1. Aussenpolitik

Institutionelles Rahmenabkommen mit der Europäischen Union

Offener Brief des Prä­si­di­ums der In­ter­pharma zum Ab­bruch der Ver­hand­lun­gen über das In­sti­tu­tio­nelle Rah­men­ab­kom­men mit der Eu­ropäi­schen Union

Sehr ge­ehr­ter Herr Bun­desprä­si­dent, sehr ge­ehrte Damen und Her­ren Bun­des­rätin­nen und Bundesräte,

Der Abbruch der Verhandlungen über das Institutionelle Rahmenabkommen mit der Europäischen Union ist für den innovationsstarken Pharma- und Forschungsstandort Schweiz ein herber Schlag. Gesicherte Bedingungen im täglichen Austausch zwischen der Schweiz und ihrer wichtigsten Handelspartnerin haben für unsere Unternehmen höchste Bedeutung. Die Schweizer Pharmaunternehmen exportieren fast 25 Mal so viel Produkte ins Ausland, wie sie in der Schweiz absetzen. 46 Prozent der Schweizer Pharma-Exporte gehen dabei in die EU – pro Tag setzen sie so 125 Millionen Franken um. Diese Zahlen verdeutlichen, dass die Wettbewerbsfähigkeit und Stärke des Schweizer Pharma- und Forschungsstandorts massgeblich mit der Teilnahme am EU-Binnenmarkt verknüpft sind. Von dieser Wettbewerbsfähigkeit profitiert nicht nur die Schweizer Wirtschaft, da die Pharmaindustrie direkt und indirekt 254’000 Menschen in der Schweiz beschäftigt und so 9,2 Prozent des Bruttoinlandprodukts erwirtschaftet. Sie sichert auch den privilegierten und erstklassigen Zugang der Schweizer Patientinnen und Patienten zu innovativer und hochqualitativer Medizin. Deshalb rufen wir den Bundesrat auf, die Beziehung der Schweiz zur EU rasch auf ein stabiles und rechtssicheres Fundament zu stellen und damit die Erosion des bilateralen Wegs zu verhindern. Dass dies nicht nur der Wunsch von Firmen ist, sondern insbesondere ein Anliegen der Stimmberechtigten, zeigen die Resultate der GfS-Europabefragung. Weil die Sicherung der Marktteilnahme und die Planungssicherheit zentrale Anliegen der Schweizerinnen und Schweizer sind, haben 64 Prozent der Befragten sich für den Abschluss eines InstA und geregelte Beziehungen mit der EU ausgesprochen.

Die Teilnahme am Binnenmarkt darf nicht erodieren

Das Ende der Verhandlungen über ein Rahmenabkommen droht mittelfristig die Teilnahme der in der Schweiz ansässigen Pharmaunternehmen am EU-Binnenmarkt einzuschränken, da die Errungenschaften des bilateralen Wegs kontinuierlich erodieren. Deshalb sind nun rasche Absicherungen insbesondere in drei Bereichen notwendig:

  • Die gleichberechtigte Teilnahme am Binnenmarkt: Schweize​r PharmaUnternehmen müssen darauf zählen können, dass sie ihre Produkte nicht doppelt zertifizieren und ihre Fabriken nicht mehrfach inspizieren lassen müssen für den Export in die EU. Das bedingt, dass das Abkommen über den Abbau technischer Handelshemmnisse (MRA) laufend aktualisiert wird.
  • Der Zugang zu hochqualifizierten Arbeitskräften: Wie keine andere Branche lebt der Pharmasektor von der Innovation. Hierfür braucht er den einfachen Zugang zu den besten Talenten. Das Abkommen zur Personenfreizügigkeit​ ist hierfür ein wichtiges Element.
  • Die enge Zusammenarbeit in der Forschung, darunter auch die Beteiligung der Schweiz an den EU-Forschungsrahmenab​kommen. Die Schweiz darf künftig nicht zum Drittstaat in den prestigeträchtigen und gut dotierten Forschungsprogrammen der EU herabgestuft werden und muss weiterhin vollständig assoziiert daran teilnehmen können.

Mit einer kohärenten Strategie den Pharma- und Forschungsstandort stärken

Die Unsicherheit durch den Abbruch der Verhandlungen, gepaart mit dem ohnehin zunehmenden internationalen Wettbewerbsdruck, macht es unabdingbar, dass die Schweiz mit einer umsichtigen Strategie ihren Pharma- und Forschungsstandort weiter und nachhaltig stärkt. Das bedeutet einerseits, dass der Bundesrat rasch mit Reformen für exzellente Rahmenbedingungen im internationalen Vergleich sorgt, sich dabei an den führenden Standorten auf der Welt misst und die Zusammenarbeit mit diesen anstrebt. Andererseits darf die Schweiz die Rahmenbedingungen nicht verschlechtern. Konkret heisst das:

