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KVI: Weltverbesserung per Strafbefehl

Sarah Pa­lin, nicht eben für kom­plexe Denk­ansätze be­kannte eins­tige US-Vi­ze­prä­si­den­t​​​​​​​​​en-­Kan­di­da​­​t​i​n​ wurde ein­mal ge­fragt, was sie denn über Russ­land wis­se. Sie soll geant­wor­tet ha­ben: Man sehe des­sen Küste von Alaska aus, also kenne sie es.

Ähnlich einfaches Denken scheint der aktuellen Unternehmensverantwor​​​​​​​​​tungs-Initiat​i​v​e​ zugrundezuliegen: Man meint, aus der satten Schweiz heraus Zusammenhänge in weit entfernten Ländern gut genug zu verstehen, um zu tun, was man in der Schweiz gerne tut: darüber zu richten. Kein Wunder, geht in der polemisch geführten Debatte vieles unter. Als Beispiele folgende sonst wenig angesprochene Punkte und ein allgemeiner Gedanke.

Zum ersten: Der Initiative fehlt es an logischer Stringenz. Wenn man sich damit vielleicht abfinden muss, dass Misstände in der Ferne vor Schweizer Gerichten verhandelt werden sollen: Warum sollen dann nur gerade (bestimmte) Privatunternehmen in die Pflicht genommen werden, und nicht gleich alle juristischen Personen, die im Ausland tätig sind und in ihrer dortigen Tätigkeit auf vielfältige, oft kaum verstandene Weise Auswirkungen auf Menschenrechte und Umwelt haben, inklusive sogenannt „potentielle“?
Wenn schon, dann wären beispielsweise auch solche der Bau- Reise- oder Tourismusbranche, oder gar Entwicklungsorganisat​​​​​​​​​ionen mit ihren oft umfangreichen Projekten gerade in besonders armen Ländern einzubeziehen. Fast scheint es, die federführenden Hilfswerke hätten eine Gelegenheit verpasst, auf die sie eigentlich erpicht sein müssten: Nämlich die eigene Sorgfalt und die positiven Auswirkungen ihres Tuns nun nach Verfassungsvorgaben ins rechte Licht rücken zu dürfen. Wie gesagt wurde: Wer anständig wirtschaftet, hat nichts zu befürchten.
Kurz- Ein umfassender Einbezug nicht nur der „üblichen Verdächtigen“, sondern aller betroffenen Kreise wäre konsequent. Fraglich wäre allerdings, ob dann noch viel Zustimmung übrig bliebe.

Zum Zweiten: Kaum je Debattenthema war, dass in jedem Fall „sämtliche Geschäftsbeziehungen“​​​​​​​​​ einer „angemessenen Sorgfaltspflicht“ im Sinn der Initiative zu unterziehen sind. Zu solchen gehören viele Importketten des breiten täglichen Bedarfes. Nur einige mögen beispielhaft genannt sein, um die Problematik anzudeuten, die nach der Annahme der Initiative dann gelöst werden müsste: Wären dann etwa die Tausende km2 Urwald, die für Weiden oder Futtermittel zur Befriedigung unseres Fleischbedarfs oder für Ölpalmenplantagen abgefackelt werden samt Vertreibungen von Indigenen und Kleinbauern usw. gemäss Initiativtext als „geringe Risiken“ einzustufen? Ebensolches gilt für Rohstoffe, von denen es neben den stets erwähnten Metallen und Seltenen Erden viele gibt: Edelhölzer, Textilien, cash crops wie eine ganze Reihe von mehr oder weniger exotischen Gemüsen und Früchten, durch deren Export Landwirtschaftsfläche​​​​​​​​​n in den Ursprungsländern knapp und Preise für die lokale Bevölkerung ins Unbezahlbare gesteigert werden. Wie steht es um die Hochsee-Überfischung,​​​​​​​​​ wie um die zahllosen Fisch- und Garnelenzuchten, die weltweit daran sind, Oekosysteme wie etwa Mangrovenwälder zu verdrängen?
Alles harmlos, oder hat einfach keiner daran gedacht? Hand aufs Herz: Es wären nicht nur ein paar «Konzerne» betroffen. Wenn konsequent umgesetzt, hätte das mächtig Auswirkungen auch auf Geldbeutel und gewohnten Konsum jedes einzelnen von uns hier in der Schweiz! Um im Bild zu bleiben: Man stelle sich etwa die jeweiligen „Sorgfaltsprüfungen“ allein etwa von Grossimporteuren wie Coop oder Migros vor, die gemäss Initiative eigentlich fällig wären..

Zuletzt ein persönlicher Gedanke: In einer Verfassung erwarte ich Aussagen, welche die wichtigsten Grundregeln eines Themas oder einer Problematik in ausreichend allgemeiner und damit allgemeingültiger Weise ausdrücken, um nicht nur im politischen Tagesgeschäft, sondern auch noch in Jahrzehnten nach uns Bestand zu haben. So ist unsere Verfassung in weiten Teilen gehalten. Dieser Text aber reiht sich ein in Einschübe aus den letzten Jahren, deren Herkunft aus der Tagespolitik nur zu sehr daran erkennbar ist, dass Wünsche oder Vorbehalte einzelner politischer Akteure eher am Rand des politischen Spektrums deutlich im Vordergrund stehen. Zu diesen gehören namentlich die auf Ausländer zielenden Ausschaffungs- und Begrenzungsartikel samt Durchsetzungsversuch (Verfassung Art. 121 und 121a). Sie kamen bisher von rechts. Nun scheint man anderswo auf den Geschmack gekommen zu sein, dem einen weiteren, ebenfalls partikularem Zeitgeist und der Suche nach Sündenböcken verpflichteten Fremdkörper folgen zu lassen.

Respekt für Menschenrechte und Umwelt ist ehrbar. Die Initiative jedoch erzeugt mehr Fragen und Unsicherheiten als sie zu lösen verspricht. Der Initiativtext wirkt pharisäerhaft, denn er stellt selektiv unter Verdacht. Gerade in seiner Länge und in seinen ungelenken Definitionsversuchen belegt er eines: Er ist nicht gut durchdacht und damit nicht würdig, Teil der Verfassung zu werden.

(Bild: staatliche Baumwollsammlung CMDT Mali)

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