Die Verdi-Streiks treffen stets die Falschen
Wieder geht eine Welle von Warnstreiks durch Deutschland. Ausgelöst werden sie von der Gewerkschaft Verdi. Einmal sind es die Flugpassagiere, einmal die des öffentlichen Nah- oder Fernverkehrs, nun sind es die Patienten in den Spitälern, die von diesen Streiks betroffen sind -morgen betrifft es vielleicht die Kinder/Eltern, weil die Kinderhorte bestreikt werden, übermorgen steht die Müllabfuhr still, usw. Vor dem Fernsehen erklären sich fast alle Betroffenen solidarisch mit den Streikenden – kommt dies aus dem Herzen oder ist das die deutsche Art, Unannehmlichkeiten aus dem Weg zu gehen?
Als in Deutschland lebender Schweizer kann ich ob diesem Gebaren der Gewerkschaften nur den Kopf schütteln. Ich frage mich, was läuft da falsch in diesem Land, dass Gewerkschaften aller Art den Ablauf des täglichen Lebens immer wieder durcheinanderbringen können. Ich meine, deutsche ArbeitgeberBeim Arbeitgeber handelt es sich um eine Person/Unternehmung... und ArbeitnehmerArbeitnehmer ist, wer in einem Arbeitsverhältnis steht und ... könnten sich in der Schweiz oder in Österreich umsehen und da vielleicht Erkenntnisse gewinnen, wie die Lohnfindung auch ohne Streiks möglich ist: In der Schweiz gilt in einigen wichtigen Wirtschaftszweigen der Arbeitsfrieden. Er ist begründet auf dem Friedensabkommen zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden aus dem Jahr 1937(!). Es versteht sich von selbst, dass diese Vereinbarung seit 1937 entwickelt, den Zeitumständen angepasst worden ist – aber sie hält. Ganz ähnlich ist die Situation in Österreich mit der sogenannten Sozialpartnerschaft. Streiks finden daher in der Schweiz und in Österreich nur selten statt: Am 16.11.2011 Streik im Novartis-Werk in Nyon (CH-VD) wegen drohender Schließung. Apropos Warnstreik: Am 13.02.2012 demonstrierten Schaffhauser Lehrkräfte mit einem kurzen Warnstreik für attraktivere Arbeitsbedingungen. Doch dafür gibt es angesichts des steigenden Staatsdefizits kaum finanziellen Spielraum (NZZ). Am 24.08.2011 haben in Noirmont (CH-JU) 80 Mitarbeiter (meist französische Grenzgänger) eines Uhren- und Luxusgüterherstellers einen Warnstreik von einer Stunde durchgeführt. Das war’s.
Prof. Dr. Hans Schmid, Universität St. Gallen beschreibt in einem Exposé das Wesentliche der schweizerischen Sozialpartnerschaft:
Sozialpartner sind bereit, miteinander Gespräche und Verhandlungen zu führen. Sie unterlassen alles, was zur Schwächung des anderen Partners führen könnte. Sozialpartner arbeiten nach dem Grundsatz von Treu und Glauben zusammen. Dieser alte schweizerische Rechtsgrundsatz bedeutet, dass bis zum Beweis des Gegenteils vom guten Glauben und den lauteren Absichten des Partners auszugehen ist und dass die Auseinandersetzungen zwar hart, aber ohne Hinterhältigkeit geführt werden. Er bedeutet ferner, dass die Partner einander nicht bloßzustellen oder zu diskreditieren versuchen, um sich dadurch Vorteile zu verschaffen. Treu und Glauben besagt ferner, dass man dem Partner nichts vorenthält, was man ihm legitimer-weise und problemlos geben kann. Es darf auch nichts gefordert werden, wenn man weiss, dass der Partner es nicht zugestehen kann. Die Sozialpartner handeln aus gegensätzlichen Interessen. Sie wissen aber, dass es auch gemeinsame Interessen gibt. Diese wiegen letztlich schwerer.
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Kommentare anzeigen Hide comments… ebenso als “Wanderer zwischen den Welten” (CH-D) muss ich allerdings noch auf einen Umstand hinweisen:
In Ländern, in denen die Demokratie insgesamt “Lücken” hat, ist eine Neigung zum Streiken die einzige Möglichkeit, mit der das Volk überhaupt Einfluss nehmen kann.
In Deutschland können Sie als Bürger wählen gehen, und dass ist für Sie der Fall erledigt. Alles Weitere machen dort dann die Berufpolitiker. Ebenso wie in den anderen grossen Ländern Europas.
(Man denke nur daran, wie lange die in Stuttgart militant demonstrieren mussten, bis sie über das Bahnprojekt abstimmen “durften” – und das Abstimmungsergebnis ist oft auch dann nicht juristisch bindend für die Machthaber)
Denen “da oben” ein bisschen Feuer machen, das geht oft nur, wenn die Basis z.B. streikt.
Wer weniger Streiks will, könnte ja Staat und Gesellschaft nach Schweizer (allenfalls amerikanischem) Vorbild organisieren… dann würde sich viel davon einfach von selbst erledigen.
Achim H. Pollert