1. Politik Aktuell

Strafvollzug in der Schweiz

In den letzten Monaten haben einige bekannt Fälle zu Kritik am Strafvollzug geführt. Sei dies der Fall „Carlos“ im Raum Zürich, oder auch der Fall „Adeline“, welcher für nationales Aufsehen gesorgt hatte. Bei beiden Fällen wurden den Behörden Unverhältnismässigkeit, Fahrlässigkeit oder einfach eine „Verhätschelung“ der Täter vorgeworfen. Für die unterschiedlichen Parteien ergeben sich nun aber auch unterschiedliche Problemfelder. Dieser Text erklärt den Aufbau und die Funktion des schweizerischen Strafvollzuges. Insbesondere sollen die Ziele wie auch die eingesetzten Mittel unseres Strafvollzugssystems erläutert werden. Danach sollen verschiedene Sichtweisen der Probleme erläutert und die verschiedenen Lösungsmöglichkeiten dazu genannt werden.

Gesetzliche Grundlagen des Strafvollzugs

Der Bund ist zuständig dafür, die Gesetze zum schweizerischen Strafvollzug zu machen. Ebenfalls werden auf Bundesebene die Rahmenbedingungen geregelt. Der Kanton dagegen fällt die Urteile über die Höhe der Strafen und ist verantwortlich für den Vollzug der spezifischen Fälle. In den letzten Jahren haben zwei gesetzliche Änderungen den Strafvollzug entscheidend beeinflusst: Zum einen die Verwahrungsinitiative im Jahr 2004, welche eine strengere Anwendung der Verwahrungsmassnahme verlangte. Zum anderen eine Gesetzesänderung des Parlaments, welche 2007 in Kraft getreten ist. Bei dieser Gesetzesänderung wurden vor allem die kurzen Freiheitsstrafen durch Geldstrafen oder durch gemeinnützige Arbeit ersetzt. Auf der anderen Seite sollte die Öffentlichkeit durch bestimmte Sicherheitsverwahrungen besser geschützt werden.

Ziele und Mittel des Strafvollzugs

Zu den Zielen des Strafvollzugs gehören einerseits die Bestrafung des Täters und andererseits die Minimierung der Rückfallquote damit eine Wiedereingliederung in die Gesellschaft möglich wird. Die meisten gefangen Straftäter müssen sich nach Beendigung des Strafvollzugs wieder in die Gesellschaft eingliedern können. Ihre sozialen Kompetenzen müssen sich daher so entwickelt haben, dass sie straffrei leben können und nicht rückfällig werden. Die Haft soll sich somit nicht wesentlich vom normalen Alltag unterscheiden. Die Förderung der sozialen und medialen Kontakte wie auch die Integration in das Arbeitsleben durch Werkstätten sollen eine problemlose Rückführung in die Gesellschaft ermöglichen.

Arten des Strafvollzugs

Im Strafvollzug wird zwischen Strafen und Massnahmen unterschieden. Die Strafe hat den Zweck der „Bestrafung“ der Täters, welche abhängig vom Verschulden ist. Die Dauer der Massnahme hängt dagegen vom Zweck ab, welcher damit erreicht werden will. Bei einem Urteil kann sowohl eine Strafe als auch eine Massnahme gleichzeitig verhängt werden. In der Schweiz werden beispielsweise 35.1% der Straftaten aufgrund des Strafgesetzbuches verhängt. Die Mehrheit der Strafen (51.5%) wird jedoch wegen Übertretung des Strassenverkehrsgesetzes ausgesprochen. Wenn es um die Verurteilungen geht, dann wird in der überwiegenden Anzahl (85.7%) eine Geldstrafe verhängt. In 11.6% der Fälle wird eine Freiheitsstrafe beschlossen. Beim Verhältnis der Geld- und Freiheitsstrafen muss natürlich auch das Verhältnis von Übertretungen gegen das Strassenverkehrs- und Strafgesetzbuch berücksichtigt werden.

