1. Gesellschaft

Vom Überleben der Generationen

Meine Kol­le­gin Nicole Laue­ner hat mir kürzlich ein Buch empfohlen, welches bri­san­ter nicht auf die Ge­ne­ra­tio­nen-Prob​lematik ein­ge­hen könnte: Minimum von Frank Schirr­ma­cher.

Ein Brand hat ein mit hunderten von Touristen bewohntes Hotel zerstört, viele Menschen wurden verletzt, nicht wenige Gäste sind gestorben. Überwachungskameras haben das Geschehen gefilmt. Das Filmmaterial wurde später ausgewertet – eine Auswertung, welche Überraschendes an den Tag legte: Während viele verängstigte Menschen hektisch kreuz und quer zum Teil vergeblich nach einem lebensrettenden Ausgang suchten, waren es Familienmitglieder, welche in Ruhe ihre Kinder, Mütter, Väter oder Tanten suchten und – erst wenn sie geeint waren – das Gebäude verliessen. Je mehr Familienmitglieder eine Person bei sich hatte, umso grösser war die Chance, den Brand zu überleben. Besonders auffallend: Es waren die Frauen, bzw. Mütter, welche den grössten Erfolg zur Lebensrettung ihrer Familienmitglieder aufweisen konnten.

Dies ist eine von zwei realen, nachkonstruierten Extremsituationen, welche dem Autor Frank Schirrmacher als Ausgangspunkt für seine Analyse dienen. Damit soll dargestellt werden was passiert, wenn die Gesellschaft keine soliden Familiensysteme mehr aufbaut. Die Familie oder die Gemeinschaft (Sportvereine, Nachbarschaftshilfe, etc.) ermöglicht letztendlich die grösste soziale Sicherheit, welche insbesondere auch in Extremsituationen als verwandtschaftliches oder streng bindendes Netzwerk zum Tragen kommt.

Nach dem Rückblick wechselt Schirrmacher zum Ausblick: Es ist bekannt, dass Single-Haushalte, bzw. Haushalte ohne Kinder rapide zunehmen. Gleichzeitig zeichnet sich eine demographische Wende ab, die es uns zukünftig nicht mehr erlauben wird, das Ein-Ernährer-Modell zu leben. Unsere EnkelInnen werden als Eltern kaum mehr die Wahl haben, ob sie arbeiten wollen oder nicht: Sie werden arbeiten müssen, so wie dies im letzten Jahrhundert bereits der Fall war. Diese Tendenzen haben überspitzt formuliert folgende Konsequenzen: Wenige Eltern mit noch weniger Kindern müssen beide arbeiten. Die verwandtschaftlichen Netzwerke sind mehrheitlich nicht mehr da. Wer hütet die Kinder? Wer pflegt die vielen Senioren? Die Lösung wird wohl weder in zunehmenden Singlehaushalten noch in anhaltend tiefen Geburtenraten gefunden werden. Ein Lösungsweg besteht im Wiederaufbau minimaler sozialer, gemeinschaftlicher und insbesondere familiärer Netzwerke.

Und die Politik? Sie muss und darf innovativ und subsidiär dort eingreifen, wo Netzwerke Unterstützung brauchen – beispielweise bei Sportvereinen – und sie kann vor allem eines: Familien finanziell entlasten und strukturell unterstützen.  

 

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Comments to: Vom Überleben der Generationen
  • Juni 19, 2010

    Das Ein-Ernährer-Modell ist bereits tot, ein Blick auf die Lohnstatistik genügt. Und das wird auch so bleiben. Wir können nicht teurer als der Weltmarkt produzieren, sprich die Löhne werden nicht steigen und per Inflation gar sinken. Da hilft kein finanzielles entlasten oder strukturell unterstützen. Der Weltmarkt bestimmt unser Lohniveau. Einzig die Geburtenrate könnte durch bezahlbare Krippenplätze und andere Tagestrukturen erhöht werden. Das die verwandtschaftlichen Beziehungen nicht mehr da sind, bezweifle ich. Die sind noch da, aber die Verwandtschaft lebt über ie ganze Schweiz verstreut. Für viele, wie in meinem Fall, über die ganze Welt!
    Die Nachbarschaftshilfe existiert kaum noch, die Nachbarschaft kennt doch niemand mehr. Dafür geht jeder am Wochenende Freunde irgendwo in der Schweiz oder weiter besuchen. Ob das gut oder schlecht ist, will ich nicht beurteilen. Aber in einer Arbeitswelt die höchste Flexibilität und Mobilität fordert, ist diese verloren gegangene Welt tot. Da kann auch das beste Programm nicht helfen, tot bleibt tot.

