Viel Ar­beit, zu wenig Geld

Sie kommen nach einem langen, anstrengenden Arbeitstag müde nach Hause: Ihre Kinder rennen Ihnen in die Arme, erzählen, fragen, brauchen Sie. Schnell einen Imbiss vorbereiten, eines der Kinder zum Sport bringen. Zurück zu Hause: das andere Kind braucht Unterstützung bei den Hausaufgaben.

Kaum haben Sie eine Minute, müssen Sie Wäsche waschen und einkaufen gehen. Auf dem Rückweg holen Sie gleich das erste Kind vom Sport wieder ab. Weiter geht’s zuhause mit der Haushaltsarbeit: Kochen, Aufräumen, Geschichten erzählen, Kinder ins Bett bringen. Und endlich kommt auch Ihre Partnerin, ihr Partner nach Hause – müde und geschafft, da das Haushaltsbudget mit einem kleinen Ne­benjob am späteren Nachmittag bis in den Abend hinein etwas aufgebessert werden muss.

Zum Glück sind die Kinder nicht mehr ganz so klein, so dass Sie wenigstens eine, maximal zwei Stunden alleine zu Hause sein können, ohne dass Sie sich Sorgen machen müssen. Doch trotz all diesen Anstrengungen: Das Geld reicht kaum für ein Hobby für jedes Kind, geschweige denn für Bio-Produkte (was Ihnen aber ein gros­ses Anliegen wäre), noch für sehr gesundes Essen (wie mageres Fleisch, viel Ge­müse und Früchte), noch für ein Abonnement für die Zeitung, noch für Ferien.

Regelmässig kommen die Kinder von der Schule nach Hause und brauchen da zwei und dort fünf Franken. Sie fühlen sich unwohl dabei, dass Sie es sich kaum leisten können und wollen doch den Kindern ermöglichen, am sozialen Leben teilzuhaben und nicht aus der Gruppendynamik ausgeschlossen zu sein.

Kleine Besonderheiten in Erziehung und Alltag

Zum Glück gibt es noch den einen oder anderen Fonds oder eine Stiftung*, aus wel­chem die Musikschule oder auch mal etwas Besonderes finanziert werden kann. Trotzdem verzichten Sie als Paar auf gemeinsame Abende im Kino oder in einem Restaurant – das Geld reicht auch dafür nicht. Sie beide fühlen sich müde und aus­gelaugt und haben kaum noch Zeit und Energie für die Paarbeziehung –  trotz einem gemeinsamen Arbeitspensum von 150 %, in der reichen Schweiz.

Das Bundesamt für Statistik (BFS) hat 2012 folgende neue Zahlen veröffentlicht: In der Schweiz waren 2010 3,5 Prozent aller Erwerbstätigen von Armut betroffen. Dies entspricht rund 120‘000 Personen. Im Vergleich zu 2008 (5,2 Prozent) ist die Armutsquote der erwerbstätigen Bevölkerung somit zum Glück gesunken. Dies kann mit der positiven Arbeitsmarktsituation​ in den Jahren 2006 bis 2008 erklärt werden, da die Armutsquote jeweils mit einiger Verzögerung der Arbeitsmarktentwicklu​ng folgt. Die mediane Armutslücke der Erwerbstätigen ging im beobachteten Zeitraum ebenfalls von 31,6 Prozent auf 18,9 Prozent zurück. Die Armutslücke misst den mitt­leren Abstand der Einkommen der armen Bevölkerung zur Armutsgrenze und gibt dadurch an, wie stark diese von Armut betroffen ist.

Alleinerziehend​e schwer benachteiligt  

Mit einer Armutsquote von 19,9 Prozent sind Personen in Einelternfamilien mit Kind(ern) am häufigsten von Erwerbsarmut betroffen. Weitere besonders betroffene Gruppen sind alleinlebende Erwerbstätige (6,7 Prozent), Frauen (4,8 Prozent), Er­werbstätige ohne nachobligatorische Schulbildung (6,7 Prozent) und Personen in Haushalten mit nur einer/einem Erwerbstätigen (7,3 Prozent). Bei zwei Erwerbstäti­gen im Haushalt beträgt die Armutsquote dagegen lediglich 1,4 Prozent.

Die Einkommenssituation der Erwerbstätigen werden auch wesentlich durch die Ar­beitsform und -bedingungen bestimmt. So sind Personen, die nur einen Teil des Jah­res einer Erwerbstätigkeit nachgehen (7,4 Prozent) und überwiegend Teilzeitange­stellte (5,2 Prozent) besonders von Armut betroffen. Dasselbe gilt für Selbständige ohne Angestellte (9,9 Prozent), Personen mit befristeten Arbeitsverträgen (6,3 Pro­zent), Erwerbstätige mit atypischen Arbeitsbedingungen wie Wochenendarbeit, Nachtarbeit und/oder fremdbestimmten unregelmässigen Arbeitszeiten (3,4 Prozent) sowie Personen, die im Gastgewerbe (7,7 Prozent) oder in privaten Haushalten (8,3 Prozent) tätig sind.