Strafen

Das Schweizerische Strafgesetzbuch sieht drei Arten von Strafen vor: Freiheitsentzug, Geldstrafe und gemeinnützige Arbeit. Je nach Strafmass werden unterschiedliche Strafen verhängt. Eine Strafe kann bedingt oder unbedingt ausgesprochen werden. Eine unbedingte Strafe muss abgesessen werden. Eine bedingte Strafe ist dagegen an Bedingungen gekoppelt.

Massnahmen

Das Gesetzbuch sieht verschiedene Arten von Massnahmen vor: Therapeutische Massnahmen, Verwahrung sowie andere Massnahmen. Die Massnahmen dienen dazu, die Rückfallwahrscheinlichkeit zu minimieren und somit eine möglichst problemlose Rückkehr in die Gesellschaft zu ermöglichen. Die Verwahrung dagegen wird angewendet, falls ein Täter als nicht therapierbar angesehen wird und somit eine erfolgreiche Wiedereingliederung in die Gesellschaft ausgeschlossen werden kann. Durch die 2004 angenommene Verwahrungsinitiative sollen nicht therapierbare Sexual- und Gewaltstraftäter schneller und einfacher verwahrt werden können.

Eigenheiten des Jugendstrafvollzugs

Im Gegensatz zum normalen Strafvollzug stehen hier Schutz und Erziehung des Jugendlichen im Vordergrund. Er findet bei 10 bis 17 Jährigen Anwendung. Ebenfalls wird hier zwischen Schutzmassnahmen und Strafen unterschieden. Es gibt vier Arten von Schutzmassnahmen:

  • Aufsicht
  • Persönliche Betreuung
  • Ambulante Behandlung
  • Unterbringung

Ebenfalls gibt es vier Arten von Strafen:

  • Verweis
  • Persönliche Leistung
  • Busse
  • Freiheitsentzug

Der Freiheitsentzug wird nur als letzte Möglichkeit angewendet und hat zusammen mit der Busse eigentlich keinen erzieherischen Gedanken mehr, sondern nur noch den der Bestrafung.

Kosten und Wirkung

Im Folgenden werden Kosten und Wirkung des schweizerischen Strafvollzugs gegenübergestellt, um einen Überblick über dessen Wirksamkeit zu erhalten.

Kosten unseres Systems

Der schweizerische Strafvollzug kostete 2011 993 Mio. CHF. Das waren 0.67% der gesamten Ausgaben von Bund und Kantonen und 0.17% des schweizerischen Bruttoinlandproduktes. In Deutschland liegt das Verhältnis von Strafvollzugskosten und Bruttoinlandprodukt zwischen 0.12 und 0.16% (Strafvollzugskosten können allerdings nur geschätzt werden). Die Kosten der schweizerischen Massnahmen können nicht genau beziffert werden, aber die Tagessätze reichen von 250 bis 1250 CHF pro Tag und Insasse. Die Kosten sind demnach stark von der Anstalt wie auch von der vorgesehenen Therapie abhängig.

Wirkung unseres Systems

Die Wirkung eines Strafvollzugssystems zu messen ist sehr schwierig. Eine Möglichkeit wäre, einen Blick auf die Rückfallquoten der Straftäter zu werfen. In der Schweiz lag diese Rückfallquote 2012 im Durchschnitt bei 24.1%. Bei Diebstählen ist die Quote mit 50.1% um einiges höher. Auch bei Gewaltdelikten liegt die Quote mit 31.9% etwas höher als der Schnitt. Deutschland weist dagegen eine höhere allgemeine Rückfallquote von 35% aus. Diese Zahlen müssen aber mit Vorsicht genossen werden, da sich diese Quoten aufgrund verschiedener Strafvollzugssysteme nicht vollständig miteinander vergleichen lassen. Eine allgemeingültige Aussage über die Wirkung und den Erfolg unseres Strafvollzugssystems ist folglich nicht möglich.

