1. Sonstiges

Wiedergutmachung für Verdingkinder

2014 sam­melte ein ü­ber­par­tei­li­ches​ Ko­mi­tee rund 110‘000 Un­ter­schrif­ten für die Volks­i­ni­tia­tive „Wie­der­gut­ma­chung​ für Ver­ding­kin­der und Opfer für­sor­ge­ri­scher Zwangs­mass­nah­me“ (Wie­der­gut­ma­chung​s­i­ni­tia­ti­ve). Die In­itia­tive ver­langt eine Wie­der­gut­ma­chung für Ver­ding­kin­der und Opfer für­sor­ge­ri­scher Mass­nah­men, wofür die Schaf­fung eines mit 500 Mil­lion Fran­ken do­tier­ten Fonds vor­ge­se­hen ist. Die CV­P-Frak­tion un­ter­stützte in der ak­tu­el­len Son­der­ses­sion den in­di­rek­ten Ge­gen­vor­schlag des Bun­des­ra­tes, der im Ge­gen­satz zur In­itia­tive eine ra­sche Um­set­zung der An­lie­gen der Opfer er­mög­licht.

Bereits am 14. Januar 2015 entschied der Bundesrat, der Volksinitiative einen indirekten Gegenvorschlag gegenüberzustellen. Dieser soll die Aufarbeitung der Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen vor 1981 und die Anerkennung und Wiedergutmachung des Unrechts und Leids der Opfer ermöglichen. Dafür ist ein Zahlungsrahmen von 300 Millionen Franken vorgesehen. Im Rahmen der Sondersession von dieser Woche behandelte der Nationalrat die Initiative und den indirekten Gegenvorschlag. Die Fraktion der CVP hat dabei einstimmig den indirekten Gegenvorschlag unterstützt. Dieser ermöglicht im Gegensatz zur Initiative eine rasche Umsetzung der Anliegen der Opfer.

Warum liess der Rechtsstaat Schweiz ein solches Unrecht zu?

Die mit der Volksinitiative aufgeworfene Thematik macht betroffen. Immer wieder stellt sich mir die Frage, wie solches Unrecht bis in die jüngste Vergangenheit, in einem vermeintlich hochentwickelten Rechtsstaat und in der zivilisierten Gesellschaft Schweiz geschehen konnte. Warum schwieg, vertuschte und verharmloste man und liess solches Unrecht zu? Dabei geht es nicht um Verhaltensweisen, die heute als unangemessen beurteilt werden, früher aber gesellschaftlich akzeptiert waren. Es geht vielmehr um Verhaltensweisen gegenüber Personen, deren körperliche, psychische oder sexuelle Unversehrtheit unmittelbar und schwer beeinträchtigt wurde, beispielsweise durch massive Gewaltanwendung, durch sexuellen Missbrauch oder wirtschaftliche Ausbeutung. Es geht um – auch aus damaliger Sicht – strafrechtlich relevante Sachverhalte. Davon betroffen sind Verdingkinder, die gedemütigt und misshandelt wurden oder sexuellen Missbrauch erlebten. Es geht weiter um Personen, an denen unter Druck Medikamentenversuche ausgeführt wurden, oder die Zwangssterilisationen​, Zwangskastrationen und Zwangsabtreibungen erfuhren oder um Personen, denen die Kinder weggenommen wurden. Schliesslich geht es auch um Menschen, die ohne Urteil in ein Gefängnis oder in eine Anstalt gesteckt wurden.

Kein Respekt vor den Opfern

Diese menschlichen Tragödien, die Tausende von Personen in unserem Land erlitten, damit rechtfertigen zu wollen – wie das ein Teil der SVP machte – dass solches halt damaligem Recht entsprochen habe, ist nicht nur schlicht falsch, es ist auch zynisch und zeugt von mangelndem Respekt gegenüber den Opfern. Neben der Anerkennung des Unrechts und des Solidaritätsbeitrags sind für die Opfer ebenfalls wichtig, die im Bundesgesetz vorgesehene Archivierung und die Akteneinsicht sowie die Beratung und die Unterstützung durch kantonale Anlaufstellen und die wissenschaftliche Aufarbeitung dieses dunklen Kapitels Schweizer Geschichte.

