Neulich habe ich mich mit einer Bekannten aus Deutschland ausgetauscht. Wir sprachen über die gesellschaftliche und berufliche Integration körperlich und/oder psychisch beeinträchtigter Mitmenschen. In Deutschland. Und anderswo.
Zur Sprache kamen Quoten respektive die gesetzliche Pflicht grösserer Arbeitgeber, eine der Grösse des Unternehmens entsprechende beziehungsweise angemessene Quote an Arbeitsplätzen speziell für Menschen mit Beeinträchtigungen anzubieten.
“Behindertengerechte Arbeitsplätze”, mit anderen Worten, anzubieten ist in anderen Staaten offenbar gesetzliche Pflicht grösserer Unternehmen. Meines Wissens gibt es nicht nur offenbar in Deutschland sondern auch im Vereinigten Königreich, anders als in der Schweiz, entsprechende gesetzliche Rahmenbedingungen. “Anders als in der Schweiz”, Sie haben richtig gelesen.
Anders also die Schweiz. Der “Wirtschafts- und Finanzplatz Schweiz”, wie die Schweizer ihre kleine Alpenrepublik stolz gerne selber bezeichnen, kennt keine gesetzlichen Vorschriften zur Förderung der Behindertenintegration in den Arbeitsprozess. Die Unternehmen sind frei, die Quote an Behinderten, die sie beschäftigen, selber zu bestimmen. Was dies in einer ausgeprägt darwinistischen Kultur wie der der Schweizer bedeutet, muss an dieser Stelle wohl kaum näher ausgeführt werden: in einer gelinde gesagt ausgeprägt kompetitiven Gesellschaft wie der der Schweizer gilt das Prinzip des “survival of the fittest” für Arbeitsplätze wohl wie in keinem anderen, zivilisierten Land.
Sozialdetektive sollen es richten
Anstatt dass der Gesetzgeber (das heisst das seit jeher bürgerliche ParlamentDas Parlament ist in demokratischen Verfassungsstaaten die V... der Schweizer) Gesetze zur Verbesserung der gesellschaftlichen und beruflichen Integration beeinträchtigter Menschen ausarbeiten und auch in Kraft setzen würde, macht man es sich in Bern einfach: Sozialdetektive sollen es richten!
Nein, nur ja keine Quoten-Arbeitsplätze für Menschen mit Beeinträchtigungen! Grössere Unternehmen sollen in der Schweiz ja keine Menschen mit Beeinträchtigungen beschäftigen müssen. Der Markt soll frei sein. Er soll darwinistisch frei sein. Gerne ist man bereit, einem unmenschlichen Marktdiktat und Profitdenken die Behindertenintegration in die Arbeitswelt zu opfern. Die Parlamentarier in Bern beziehungsweise die Bürgerlichen ziehen es vor, Sozialdetektive auf Behinderte anzusetzen, um Beweismittel zusammenzuklauben, aufgrund derer dann Rentenkürzungen verfügt werden sollen. Statt die gesellschaftliche und berufliche Integration beeinträchtigter Menschen gesetzgeberisch zu unterstützen. Das ist echt Scheisse und spiegelt eine echte Scheissmentalität, sorry to say.
Das Schweizer System hat System
Die berufliche Integration beeinträchtigter Menschen in der Schweiz läuft zu 100% über sogenannte “Sozialfirmen”, das heisst über mit Subventionen künstlich am Leben beziehungsweise im Markt gehaltener Unternehmen (oft in der Rechtsform einer Stiftung). Arbeitsghettos für Beeinträchtigte mit anderen Worten. Diese beschäftigen Legionen von sogenannten “Arbeitsagogen” (1jährige berufsbegleitende Ausbildung an der sogenannten “Agogis”-Schule zur Begleitung/Betreuung behinderter Menschen in geschützten Werkstätten). Diese “Agogen” sind in der Schweiz übrigens oftmals die eigentlichen Nutzniesser der Subventionen, die diese Sozialfirmen kassieren, denn die wahren geschützten Arbeitsplätze dieser Sozialfirmen sind allem voran die der ArbeitsagogInnen, SozialpädagogInnen und wie sie alle heissen…
Notabene: in der Schweiz ist auch die Ausbildung zur Sozialpädagogin beziehungsweise zum Sozialpädagogen ein 1jähriger berufsbegleitender Crashkurs an der privaten “Agogis”-Schule und nicht zu vergleichen mit etwaigen Bachelor- oder Master-Abschlüssen in Sozialpädaogik an Universitäten. Dies nebenbei bemerkt, um aufzuzeigen, wie in der Schweiz auch die Ausbildung von Fachpersonal auf Sparflamme betrieben wird. Oder anders gesagt: Kleider machen Leute, Titel offenbar auch…
Zudem brauchen viele Menschen mit Beeinträchtigung keine gutgemeinte “Agogis”-Betreuung am Arbeitsplatz, keine geschützten Stellen. Keine Arbeitsghettos für Behinderte. Sie brauchen lediglich ArbeitgeberBeim Arbeitgeber handelt es sich um eine Person/Unternehmung..., die sie überhaupt einstellen und eben insbesondere ihren Beeinträchtigungen entsprechend ausgestattete Arbeitsplätze stellen.
