

Ich werde wohl ein paar Jahre benötigen, um meinen Lebensstil so umfassend wie möglich umzustellen, dass meine Lebensführung vom Corporate System so unabhängig wie möglich wird (ohne mir zu schaden). Einfach wird es nicht. Vielleicht bedeutet das am Anfang, so lange es nicht genügend Alternativen gibt, auch notgedrungenermassen noch Produkte des Corporate Systems zu verwenden, aber wenigstens bewusst und minim, so minim wie nur möglich. Die konstruktive Arbeit an einer Alternative, an einem alternativen, vom Corporate System möglichst unabhängigen Lebensstil muss jedenfalls ohne Wenn und Aber voran schreiten.
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