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Comments to: Wiedergutmachung für Verdingkinder
  • Mai 3, 2016

    Es ist doch sehr traurig festzustellen zu müssen, dass diese Opfer von Willkür und Misshandlungen – kommt erschwerend hinzu – notabene als Kinder erleiden mussten.

    Kein Lorbeerblatt ist auch wie sich der Bund heute noch windet, diese Opfer im eigenen Land endlich wenigstens finanziell zu entschädigen.

    Das Leid wird auch dadurch nicht aus der Welt geschafft, aber von den Opfern würde mit Sicherheit dennoch dies als eine Geste der Einsicht – in das ihnen angetane Leiden – verstanden werden.
    Aber nein, da kippt man anderseits seit Jahrzehnten Milliarden Franken als sogenannte Entwicklungshilfe in fremde Länder, wo dies bekanntlich wie Wasser im Sand einfach auf nimmer Wieder sehen in dubiosen Kanälen verschwindet. Diese sogenannte “Entwicklungs-Hilfe hat in den letzten 70 Jahren überhaupt nichts gebracht, was Profis bestätigen. Hilfe für diese Opfer hingegen würde sehr viel bewirken, davon bin ich überzeugt.

    Diesbez​üglich empfehle ich den Film; “Dä Verdingbueb”, der geht einem “unter die Haut.”

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    • Juli 19, 2021

      “Kein Lorbeerblatt ist auch wie sich der Bund heute noch windet, diese Opfer im eigenen Land endlich wenigstens finanziell zu entschädigen.”

      Der​ Bund hat gerade einen Gegenvorschlag beschlossen. Die einzigen, die überhaupt keine Wiedergutmachung wollen, sind die SVPler. Ihre Lieblingspartei, Herr Hottinger. Schreiben Sie denen doch mal, was Sie davon halten. Sie werden sicher den einen oder anderen persönlich kennen.

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    • Juli 19, 2021

      @ Müller,

      Sorry gin Parteifrei, wer lesen kann.

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    • Juli 19, 2021

      Es war halt so, und schliesslich haben ein Riesenhaufen Leute, darunter Landwirte, Akademiker, Schriftgelehrte, und auch solche, die sich heute, in moderner Form, auch zu den Gutmenschen zählen, einen Riesenhaufen Geld verdient. Die ganz genau Gleichen übrigens, die trotzdem nicht müde werden, ständig und immer wieder über die humanitäre Tradition der Schweiz daher zu labern, sobald sich auch nur die kleinste Gelegenheit dazu bietet.

      Meine Grossmutter väterlicherseits wurde auch ein Verdingkind, weil ihre Eltern früh starben, kam aber glücklicherweise zu Verwandten, in der gleichen Gemeinde, und hatte so ein rechtes Leben. Problematischer war es aber, dass sie einen Reformierten kennen und lieben lernte, und ihn auch später heiratete, aber allein diese Tatsache kostete sie die Sympathie, und die Kontakte, von/mit gut 90 Prozent ihrer Verwandten, die ihr nie verziehen, einen nur ‘halbbatzigen’ Christen geheiratet zu haben.

      Und meine Schwester hatte offenbar auch sehr viel Glück, mit einem Bruder, der es nie auch nur gewagt hätte, sie daran zu erinnern, doch eigentlich eine ‘Fremde’ zu sein, zwar, damals, als ‘an Kindes statt’ mit den gleichen Namen, aber doch einen ganz anderen Bürgerort, und aufgrund des Todes der Eigenen, kurz nach ihrer Geburt. Und unsere Eltern hätten sowas auch niemals goutiert, trotzdem wir Beide immer schon wussten, dass Eines von beiden ursprünglich von ganz Anderswo kam, und nur ganz zufällig, und offenbar, auch mit sehr viel Glück, an einen Ort und Platz, der ihr wohlgesinnt war, und ihr Bestes wollte.