Leiden in der Unterschicht

Zahlen sagen nicht alles aus: Auf den ersten Blick erscheinen diese Zahlen zwar er­freulich, da es in gewissen Be­reichen eine Senkung der Quote gab. Doch die schwe­ren Zeiten, die betroffene Fa­milien mitmachen, spiegeln sich nicht in einer Statistik. Es lastet eine grosse Verant­wortung auf den Schultern dieser Menschen. Eine Fami­lie, die materielle Unterstüt­zung vom Staat bekommt, profitiert auch von anderen Be­gleitmassnahmen: Sie be­kommen mentale Unterstützung, können offen über ihre Situation reden und haben einfacheren Zugang zu Fonds und Stiftungen. Fremd­sprachigen Personen wird auch geholfen.

Ich wünschte mir, dass auch selbständige Familien, die an der Armutsgrenze leben, von Dienstleistungen des Staats profitieren können. Dies vor allem, damit die Kinder dieser Familien aus diesem «Armuts-Sog» heraus kommen – mit einer guten Schul- und Ausbildung, mit einer Selbstständigkeit und Startchancen ins Erwachsenenle­ben, wie es auch Kinder aus sozial besser gestellten Familien erleben. So könnten wir weitere Sozialhilfeausgaben wie auch Gesundheitskosten sparen.

Armut ist öffentliche Sache

Denn wer zufrieden und ausgeglichen durchs Leben geht, lebt gesünder. Als erster Schritt müssen deshalb auch die bürgerlichen PolitikerInnen solche Familien zur Kenntnis nehmen – denn manchmal scheint mir, dass sie sich in einer gar heilen Welt wägen und die Augen vor solchen Situationen verschliessen. Aber es geht uns alle etwas an – Armut ist keine Privatsache.

*Die Gemeinden sind im Bereich der Musikschul-, Lager- oder Reisekosten sehr unter­schiedlich orga­nisiert. Erkundigen Sie sich bei Ihnen auf der Gemeindekanzlei, resp. Stadt­kanzlei. Unter http://www.edi.admin.​ch/esv/05263/index.ht​ml?lang=de befindet sich das schwei­zerische Stiftungsver­zeichnis​. Aber auch für diese Suche sollten Ihnen die Sozial­dienste der Gemeinden/Städte behilflich sein.

Personen haben auf diesen Beitrag kommentiert.
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Comments to: Working poor
  • November 18, 2012

    EInfach noch mal 800`000 Menschen aus wirtschaftlichen Prpblemländer in die Schweiz reisen lassen damit working poor und Obdachlose in den Mittelstand aufsteigen können.

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  • November 18, 2012

    Wenigstens bringt Frau Feri hier eine Zahl von 120’000
    “Armutsbetroffenen​”, was der Wahrheit gewiss viel näher kommt
    als 800’000, von denen Hugo Fasel, ihr Parteikollege, faselt.
    Es liegt auf der Hand, dass der Löwenanteil davon Zugewanderte
    sind, die ihren Weg aus der Misere zu uns gefunden haben und
    denen es hier nun bedeutend besser geht. Diese Leute sind denn
    auch fürs erste zufrieden und haben wohl nicht einmal nach einem
    Sprachrohr gesucht, als das sich Frau Feri gebärdet, indem sie
    das mit der starken Migration einhergehende soziale Gefälle
    anprangert. Die von ihr beschriebene Armut ist zu einem weiteren
    Teil auch selbstverschuldet, wie es Herr R. Walser richtig bemerkt
    hat; wer ein zu kleines Einkommen hat, sollte eben z.B. auf eine Familiengründung verzichten. Wenn jemand nur Teilzeitarbeit
    leistet, so ist nichts rechter und billiger, als dass das Einkommen
    auch vermindert ist (arbeitsscheues Gelichter will ich als
    Steuerzahler indessen nicht alimentieren).Wir brauchen also kein
    Erbarmen mit unseren materiell weniger Begüterten zu haben, zumal
    Frau Feri weinerlich-winselnd gar auch deren Verzicht auf Luxus
    wie Kino- und Restaurantsbesuch beklagt. Wer unterstützt wird, gewöhnt
    sich daran und vermindert dementsprechend eigene Anstrengungen zur Verbesserung seiner Situation. Deshalb ist Frau Feris Rufnach mehr staatlicher Unterstützung völlig verfehlt; er wird als kläglicher
    Versuch erkannt, die sozialdemokratische Absicht der Umverteilung zu
    propagieren.

