1. Politik Aktuell

Herausforderungen der Altersvorsorge in der Schweiz

Die Altersvorsorge gehört zu den wichtigsten sozialen Einrichtungen der Schweiz, denn fast alle sind oder werden auf die Vorsorge angewiesen sein. Die obligatorische Altersvorsorge kostete 2005 ca. 65 Milliarden Franken. Das entspricht 14% des Bruttoinlandprodukts (BIP) der Schweiz oder anders ausgedrückt: Von 100 erwirtschafteten Franken gehen durchschnittlich 14 Franken an die obligatorische Altersvorsorge. Da wir immer länger leben, steigen diese Ausgaben jährlich an. Gleichzeitig wird die Zahl der bezahlenden Personen (arbeitende Bevölkerung) trotz Einwanderung abnehmen.

Dieser Text zeigt, wie das Schweizer Altersvorsorgesystem aufgebaut ist, wo die Probleme liegen, welche möglichen Lösungen es gibt und welche Auswirkungen diese Lösungen auf uns alle haben.

Das heutige Altersvorsorgesystem

Das heutige Altersvorsorgesystem besteht aus drei Säulen:

  • Die Alters- und Hinterlassenenversicherung AHV zahlt nur eine kleine Rente (siehe Kasten rechts), die zur Existenzsicherung und Vermeidung von Armut dient. Sie ist für alle obligatorisch.
  • Die berufliche Vorsorge BV (Pensionskasse) soll ein komfortableres Leben über dem Existenzminimum ermöglichen. Ziel ist es, dass AHV und BV zusammen eine Rente ermöglichen, welche durchschnittlich 60% des letzten Einkommens vor der Pension entspricht. Die BV ist für alle Arbeitnehmer/innen obligatorisch, welche in der AHV versichert sind und jährlich mindestens 19’890 Franken (= 7/8 der max. AHV Altersrente) verdienen. Zusätzlich zur obligatorischen BV kann jede Person freiwillig mehr in die Pensionskasse einzahlen (= Überobligatorium).
  • Die private Vorsorge (3. Säule) ist freiwillig. Jeder spart nach seinen eigenen Möglichkeiten und seinem eigenen Gutdünken. Der Staat unterstützt dies, indem man Einzahlungen an anerkannte Vorsorgeeinrichtungen (Bank oder Versicherung) von der Einkommenssteuer abziehen kann (pro Jahr max. CHF 6’365 für Arbeitnehmer / max. CHF 31’824 für Selbstständige).

Je nach Einkommen sind die drei Säulen unterschiedlich wichtig. Nebenstehende Grafik zeigt,


Abb, 1: Einkommensersatzquoten der 3 Säulen

welche Säule bei welchem Einkommen wie viel zur Rente im Alter beiträgt. Eine Ersatzquote von 80% bedeutet, dass die Rente 80% des vor der Pension erzielten Einkommens ersetzt. Die angegebenen Ersatzquoten gelten bei einer Pensionierung mit 65 Jahren für Männer und 64 Jahren für Frauen. Bei einer Frühpensionierung muss man in der Regel eine Kürzung der Renten aus den einzelnen Säulen in Kauf nehmen.

Finanzierung der Altersvorsorge

Die AHV und die berufliche Vorsorge (BV) sind unterschiedlich finanziert. Die AHV funktioniert nach dem Prinzip des so genannten Umlageverfahrens. Dies bedeutet, dass die Renten mit dem Geld bezahlt werden, welche die heutigen Berufstätigen verdienen. Den Berufstätigen wird also ein bestimmter Prozentsatz vom Lohn


Abb. 2: Finanzierung der AHV

abgezogen, welcher dann innerhalb kürzester Zeit einem Rentner ausbezahlt wird. Damit kommt es zu einer Umverteilung von Jung zu Alt und, da auch Reiche nur eine kleine Rente erhalten, von Reich zu Arm. Damit die AHV kurzfristige Schwankungen ausgleichen kann, gibt es den Ausgleichsfonds. Dies ist die Reserve der AHV. Sie umfasste Ende 2005 (neuere Zahlen sind nicht verfügbar) rund 29 Mrd. Franken. Die AHV hat einige weitere Einnahmequellen, welche in der Grafik nebenan dargestellt sind.

