Mitte April findet in der Stadt Zürich das Sechseläuten statt. Am Freitag startet das Fest mit dem Auftritt des Gastkantons auf dem Lindenhof, der deshalb als „Platz der Kantone“ im Programm erscheint. Am Samstagabend gehen viele Zünfter zu Bällen, am Sonntag ist der „Jöö-Effekt“ Trumpf, wenn die Kleinen am Kinderumzug mitlaufen. Dieses Jahr waren es mehr als 3000. Am Montag endlich ist der Zug der Zünfte angesagt und am Abend besuchen sich die Zünfte gegenseitig auf ihren Auszügen. Hunderte, wenn nicht tausende von Touristen kommen für diesen Event extra an die Limmat, buchen Hotels und konsumieren in Restaurants und Geschäften. Die Stadt strahlt, die Leute sind friedlich und glücklich. Aufgrund einer ausgeklügelten Organisation durch das Zentralkomitee der Zünfte Zürichs werden die Umzüge genau gesteuert. Abfall wird gesammelt, es gibt Zugsordner, Alkoholverbot für Reiter, Sanitätskonzept usw. usw. Die Polizei ist anwesend, trägt die gute Uniform und wird mit Blumen beschenkt. Die Leute, die sicherheitshalber für den Ordnungsdienst ausgerüstet in Reserve stehen, werden in der Regel nicht gebraucht. Das Sechseläuten ist das Fest des bürgerlichen Zürichs. Seit es ihn in Zürich gibt, galt der 1. Mai auch als Gegenentwurf zu diesem bürgerlichen Auftritt. Sieht man sich Fotos aus früheren Jahren an, fallen die Parallelen durchaus auf. Die Eisenbahner etwa und die Angehörigen der VBZ defilierten in ihren Uniformen in Reih und Glied. Der 1. Mai wurde in Würde und mit grossem Ernst als Manifestation der Arbeiterschaft vorgetragen. Im Anschluss an den Umzug bündelten Exponenten die politischen Forderungen der Gewerkschaften und der Sozialdemokraten in ihren Ansprachen. Das Volksfest bildete den krönenden Schluss der Veranstaltung und bot ein buntes Bild. Jeder konnte hingehen und mitmachen. Von diesem Gegenentwurf zum bürgerlichen Sechseläuten ist nicht mehr allzuviel geblieben. Während im Vorfeld zum Sechseläuten Heinz Wahrenberger über den Bau des Böögs philosophiert oder die Ehrengäste der Zünfte vorgestellt werden, lesen wir im Vorfeld des 1. Mai, dass Frau Bundesrätin Calmy-Rey von Linksextremen vom Rednerpult vertrieben werden soll. Allgemein, so warnt der Experte von der Fachstelle für Extremismus und Gewaltprävention, könnten Politiker verprügelt werden. Die Polizei wird mit 400 Mann, Tränengas, Gummischrot und Wasserwerfer im Einsatz sein. Die Sozialdemokraten und Gewerkschafter haben ihre Tradition an Chaoten verloren. Sie haben diese Leute aber auch lange genug geduldet und mit dem Anarchismus immer kokettiert. Sie müssen sich selbst an der Nase nehmen, wenn ihre eigenen Bundesräte in Zürich heute nur noch an der Albisgütlitagung in Ruhe reden können. Doch immerhin etwas haben Sechseläuten und 1. Mai Umzug gemeinsam: Die Frauen gehen an der Spitze.
Keine Kommentare
Kommentar verfassen Cancel