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  • November 18, 2012

    Ich finde es total zynisch was hier $P-Politiker in die Welt setzen. Und auch ziemlich mutig, da diese ein Teil des Problems sind. Wenn die $P natürlich in sämtlichen Bereichen die Abgaben, Steuern und Gebühren erhöht ( z.B Benzin, Strom, ÖV, Autobahn-Vignette, Raod-Pricing, Motorfahrzeugsteuern,​ Staats-und Gemeindesteuern etc. ), oder gar neue einführt, dann muss man sich nicht wundern, wenn immer mehr SchweizerInnen zu Working Poors werden!!

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  • November 20, 2012

    Und dann ist die SP ja auch grosse Befürworterin der PFZ. Dass dabei die Löhne des Mittelstandes nicht mehr weiter steigen können ist auch eine Folge davon. Auch die steigenden Wohnungsmieten usw.

    Die SP hat mit ihrer Politik die ganze Verarmung in der Schweiz mitverschuldet.

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  • November 20, 2012

    Auch das ist eine Folge der Personenfreizügigkeit​. Weil das Angebot an Arbeitskräften steigt, sinken die Preise für die Arbeit, also die Löhne.

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  • November 20, 2012

    Ein düsteres Thema!

    Es gibt verschiedene Möglichkeiten mit diesem Problem umzugehen:
    Ignoriere​n.
    Die Sozialausgaben erhöhen.
    Einen Minimallohn einführen, der gewährleistet, dass mit 150 Stellenprozent eine vierköpfige Familie ohne staatliche Hilfe bequem durchs Leben kommt.

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  • November 21, 2012

    Etwas am Thema vorbei: die Altersarmut.

    Einve​rstanden, die dürfte es eigentlich gar nicht geben, wenigstens theoretisch, denn wir haben ja die Ergänzungsleistungen.​ In der Praxis ist es jedoch so, dass viele ältere Menschen nicht zur “Fürsorge” gehen, weil man das nicht macht. Das ist eine andere Generation mit einer altmodischen Einstellung zum Sozialstaat. Diese Leute ernähren sich lieber von Wasser und Hörnli als dem Staat Auskunft über ihre finanzielle Situation zu erteilen.

    Wie wäre es mit einem garantierten Grundeinkommen für über 65-jährige Schweizer?

    Bereits​ heute sorgt der Staat mit den Ergänzungsleistungen und den Beiträgen an die Krankenkassenprämien dafür, dass ein AHV-Rentner ein monatliches Minimaleinkommen von etwa 3’000 Franken erhält, siehe unten. Dies mit einem grossen bürokratischen Aufwand bei der Berechnung der Ansprüche.

    Wie hoch sind die Ergänzungsleistungen für Alleinstehende?
    sehr​ vereinfacht gilt:
    allgemeiner Lebensbedarf 19 210 Franken,
    Mietzins 13 200 Franken, maximal
    Das sind zusammen maximal 32’410 Franken. Der ausbezahlte Betrag wird noch um die bezogenen Renten und das sonstige Einkommen vermindert. Wenn noch die Krankenkasse hinzu kommt, sind wir bei etwa 36’000 Franken, das entspricht etwa 3’000 Franken pro Monat.

    Das folgende System würde deutlich weniger Verwaltungskosten verursachen:

    Anspr​uchsberechtigt sind alle über 65-jährigen Schweizer mit einem Vermögen von weniger als 50’000 Franken.

    Es gilt die einfache Formel:
    “3’000 Franken” – “AHV-Rente” – “Pensionskassen-Rent​e” = Zusatzrente

    z.B. 3’000 – 1’800 – 600 = 600 Franken

    Für Spezialfälle und Heimbewohner gäbe es immer noch die Ergänzungsleistungen.​

    Die Zusatzrente wird automatisch und ohne Anmeldung beim Sozialamt gezahlt. Dadurch steigt die Anzahl der Bezüger und damit auch die Gesamtkosten.
    Aber es gäbe auch keine schweizer Rentner mehr, die sich von Wasser und Hörnli ernähren.

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    • Juli 19, 2021

      Mit einem bedingungslosen Einkommen von 3000 Fr. wären AHV und Pensionkassenbeiträge​ gar nicht mehr nötig. Wieso dann einzahlen?

      3000 Fr. nach 45 Jahren AHV Beiträge und Pensionskasenbeiträge​ des kleinen Büetzer.

      3000 Fr. einfach so.

      Finden Sie das gerecht?

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    • Juli 19, 2021

      Man kann natürlich sagen, wir verzichten auf AHV- und Pensionskassen-Beiträ​ge. Aber auch dann muss das Geld von irgendwoher kommen.
      Im Vorschlag kommen die 3’000 Franken aus drei verschiedenen Quellen: AHV-Rente, Pensionskassen-Rente und Zusatzrente. So wird die Last verteilt.

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