1. Abstimmungen & Initiativen

Wirtschaftsverbände betreiben wirtschaftsfeindliche​ Politik

Mit fragwürdigen Wahl­emp­feh­lun­gen und pro­tek­tio­nis­ti­sc​her und an­ti­li­be­ra­ler Po­li­tik sor­gen die Schwei­zer Wirtschaftsverbände für Unverständnis. So unterstützen sie Kan­di­da­ten, die durch ihre Ab­leh­nung der Personenfreizügigkeit​ die er­folg­rei­chen Bi­la­te­ra­len Verträge gefährden und auch sonst eine wenig wirt­schafts­freund­l​i­che Po­li­tik be­trei­ben. Das Bei­spiel des Kan­tons Bern zeigt wie widersprüchlich die Wirtschaftsverbände argumentieren.

Peter​ Schlemihls Politblog

 

Im Kanton Bern unterstützen die sechs grossen Wirtschaftsverbände (Berner KMU, Handels- und Industrieverein HIV, Arbeitgeberverband, Hauseigentümerverband​, Gastrobern und Lobag) bei den Ständeratswahlen die Kandidaten von BDP (Werner Luginbühl) und SVP (Adrian Amstutz), nicht aber Christian Wasserfallen, den Kandidaten der FDP. Insbesondere die Unterstützung für Amstutz, einen der massivsten Gegner der Personenfreizügigkeit​, sorgt für Kopfschütteln.

 

Be​rner KMU: Eigenes Rating nicht beachtet

Der Dachverband der kleinen und mittleren Unternehmen im Kanton Bern hat eigens ein (allerdings sehr fragwürdiges) Rating aufgestellt, das zeigen soll, wie KMU-freundlich die Nationalratskandidate​n sind. Bei diesem Rating schneidet FDP-National- und Ständeratskandidat Wasserfallen klar besser (Rang 13) ab als Adrian Amstutz (Rang 22 von 61), der ebenfalls für National- und Ständerat kandidiert. Trotzdem unterstützt Berner KMU Amstutz und nicht Wasserfallen.

An erster Stelle des Ratings von Berner KMU steht Andreas Blank, Notar und Verwaltungsrat bei den Zuckerfabriken Aarberg/Frauenfeld. Jetzt müsste man meinen, dass jemand der an der Spitze eines solchen Ratings steht ein wirtschaftsliberale, auf Eigenverantwortung basierende Poltitik betreibt und sicherlich keine planwirtschaftlichen Eingriffe beführwortet. Wer sich dann aber das smartvote-Profil von Blank anschaut, wird eines Besseren belehrt. Blank setzt insbesonder im Gesundheitswesen alles andere als auf Eigenverantwortung. Er spricht sich für die radikale 0,2%-Initiative von ECOPOP aus, die fatale Folgen für die Schweizer Wirtschaft hätte und er unterstützt die Wiedereinführung von Planwirtschaft beim Milchmarkt.

 

HIV: Unterstützung von Verbands- und Parteifunktionären von SVP und FDP

Nicht weniger widersprüchlich ist die Vorgehensweise des Handels- und Industrievereins (HIV), der Berner Handelskammer. Sie verweist auf ihrer Homepage richtigerweise auf eine Studie, die belegt, dass die SVP-Initiative „Gegen Masseneinwanderung“ nicht mit den Bilateralen Verträgen vereinbar sei, diese gefährde und der Schweizer Wirtschaft damit enormen Schaden zufügen könnte. Trotzdem unterstützt der HIV Ständeratskandidat Amstutz und zahlreiche SVP- und EDU-Nationalratskandi​daten, die ebenfalls das erfolgreiche Personenfreizügigkeit​sabkommen mit der EU bekämpfen.

Weiter könnte man meinen, dass eine Handelskammer vor allem erfolgreiche Unternehmer unterstützt. Zwar sind unter den Kandidaten, die der HIV unterstützt auch ein paar erfolgreiche Unternehmer dabei. So beispielsweise Kurt Schär, den Geschäftsführer von FLYER, der für die Grünliberalen kandidiert. Ein Grossteil der empfohlenen Kandidaten hat aber mit Wirtschaft und Unternehmertum wenig am Hut. So z.B. SVP-Kandidat Lars Guggisberg, gelernter Jurist und Staatsbeamter, der wohl einzig und allein als Parteifunktionär auf diese Liste gelangt ist. Oder Albert Rösti, Verbandsfunktionär bei den Schweizer Milchproduzentenverba​nd, ist ein weiteres Beispiel. Das gleiche gilt für den Bankangestellten Thomas Fuchs oder den Lastwagenchauffeur Erich Hess. Auch sie sind keine Unternehmer.

 

Prot​ektionistische Politik der Wirtschaftsverbände

Bei Ökonomen sorgte vor Kurzem die Forderung der Wirtschaftsverbände, Schweizer Unternehmen müssten bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen bevorteilt werden, für Kopfschütteln. Ein typisches Beispiel für die protektionistische und antiliberale Politik der Wirtschaftsverbände, die zuwenig langfristig und nachhaltig ausgerichtet ist und zuwenig das Interesse der gesamten Volkswirtschaft im Auge hat. Eine solche Bevorzugung würde zwar kurzfristig einzelnen Unternehmen oder einzelnen Branchen nützen, langfristig aber der Schweizer Volkswirtschaft schaden, z.B. weil Steuererhöhungen eine logische Konsequenz dieser Massnahme wären.