Das scheitert übrigens unter anderem oft auch an der Scheizerischen Eigentümlichkeit, Teilzeitarbeit irgendwie zu verachten. Da scheint das Motto zu gelten: wer nicht 100% arbeitet, ist kein richtiger Mann! Oder so. Viele ArbeitgeberBeim Arbeitgeber handelt es sich um eine Person/Unternehmung... in der Schweiz tun sich ja bekanntlich und nachweislich wirklich extrem schwer mit Teilzeitstellen – aber die gesellschaftliche und berufliche Integration beeinträchtigter Menschen wäre gerade auf Teilzeitstellen und Flexibilität bezüglich auch anderer besonderer Bedürfnisse beeinträchtigter Menschen angewiesen. DAS würde die Sozialversicherungen eben auch entlasten. So nebenbei gesagt. Eigentlich logisch, ne? Aber ne, darum geht’s Herrschaften ja nicht wirklich… Es geht um ein archaisches Menschen- und Gesellschaftsbild. Ein rückständiges Menschen- und Gesellschaftsbild, das Herrschaften erhalten möchten… Ein inhumanes Menschen- und Gesellschaftsbild letztlich.
Also macht man es sich einfach und tyrannisiert Behinderte jetzt mit Sozialdetektiven einfach solange bis sie von sich aus wieder arbeiten gehen, so die Üerlegung hinter der Idee der Sozialdetektive? Und wenn sie nicht spuren, dann kürzt man ihnen einfach die RenteDer Begriff Rente bezeichnet allgemein eine wiederkehrende G...? Die Sozialdetektive werden schon Gründe dafür liefern?
So sieht es aus. Genau so. Es sieht so aus, als hätten es sich die Kuhschweizis genau so ausgerechnet… Raffiniert!? Nein. Einfach rückständig, wie die Schweiz und ihre Kultur es in mancher anderer Hinsicht eben auch noch ist. So sieht es aus, meine lieben: einfach r ü c k s t ä n d i g !
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Kommentare anzeigen Hide commentsNun, er Reihe nach: Wir sind nicht rückständig. Ein Vergleich mit Deutschen Verhältnissen macht das Thema nicht besser.Die Schweiz stimmt über eine Initiative ab. Diese war rechtmässig eingereicht worden. (In der Deutschland gibt es dieses demokratische Volksrecht gar nicht). Die Initianten möchten, dass Versicherte bei Verdacht von unrechtmässig bezogenen Sozialhilfegelder, observiert werden können, damit man sie auch überführen und anklagen kann .Durch sog Sozialdetektive soll das gemacht werden.
Diese Frage wird in der Schweiz heftig diskutiert. Das Hauptproblem ist, dass durch den Einsatz von privaten Sozialdetektiven (z.B. Angestellte einer Versicherung) , eine staatliche Strafverfolgung in private Hände gelegt würde. Und das ist einer der Gründe, warum ich ein Nein einlegen werde. Sollten nämlich Versicherungen (IV, Unfallversicherungen, Arbeitslosenversicherungen) selber Überwachungen durchführen dürfen, so würden sie a l l e Versicherten überwachen wollen. Den auch in Versicherungen sind machthungrige Menschen an der Spitze. Die Frage, was mehr kostet, einige Millionen an unrechtsmässig erworbenen Geldern oder was künftig ein Heer von privaten Sozialdetektiven im jahr kosten würden, ist nicht geklärt. Aber >>> zuerst stimmen wir ab.
Die Gegner/innen sind nicht gegen Observationen. Man will aber, dass diese ohne richterliche Anordnung durchgeführt werden können. Das geht rechtlich überhaupt nicht. Wenn die Vorlage angenommen würde, würde gegen solche Überwachungen mit Erfolg geklagt. Also bitte ein NEIN einlegen.
Zu der Zeit 1971 als ich in der Industrie (Metall) in die Lehre ging, hatten die Firmeninhaber noch so viel Verstand und Verantwortungsgefühl, dass Menschen mit “Behinderungen” in den Firmen beschäftigt wurden, ihrem Können entsprechend.
Doch, sie schafften es fast immer, ihren Job richtig zu machen.
Das waren damals halt noch die “Alten” Chefs, die Verantwortung trugen. Übrigens jene, welche Konzerne erst richtig aufbauten, damit später deren “verzogenen Söhne” die Firmen wieder verscherbeln konnten.
Die Unternehmen haben keine Pflicht, Menschen anzustellen, die nicht 100% leisten können; sie dürfen gesetzlich auch nicht dazu verpflichtet werden. Falls ein behinderter Angestellter nur 60% leisten kann, muss die IV für die restlichen 40% des Lohnes aufkommen. Das geschieht offenbar bereits.
Falls die IV den Verdacht hat, von Arbeitgebern oder Arbeitnehmern in solchen Fällen hintergangen (betrogen?) zu werden, müsste eine polizeiliche Überwachung durch einem Richter angeordnet werden.