  • Zugang zu anderen Exportmärkten erleichtern, zum Beispiel durch neue Freihandelsabkommen oder durch ein MRA mit den USA
  • Ausbau der internationalen Forschungszusammenarb​eit ausserhalb der EU
  • Flexibilisierung der Drittstaatenregelung für qualifizierte Arbeitskräfte
  • Verhind​erung von Doppelbesteuerungen, insbesondere im digitalen Bereich
  • Vorantreiben der Digitalisierung des Gesundheitssystems, unter anderem durch den Aufbau eines Gesundheitsdatenökosy​stems in der Schweiz
  • Robuster Schutz des geistigen Eigentums
  • Raschere Genehmigung von klinischen Versuchen
  • Keine weitere Schwächung des Pharmastandorts durch die Kostendämpfungspakete​ 1 und 2
  • Verbesserung des Zugangs für Patientinnen und Patienten zu innovativen Medikamenten und Therapien

Die Schweizer Pharmaindustrie investiert jährliche Milliarden in der Schweiz, baut dadurch Arbeitsplätze auf und ermöglicht den Patientinnen und Patienten einen erstklassigen Zugang zu Medizin. Das wollen wir auch künftig können. Hierzu brauchen wir aber weiterhin geregelte Beziehungen zur wichtigsten Handelspartnerin und erstklassige Rahmenbedingungen.

Wi​r ersuchen Sie daher höflich und eindringlich, die oben erwähnten Forderungen und Vorschläge in ihre Arbeiten aufzunehmen und der Bevölkerung und der Wirtschaft rasch einen konkreten Weg aus der aktuellen Unsicherheit über die Teilnahme am EU Binnenmarkt darzulegen. Gerne stehen wir Ihnen für den Dialog wie auch eine konstruktive Mitarbeit zur Verfügung.

Freundlich​e Grüsse

Jörg-Michael Rupp, Präsident Interpharma; Head of Roche Pharma International

Nicola Franco, Vizepräsident Interpharma; Executive VP and Chief Business Development Officer, Corporate & Business Development Johnson & Johnson

Dr. med. Katharina Gasser, Vizepräsidentin Interpharma; Managing Director Biogen Switzerland

Mark Never, Vizepräsident Interpharma; Head Western European Cluster Novartis

Dr. René Buholzer, Geschäftsfü​hrer Interpharma und Delegierter des Vorstands

Quelle: h​ttps://www.interpharm​a.ch/blog/offener-bri​ef-des-praesidiums-de​r-interpharma-zum-abb​ruch-der-verhandlunge​n-ueber-das-instituti​onelle-rahmenabkommen​-mit-der-europaeische​n-union/

Comments to: Institutionelles Rahmenabkommen mit der Europäischen Union

Neuste Artikel

  1. Sicherheit & Kriminalität
Bergsteiger:innen und Skitourengänger:innen sind Hasardeur:innen. Offenbar leben wir heute in einer Welt voll von Zynikern und Egoisten. Denken diese Hasardeur:innen nicht an ihre Familien, Freunde, Bekannten und nicht zuletzt an die Gefahren für die Rettungskräfte? Gewisse Menschen muss man vor sich selber schützen wie kleine Kinder. Aber ich stelle ernüchtert fest: Verantwortungsbewusstsein, Fürsorglichkeit und Rücksichtnahme verabschieden sich langsam aus unserer Gesellschaft.
  1. Umwelt, Klima & Energie
Unwetter und Bergstürze in den Alpenregionen drängen zum Rückzug ins Mittelland! Bei den hohen Subventionen für die Erhaltung und Wiederherstellung von Infrastrukturen in den Alpenregionen darf man schon fragen, ob wirklich jedes Bergtal optimal erschlossen, erhalten und entwickelt werden soll. Die Bergkantone sollten sich einmal konzeptionell Gedanken machen, welche Täler über eine geordnete Abwanderung „passiv saniert“ werden könnten.
  1. Aussenpolitik
Das Common Understanding ist das Trojanische Pferd der bilateralen Verträge! Gemäss dem Common Understanding (("Gemeinsame Erklärung") werden in allen Binnenmarktabkommen mit der EU sogenannte "institutionelle Elemente" (Faktenblatt des Bundes, Dezember 2023) eingebaut. Diese institutionellen Elemente besagen, dass jedes Abkommen Klauseln beinhalten wird, welche die Schweiz im Bereich des Abkommens der EU-Gerichtsbarkeit unterwerfen.

Bleiben Sie informiert

Neuste Diskussionen

Willkommen bei Vimentis
Werden auch Sie Mitglied der grössten Schweizer Politik Community mit mehr als 200'000 Mitgliedern
Tretten Sie Vimentis bei

Mit der Registierung stimmst du unseren Blogrichtlinien zu