 

Weiter ist es äusserst bedenklich, dass die Wirtschaftsverbände eines Landes, das derart stark vom internationalen Handel (vor allem Europa) abhängig ist wie die Schweiz, eine derart protektionistische und europakritische Poltik betreibt. Dies ist mit ein Grund weshalb das Wirtschaftswachstum in der Schweiz in den letzten 18 Jahren derart viel tiefer war als in der EU.

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Comments to: Wirtschaftsverbände betreiben wirtschaftsfeindliche​ Politik
  • Oktober 14, 2011

    Das ach-so-tolle “Wachstum” in der EU seit 1993 kann ich Ihnen schon erklären: Die Mauer fiel 1989, und seither wachsen die ehemaligen Ostblockstaaten von einem sehr tiefen Niveau, also stark. Die West-EU-Staaten, v.a. Westdeutschland, konnten dadurch ihre Exporte massiv erhöhen, schliesslich brauchen die vielen Ossis jetzt Autos, Kühlschränke, TV-Geräte etc. Aber wer bezahlt die Zeche dafür? Die Mittelschicht im Westen! (Solidarzuschlag, etc.) Dafür werden die EU-Reichen noch reicher…

    Ihre “Wachstums-Nr.1” Irland wurde massiv mit hohen EU-Subventionen aufgebaut! (Pro Kopf höhere Subventionen als Spanien!) Wie “marktwirtschaftlich​” ist das denn?

    Die Schweiz hingegen war schon vorher auf höchstem Niveau, da bleibt halt wenig Platz für weiteres Wachstum. Und die hohen CH-Preise können die Ossis kaum bezahlen. Daran würde aber ein EU-Beitritt auch nicht viel ändern, dafür würde er unser Niveau nach unten drücken! (Harmonisierung, EU-Nettozahlungen!)

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    • Juli 19, 2021

      Was hat das mit dem Thema zu tun, Herr Reuss?

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    • Juli 19, 2021

      Herr Reuss,

      Sie sind hier zwar beim falschen Thema, trotzdem hier meine Antwort:

      Sie haben die win-win-Situation des EU-Binnenmarkts in ihrem ersten Absatz richtig beschrieben. Das bringt eben Vorteile für beiden Seiten. Wieso soll hier die Schweiz nicht mitmachen?!

      Sie vergessen aber, dass eben auch Staaten, die bereits vorher auf hohem Niveau waren wie Luxembourg, Schweden oder Finnland, das wesentlich höhere Wachstum hatten als die Schweiz! Ihr Argument zieht also nicht!

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    • Juli 19, 2021

      Das Thema ist: Auswirkungen des EU-Beitritts im Hinblick aufs Wirtschaftswachstum. Dazu habe ich geschrieben…

      Ihr​ Begriff “win-win-Situation”​ trifft aber nur zu, wenn man nur einige wenige Gewinn(l)er des Beitritts berücksichtigt. Gesamtgesellschaftlic​h ist der Beitritt hingegen eine “win-lose-Situation​”, wobei die Verlierer die Mehrheit sind, gerade in der Schweiz.

      Was Schweden betrifft, so muss man halt unterscheiden zwischen dem (BIP-)Wachstum und Verbesserungen/Vortei​len für die Bürger. Wenn z.B. durch den Beitritt der Alkoholkonsum überhand nimmt, dann steigt dadurch zwar das BIP (wie auch durch Unfälle und Verbrechen), aber gut für die Gesellschaft ist es nicht.

      Zu win-lose und BIP vs. Vorteile/Nachteile hier mal ein konkretes Beispiel “vor der Nase”: Wenn wegen der PFZ ein neuer Wohnblock “von Portugiesen für Portugiesen” gebaut wird — an einer Lage, an der kein Schweizer wohnen will (frühere Industriehalle direkt an Umfahrungsstrasse) –, und dafür sogar ein altes Waldstück gerodet wird, welches bisher das ganze Quartier vor dem Verkehrslärm der Umfahrungsstrasse geschützt hatte, dann gewinnen dadurch wohl ein paar Portugiesen, der Bodenspekulant/Vermie​ter und ein paar Architekten und Baufirmen — aber die bisherigen Anwohner werden ein Jahr lang mit grossem Baulärm, Staub- und Abgasemissionen etc. geplagt, und “bis an ihr Lebensende” durch den Verkehrslärm. Der Bau und dann die Vermietung erhöhen wohl das BIP, ebenso wie wenn Anwohner durch den Lärm herzkrank werden oder eine Herzoperation brauchen — aber ausser für ein paar Profiteure überwiegen die Nachteile bei Weitem!

      Dasselbe gilt für Schengen-Kriminalität​, 40Tönner-Lawine, ALDI-Invasion, PFZ-Prostitution, Lohndrückerei, Cassis de Dijon, etc. etc. — EU-“Vorteile”, die wir sogar schon ohne Beitritt “geniessen”, wegen der Salamitaktik Ihresgleichen.

      Wen​n Sie zu den Profiteuren gehören, dann sind Sie natürlich dafür — aber wie sozial, verantwortungsvoll und ehrlich ist es, auch den Verlierern den Beitritt als Vorteil anzudrehen?

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    • Juli 19, 2021

      Falsch, Herr Reuss

      Das Thema hier sind die Schweizer Wirtschaftsverbände.

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    • Juli 19, 2021

      > Das Thema hier sind die Schweizer Wirtschaftsverbände.

      Sehr witzig… Das Thema ist, dass Sie denen eine falsche Politik im Hinblick auf die EU vorwerfen. Diese Kritik basiert aber auf falschen Annahmen, insbesondere dass der EU-Beitritt der Schweiz nützen würde.

      Und natürlich gehen Sie überhaupt nicht ein auf mein praktisches Beispiel zu win-lose.

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