Wie die obligate Bratwurst gehört zu jeder politischen Ansprache ein Bonmot, wie hoch das textile Erbe von St.Gallen bis heute zu gewichten sei. Sogar beim modernisierten Hauptbahnhof empfängt das textile Phallussymbol die auswärtigen Gäste. Jetzt sollen auch noch die Staatsbeiträge fürs Textilmuseum massiv aufgestockt werden. Deren Rückweisung wäre wichtig für die Neupositionierung von St.Gallen.
Die Ostschweizer Textilwirtschaft hat nach 100 Jahren des Niedergangs in den vergangenen Jahren noch mehr an Terrain verloren. Zwar gibt es einzelne Firmen mit weltweiter Ausstrahlung. Das einstige Zugpferd der Ostschweiz macht aber bei sachlicher Betrachtung weniger als 1 Prozent der Betriebe von Kanton wie auch Stadt aus. Auf Stadtgebiet sorgt die Textilwirtschaft gerade noch für 0,7 Prozent der Beschäftigung. Angekündigte Massenentlassungen sind darin noch nicht einmal berücksichtigt. Auch die Exporte sind seit 2008 weiter zurückgegangen. Eine Weiterbildung “Textildesign” wurde wegen zu geringen Anmeldungen nicht durchgeführt. Eine Erfolgsstory tönt anders.
Die St.Galler Textilwirtschaft verdiente sich eigentlich einen Ruheort im Völkerkundemuseum. Stattdessen soll das Erbe im Textilmuseum dank üppiger Aufstockung der städtischen und kantonalen Staatsbeiträge zur nationalen Bedeutung befördert werden. Museumshäuser vor Ort, die deutlich mehr Besucher anziehen, werden kaum Freude haben, wenn am Trog der Fördermittel bald ein halbtotes Pferd mitsäuft. Gemäss den Plänen werden deshalb Schulklassen vermehrt ins Textilmuseum geführt. Kinder erhalten so gleich eine textile Hirnwäsche. Besser kann das kollektive Gedächtnis nicht auf kommende Generationen übertragen werden.
Wie die St.Galler den seit 100 Jahren andauernden Bedeutungsverlust ihres Textilsektors bei jeder sich bietenden Gelegenheit als Alleinstellungsmerkmal zelebrieren, wirkt auf Nichteingeweihte wie Selbstkasteiung. Dafür meiden die St.Galler den StrukturwandelAls Strukturwandel bezeichnet man eine grundlegende Verände... wie der Teufel das Weihwasser. Das tut aber nachweislich nicht gut. Die Stadt St.Gallen stagniert als einzige Schweizer Stadt bei der Bevölkerung, verliert als einzige Schweizer Stadt Jobs bei unternehmensnahen Dienstleistungen und damit Steuerkraft und WertschöpfungWertschöpfung misst den Ertrag aus wirtschaftlicher Tätigk.... Mit dem Wegzug visionärer Köpfe bleibt dafür ein Kondensat aus Bewahrern zurück.
Ein Nein zur geplanten Beitragsaufstockung ans Textilmuseum hätte Symbolkraft. St.Gallen kann seinen textilen Zopf abschneiden und so auch ein Startsignal für den Neubeginn aussenden. Auch die städtischen Finanzen könnten etwas geschont werden. Gleichwohl sind die Chancen für die Neupositionierung des Standorts St.Gallen so gut wie nie: IT-Bildungsoffensive, Medical Master, Entwicklungsgebiet St.Fiden, neue OLMA-Halle für Events- und Kongresse oder ein neuer HSG-Campus. Die Kräfte müssen auch in der Stadt St.Gallen aufs Wesentliche gebündelt werden.
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