Problembereiche

Gegenwärtige Diskussionen zeugen von einer generellen Einigkeit über die Grundsätze des Strafvollzugs. So war von allen Parteien zu hören, dass der Grundsatz „Öffentliche Sicherheit vor Freiheit des Täters“ gilt. Auch gibt es einen grossen Konsens darüber, dass Strafen und Massnahmen benötigt werden, um einen optimalen Strafvollzug zu gewährleisten. Die Meinungen unterscheiden sich aber in der Frage, wo es beim Strafvollzug ein Problem gibt: Die Einen sehen das Problem vor allem im Vollzug selber und die Anderen orten das Problem bei der Urteilsvollstreckung. Nachfolgend soll eine grobe Übersicht über die unterschiedlichen Problemdefinitionen gegeben werden.

Problem beim Vollzug

Der Strafvollzug wird in der Schweiz von Kanton zu Kanton unterschiedlich geregelt. Das liegt daran, dass die Kantone die Kompetenz haben, den Vollzug zu regeln. Die unterschiedliche Handhabung von Strafen und Massnahmen wird aber von einigen kritisiert. Beispielsweise werden verschiedene Grundsätze in den Kantonen unterschiedlich stark gewichtet. Tendenziell wird in der Romandie mehr Wert darauf gelegt, den Täter zu therapieren. In der Deutschschweiz dagegen wird der Fokus stärker auf die Sicherheit der Öffentlichkeit gelegt. Einige Personen argumentieren deshalb, dass die weniger strikte Anwendung des letztgenannten Grundsatzes in der Romandie zu mehr Problemfällen führe, da dem Täter zu viele Freiräume gewährt werden.

Ein weiterer Kritikpunkt ist die Qualitätssicherung im Strafvollzug. Hier können drei verschiedene Problembereiche genannt werden: Die Überprüfungsmechanismen der Urteile, die fehlende Informationstransparenz und die unterschiedliche Qualität von Therapiemassnahmen. So wird einerseits bemängelt, dass teilweise zu wenige Überprüfungsmechanismen eingesetzt werden. Wenn ein Gefangener beispielsweise Urlaub beantragt, so würde von den Fachstellen zu wenig geprüft, ob dem Täter dieser Freiraum aus Sicherheitsgründen überhaupt gegeben werden kann. Andererseits wird aber auch die fehlende Informationstransparenz zwischen den Fachstellen bemängelt. Da die Beurteilung eines Straftäters meistens durch mehrere Personen erfolgt, müssen die unterschiedlichen Personen auch Zugriff auf eine einheitliche Datenbank haben. Ansonsten stützt sich jeder Gutachter nur auf seine erfassten Informationen. Wenn beispielsweise in gewissen Kantonen das Arztgeheimnis als wichtiger eingestuft wird als in anderen, wird es dort für Fachstellen schwieriger, Informationen vom persönlichen Psychiater des Täters zu erhalten. Als drittes Problem bei der Qualitätssicherung kann Anwendung der „falschen“ Massnahmen genannt werden. Verschiedene Studien weisen darauf hin, dass einige Therapiemassnahmen wirkungsvoller und zielgerichteter sind als andere. Da jedoch nicht immer nur die wirkungsvollen Therapien verschrieben werden, behaupten Kritiker, dass hier noch viel Potenzial liegen würde.

Ein weiteres Problem beim Vollzug könnte in der falschen Risikoeinschätzung des Täters liegen. Jeder Straftäter wird von verschiedenen Stellen geprüft. Psychologen oder Psychiater stellen dann ein Gutachten aus. Das Gutachten soll die Rückfallwahrscheinlichkeit eines Straftäters beurteilen. Kommt es dabei zu einer Fehleinschätzung, kann es passieren, dass ein gefährlicher Täter freigelassen wird, bevor seine Therapie wirklich abgeschlossen ist.

