Basler Vergewaltigungs-Fall: Richterin Liselotte Henz hat recht
Das Opfer, über dessen Vergewaltigung das Basler Appellationsgericht letzte Woche urteilte, ist wegen Falschanschuldigung bei einem vermeintlichen Sexualdelikt vorbestraft. Es war alkoholisiert in der fraglichen Nacht, machte bei der Befragung Erinnerungslücken geltend, und es hatte zuvor Sex mit einem Dritten auf der Toilette eines Klubs gehabt. Entgegen ihren ersten Aussagen war der Beschuldigte für die Frau auch kein Unbekannter.
Hatte die Frau damit ihren Anspruch auf Schutz verwirkt? War sie gar mitschuldig?
Sicher nicht. Eine Vergewaltigung bleibt eine Vergewaltigung. Und mit einer solchen haben wir es nach Auffassung des Gerichts unter der Leitung von Liselotte Henz (FDP) zweifelsfrei zu tun. Doch nicht jede Vergewaltigung ist gleich. Das Gericht stufte die Schwere des Verschuldens geringer ein als die Vorinstanz und reduzierte die Strafe von 51 auf 36 Monate Gefängnis.
Das Richtergremium tat genau das, was ihm vom Gesetz aufgetragen wurde.
Es wog bei der Strafzumessung die belastenden und entlastenden Elemente gegeneinander ab. Die Vorstrafe und die Umstände machten das Opfer nicht a priori unglaubwürdig, doch auf seine Aussagen allein durfte man sich nicht stützen. Auch im Sexualstrafrecht gilt der Grundsatz «in dubio pro reo». Die Version des Angeklagten, gemäss der er von einvernehmlichem Sex ausgegangen sei, war zumindest für die Anfangsphase nicht zu widerlegen.
Politikerinnen von ganz links bis ganz rechts zogen über Richterin Henz her.
Vor diesem Hintergrund liess Gerichtspräsidentin Henz bei der Urteilsbegründung die Bemerkung fallen, das Opfer habe «mit dem Feuer gespielt», es habe gegenüber dem Täter «falsche Signale» ausgesendet. Die zwei Sätze lösten einen gewaltigen Shitstorm aus. Politikerinnen von ganz links bis ganz rechts zogen über Richterin Henz her. Tenor: Da wird ein Opfer zur Täterin gemacht! Hunderte Demonstranten forderten am Sonntag in Basel den Rücktritt von Richterin Henz. Was diese dem Opfer angetan habe, ereiferte sich eine der Einpeitscherinnen, sei «fast schlimmer als die Tat selbst».
Das ist ein perfider, demagogischer Kurzschluss. Eine vermeintliche «Mitschuld» des Opfers stand nie zur Debatte. Leider sind die Angriffe auf Richterin Henz aber kein Einzelfall. Seit Jahrzehnten laufen feministische Kreise bei Sexualstrafverfahren Sturm gegen fundamentale Rechtsgüter.
Die Dauerattacken zeitigen Wirkung. Einst in Stein gemeisselte Prinzipien erodieren. Auf die Beachtung der Unschuldsvermutung, die Wahrung des rechtlichen Gehörs oder das Verschuldensprinzip ist bei Sexualstrafverfahren nur noch bedingt Verlass.
Neben der Unabhängigkeit der Richter gehörte das Verschuldensprinzip zu den wichtigsten Errungenschaften der Aufklärung: “die Schwere einer Straftat bemisst sich nicht allein nach dem Resultat, sondern in erster Linie nach dem Vorsatz, also dem subjektiven Motiv des Täters.” Um dieses zu ergründen, muss sich der Richter zwangsläufig in den Täter hineinversetzen. Diese differenzierte Betrachtung bedeutet nicht, dass er sich mit ihm identifiziert.
Die Alternative wäre eine Brachialjustiz, wie sie in Drittweltländern gang und gäbe ist: Eingeschüchtert von der Politik und dem Mob der Strasse, verhängen die Richter, ungeachtet der Umstände und des subjektiven Verschuldens, prinzipiell die Höchststrafe. Davon sind wir zwar noch weit entfernt. Doch die Entwicklung zielt seit Jahren in diese Richtung:
Eine Drittweltisierung des Sexualstrafrechts
Alex Baur in WW vom 11.08.2021
Schlussfolgerungen
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