      Und ich litt natürlich auch gelegentlich darunter. Genau so, wie jeder kleine Bruder unter der Fuchtel der grösseren und anfänglich auch noch stärkeren Schwester steht. Wenn ich mich auch, in älteren Jahren, trotzdem gelegentlich dabei ertappte, darüber nachzusinnen, wie Dieses oder Anderes wohl gewesen, oder herausgekommen, wäre, wären wir blutsverwandte Geschwister gewesen.

      Es war nicht nur die Pro Juventute, es war unser System. Es gab, und gibt immer noch, Ortsbürger, auch wenn heutzutags nur-Einwohner|innen nicht mehr einfach in ihre Heimatgemeinde abgeschoben werden können, wenn sie, aus welchen Gründen auch immer, in existenzielle Not kommen.

      Es war früher einfach eine Schande, Halloderi zu sein, Taglöhner gab es nur beim Frachtgut-Vorplatz in Zürich, und anständige Leute hatten Arbeit, und Brot. Und in jeder Gemeinde gab es Einen, oder Zwei, die wohnten im Wald, wie bei uns der Balzli, und machten die Gärten, und was sonst so anfiel, für Most, Käse und Brot. Und (auch) im Mägenwiler Steinbruch wohnte eine grosse Familie, in einem Haus, mitten im Wald, ohne Strom, und das Wasser kam vom nahen Quellenüberkauf, mit zwei Liter pro Minute, im Normalfall und ohne Regen.

      Natürlich wurde auch geholfen. Ich erinnere mich noch gut daran, wie meine Mutter Zeug zusammentrug, von Nachbarn, Verwandten, und sogar Kunden, um Solches dann, z.B. der Familie im Wald zu bringen, oder anderswohin, sogar die alten Othmissinger Schulbänke wanderten so en Block ins Silbertal aus, der vorarlbergischen Ecke, als im Nachkriegs-Oesterreic​h noch kein Geld existierte, um sich solchen Luxus, und erst noch mit echten Tintenfässchen, überhaupt schon leisten zu können.

      Aber die Schweiz war deswegen nicht humanitär, nur, weil einige Schweizer es waren. Und wäre der Henry Dunant ein paar Kilometer weiter westlich geboren, der Name ‘humanitäre Tradition’ wäre doch wohl gar nie erfunden worden. Aber so schmückt man sich halt mit den Federn Einzelner, die damals gut waren, und macht ein Riesengeschrei, als seien ALLE immer schon so gewesen.

      Und vergisst dabei auch gern, dass Rechtfälle, wie der etwas schwierige Junge aus Zürich, den Staat jeden Monat mehr gekostet haben, als man jetzt Denen zahlen will, die teils Jahrzehnte darunter leiden mussten, dass wir eine so humanitäre Tradition haben.

      Es wäre zum Lachen, wäre es nicht eher doch zum Schreien.
      Aber so sind wir halt, ein kleines Land, voller schöner Märchen, Sagen, Lug und Trug.

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    • Juli 19, 2021

      @ Herr Jacob Ernst,

      Einer der Besten, nein der BESTE Artikel/Beitrag den ich je auf Vimentis gelesen habe.

      Er ist identisch, mutig & enthält alle WAHRHEITEN,
      in allen angesprochenen Bereichen.

      VIELEN DANK

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    • Juli 19, 2021

      Gern geschehen, es kostete mich auch etwas Mühe, auf Politnetz wäre es wohl vier Mal länger geworden, so, dass sich am Schluss auch alle Die irgendwo betroffen fühlen, die vielleicht anfänglich noch meiner Meinung waren.