Problem beim Urteil

Für einige liegt das Hauptproblem auch beim Urteil, das die Strafe eines Täters festlegt. Der Vorwurf lautet, dass Richter zu oft ein zu mildes Urteil aussprechen würden. Zwar sind die anzuwendenden Strafen im Gesetz landesweit einheitlich festgelegt, die Richter haben jedoch einen gewissen Ermessenspielraum. Für die Kritiker erhalten Straftäter so nicht ihre verdiente Strafe und die Abschreckung vor neuen Straftaten wäre nicht gross genug.

Lösungsansätze

Beim Vollzug

Ein einheitliches Gesetz könnte die Probleme eines unterschiedlichen Vollzugs in den Kantonen lösen. Durch die Setzung von Mindeststandards, welche beim Vollzug von den Kantonen berücksichtigt werden müssten, könnte eine gewisse Mindestqualität gewährleistet werden. Eine einheitliche Regelung auf Bundesebene könnte auch die Qualitätssicherung betreffen. Würden hier einheitliche Standards gesetzt, könnten gewisse Überprüfungsmechanismen für verhängte Strafen und Massnahmen sowie eine mini-male Informationstransparenz zwischen unterschiedlichen Fachstellen gewährleistet werden.

Eine falsche Risikoeinschätzung des Täters durch die Fachstellen zu verhindern, gestaltet sich als schwierig. Durch gesetzliche Standards könnte zumindest gewährleistet werden, dass Straftäter durch eine minimale Anzahl von Fachstellen begutachtet werden, so dass das Risiko einer Fehleinschätzung einer einzelnen Person minimiert werden kann.

Beim Urteil

Wenn das Problem darin gesehen wird, dass zu milde Strafen ausgesprochen werden, dann sollten die gesetzlichen Mindeststrafen für verschiedene Straftaten erhöht werden. So könnte verhindert werden, dass Richter Urteile fällen, welche im Vergleich zur Tat als zu milde empfunden werden würden.

Gegenargumente

Im heutigen System, in welchem jeder Kanton selber für seinen Strafvollzug zuständig ist, ist auch die Möglichkeit gegeben, dass die einzelnen Kantone von den anderen lernen könnten. Wenn man das Strafvollzugssystem vereinheitlichen würde und jeder Kanton die Gesetze gleich anwendet, so würden viele Unterschiede verschwinden. Mit diesen Unterschieden sinkt aber auch die Wahrscheinlichkeit, dass die Kantone mit ihren unterschiedlichen Systemen und ihrem unterschiedlichen Wissen voneinander profitieren können. Durch den Vollzugsföderalismus soll also gewährleistet werden, dass die Kantone ihr Strafvollzugssystem ständig verbessern können. Hierfür wird natürlich ein gewisser Informationsaustausch zwischen den Kantonen vorausgesetzt.

Zusätzlich würde ein föderales System auch die Möglichkeit bieten, dass die einzelnen Kantone ihre Art des Strafvollzugs auf sich zuschneiden könnten. Dadurch könnten die verschiedenen Ausgestaltungen auch der Verschiedenheit der Kantone Rechnung tragen und so eine bestmögliche Problemlösung garantieren.

Abschliessende Beurteilung

In der Schweiz ist man sich grundsätzlich darüber einig, dass die öffentliche Sicherheit über der Freiheit des Täters steht. Uneinigkeit besteht jedoch in den Varianten, wie dieser Grundsatz umgesetzt werden soll. Einige Parteien sprechen sich dafür aus, die Strafen zu erhöhen und die Massnahme der Verwahrung strikter einzusetzen. Andere Parteien wiederum setzen sich mehr für qualitativ hochwertige Therapien ein. Die Meinungen gehen auch bei der Frage auseinander, wer für die Lösung der Probleme verantwortlich ist. So sehen einige die Aufgabe bei den Kantonen, die ihren Strafvollzug individuell verbessern sollten. Andere fordern eine Lösung auf Bundesebene, die für alle Kantone gleich gelten würde.

Welche der diskutierten Lösungen sich in Zukunft durchsetzen wird, bleibt abzuwarten.

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