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  • Juni 19, 2010

    Wieder mal ein ganz klares Prinzip:
    Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen [z.B. Familie] verliert, wird es gewinnen. (Matthäus 16:25)

    In der heutigen Zeit wird die Familie viel zu oft in den Hintergrund geschoben. Noch mehr als das rückt die sachgemässe Erziehung in ungreifbare Ferne. Wertvorstellungen werden durch unsere Umwelt – vorallem jedoch durch die Medien – manipuliert. Verantwortung wird abgeschoben. Prinzipien verfallen.
    – Wo sollen unsere Kinder erzogen werden, wenn nicht in der Familie?
    – Wer soll das Vorbild unserer Kinder sein, wenn nicht wir als Eltern? Geben wir dieses, unseres teuerstes Gut und Erbe jemandem anderem in die Hand? Verkaufen wir es Ihm für nichts indem wir einfach nichts tun und unseren Kindern keine Aufmerksamkeit und ZEIT schenken?

    Auch in der heutigen Zeit ist es möglich, das Ein-Ernährer-Modell zu leben – nicht immer, aber sicher viel häufiger als dies getan wird. Es ist nur eine Frage dessen, auf wie viel die Eltern verzichten können. Die Kinder lernen das verzichten von den Eltern (wenn diese es können). Und für Kinder ist das teuerste Gut nicht Geld, sondern Zeit – Ihnen ist egal, wieviel Spielzeug sie haben, sie hocken ja nur vor Nitendo & Co. weil die Eltern sich nicht mit Ihnen beschäftigen möchten, oder nicht wissen wie. Und wenn Eltern wissen, wie sie mit Ihren Kindern gute, wertvolle Zeit verbringen können, kommt aus den Kindern ein vielfaches dessen raus, was aus einem Nitendo-Kind entspringt. Mit anderen Worten: Eine Stütze für den Staat versus ein Problem für die Gesellschaft.

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  • Juni 20, 2010

    Keine Frage, die Welt ordnet sich neu. Wir sehen uns mit grundlegenden Veränderungen unserer Gesellschaft konfrontiert und müssen unsere Vorstellungen von sozialer Solidarität und Kooperation zwischen Jungen und Alten, Reichen und Armen, Gesunden und Kranken überdenken.

    Wir werden uns damit abfinden müssen, dass unser Wohlstand stagniert oder gar absinkt. Ob wir das gut finden oder nicht, spielt dabei überhaupt keine Rolle. Es wird so sein, und wir täten gut daran, uns möglichst rasch auf diese veränderte Wirklichkeit einzustellen. Die Alterswende schultert dafür nicht die alleinige Verantwortung. Spätestens seit Ende der 1970er-Jahre wurzelt das Wirtschaftswachstum der führenden Industrieländer in einem unbeherrschten Verbrauch natürlicher Ressourcen, namentlich fossiler Energieträger und der weitgehend kostenlosen Nutzung der Umwelt als Müllkippe. Doch nicht genug – in den vergangenen Jahren türmten wir auch noch gigantische Schuldenberge auf. Das kann so einfach nicht weiter gehen. Wenn wir an Erwartungen festhalten, die nicht zu erfüllen sind, entlarven sich daraus böse Folgen für unsere Gesellschaft.

    Glei​chzeitig stösst der fürsorgliche Staat hart an seine Grenzen. Wer jedoch versucht, ihn zu hinterfragen, dem wird soziale Kälte vorgeworfen. Die Selbstverständlichkei​t, mit der, vor allem in Europa, aber auch in der Schweiz, immer mehr Ansprüche an den Staat gestellt und Leistungen in Anspruch genommen werden, ist bemerkenswert. In den Rentenkassen knirscht es unüberhörbar und der alte Spruch, dass jeder seines Glückes Schmied sei, wirkt heute seltsam aus der Zeit gefallen. Die Debatte über die Schranken der sozialen Gerechtigkeit – oder was immer wir darunter verstehen – ist überfällig.

    Demogr​aphie – die uns bevorstehende Alterswende: Mit Geld allein lässt sich die Geburtenrate nicht nach oben treiben. Die Frage nach dem Nutzen der Familienpolitik drängt sich wuchtig auf. Wir müssen ernüchtert feststellen: So uneingeschränkt begrüssenswert gute Kinderbetreuung und eine verhältnismässig grosszügige, soziale Absicherung junger Eltern auch sein mögen – Weltwahrnehmung und Lebensplanung lassen sich damit offenbar nicht im grossen Stil beeinflussen. Was ist nur los mit den Menschen, warum will sich diese Gesellschaft kurz und klein schrumpfen? Wir hatten doch in den vergangenen Jahren viel von einer modernen Familienpolitik gehört. Wer also nach einer neuen, die Familien fördernde Rhetorik (noch mehr Geld) sucht, der sollte ehrlich sagen, dass selbst die komfortabelste steuer- und bildungspolitische Ausstattung nicht gegen die elementaren Risiken schützen, die Kinder nun einmal bedeuten.

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  • Januar 16, 2011

    Verzicht auf Kinder: Welches sind die Gründe?
    Warum haben die Schweizerinnen immer weniger Kinder? Ist es Egoismus oder vielmehr Verantwortungsbewusst​sein oder sogar Angst vor den späteren Vorwürfen der Kinder?

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