      Was mich aber in keinster Weise davon abhält, es trotzdem immer wieder zu tun. Und so lange wir es noch dürfen, ungestraft, sollten wir es auch pflegen, als eines der letzten alten Rechte, das uns bislang noch blieb.

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    • Juli 19, 2021

      Danke Herr Jakob, dass Sie hier aus Ihrer Familiengeschichte berichten.
      Ich bin dafür, dass es eine Wiedergutmachungsakti​on geben soll für die von Verdingkinderdasein und willkürlicher Heimeinweisung betroffenen Kinder. Das würde sich gehören.
      Ich hatte einen Schwiegervater , der als Jenischer mit Namen Jakob Moser geboren, durch die Vormundschaftsbehörde​ 1913 an eine Familie in Oerlikon gegeben wurde, die ihn adoptierte und auch den Namen gab. . Er hatte Glück. Sein Adoptivvater – ein Mechaniker bei der Akkumulatorenfabrik in Oerlikon schickte ihn in die Sekundarschule und er konnte eine Kaufmännische Lehre machen. Später gründete er eine Werbefirma und konnte davon bis zur Pension gut leben. Während dem Aktivdienst (fast zwei jahre lang) hatte er keine Stelle und verfasste für Verlage wöchentlich Kurzgeschischten. Diese verkauften sich gut und er konnte so den Lohnausfall kompesnieren. Zudem verfasste er einige Anleitungen für die Werbestrategie in Kleinbetrieben. Für welche er auch Werbung betrieb. Sein Eigenwerbespruch hiess: „Werbung ist teuer – keine Werbung ist teurer! “.Noch eine Kleines Detail das typisch ist für damalige Adoptionen. Dass er einst Moser geheissen hat, kam erst aus, als er heiraten wollte.Dann hatte er Einblick in das Familienbüchlein.

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  • Februar 22, 2017

    Der Bund war nicht zuständig für die Kontrolle der Unterbringungsplätze der Verdingkinder.. Es waren vor allem die Gemeindebehörden und die Kantone die versagt haben. Profitiert haben meistens die Bauern und einige Heime, die Verdingkinder aufgenommen haben. Dort sollte man auch die Wiedergurmachung einfordern.

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  • Februar 24, 2017

    Danke Herr Jakob, dass Sie hier aus Ihrer Familiengeschichte berichten.
    Ich bin dafür, dass es eine Wiedergutmachungsakti​on geben soll für die von Verdingkinderdasein und willkürlicher Heimeinweisung betroffenen Kinder. Das würde sich gehören.
    Ich hatte einen Schwiegervater , der als Jenischer mit Namen Jakob Moser geboren, durch die Vormundschaftsbehörde​ 1913 an eine Familie in Oerlikon gegeben wurde, die ihn adoptierte und auch den Namen gab. . Er hatte Glück. Sein Adoptivvater – ein Mechaniker bei der Akkumulatorenfabrik in Oerlikon schickte ihn in die Sekundarschule und er konnte eine Kaufmännische Lehre machen. Später gründete er eine Werbefirma und konnte davon bis zur Pension gut leben. Während dem Aktivdienst (fast zwei jahre lang) hatte er keine Stelle und verfasste für Verlage wöchentlich Kurzgeschischten. Diese verkauften sich gut und er konnte so den Lohnausfall kompensieren. Zudem verfasste er einige Fachschriften zum Thema Werbung in Kleinbetrieben, die im Oeschger-Verlag erschienen.. Sein Eigenwerbespruch hiess: „Werbung ist teuer – keine Werbung ist teurer! “.
    Noch eine Kleines Detail das typisch ist für damalige Adoptivkinder. Dass er einst Moser geheissen hat, kam er erst zu wissen, als er heiraten wollte .Dann hatte er erstmals Einblick in das Familienbüchlein.

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