Die berufliche Vorsorge (BV) nutzt im Gegensatz zur AHV das Kapitaldeckungsverfahren zur Finanzierung. Dabei gibt es keine Umverteilung, sondern jeder spart für sich sein eigenes Guthaben an. Das Sparen beginnt mit dem 25. Altersjahr und endet mit dem Rentenalter. Mit steigendem Alter wird ein höherer Prozentsatz des Lohnes in die BV einbezahlt. Das einbezahlte Guthaben wird von der BV angelegt und jährlich je nach Anlageerfolg verzinst. Der Bundesrat legt jeweils im Voraus den Zins fest, mit dem das gesparte Guthaben mindestens verzinst werden muss. Der so festgelegte Mindestzins hängt davon ab, welchen Zins die Pensionskassen mit Aktien, Obligationen und sonstigen Anlagen erzielen können. 2007 erhalten alle Versicherten mindestens 2.5% Zins. Die Pensionskasse kann aber mehr Zins auszahlen.

Mit dem Erreichen des Pensionsalters kann das im Rahmen der beruflichen Vorsorge gesparte Kapital entweder als Ganzes auf einmal bezogen werden oder man kann es in eine Rente umwandeln lassen. Der Umwandlungssatz, mit dem die jährliche Rente berechnet wird, beträgt derzeit 7.10% für Männer und 7,15% für Frauen (Stand 2007). Hat man also ein gespartes Kapital von 100’000 Franken, dann erhält man bei einem Umrechnungsfaktor von 7.1% 7’100 Franken pro Jahr als Rente. Da die Lebenserwartung ständig steigt, wurde vorgeschlagen, den Umrechnungsfaktor von der Lebenserwartung abhängig zu machen. Denn je älter man durchschnittlich wird, desto länger muss das gesparte Kapital ausreichen und desto tiefer müsste der Umwandlungssatz sein. Mit der 1. BVG Revision (2003) wird der Umrechnungsfaktor für Männer und Frauen bis 2014 daher schrittweise auf 6,80% abgesenkt. Wird der Umwandlungsfaktor im Verhältnis zur Lebenserwartung zu hoch angesetzt, bedeutet dies, dass die Rentner ihr eigenes Kapital zu schnell verbrauchen und die Pensionskasse anschliessend auch Teile des Kapitals von jüngeren Generationen anbrauchen muss, um die Renten zu bezahlen. So besteht die Gefahr, dass die Rente für jüngere Generationen massiv gekürzt werden muss, obwohl sie selber gespart haben.

Alterung der Gesellschaft und deren Auswirkungen

Die Tabelle 1 zeigt, wie viel Prozent der Bevölkerung in der Vergangenheit älter als 65 Jahre sind und wie viele berufstätig waren und wie sich diese Zahlen in Zukunft gemäss Bundesamt für Statistik (BFS) entwickeln werden:


Tabelle 1: Anteil von Rentnern und Arbeitstätigen an der Bevölkerung. * Schätzungen des BFS (2005), mittleres Szenario

Wie man in der Tabelle sieht, hat das Verhältnis des Anteils der Erwerbstätigen zu den über 65-Jährigen in den letzten Jahren stets abgenommen. Dies hat folgende Gründe:

  • Die Geburtenrate ist seit längerer Zeit rückläufig: 1980 brachte jede Frau im Durchschnitt noch 1.55 Kinder zur Welt, 2005 waren es nur noch 1.42.
  • Die Leute werden heute immer älter. Frauen hatten 1980 bei ihrer Geburt eine Lebenserwartung von 79.1 und Männer von 72.4 Jahren. Heute (2005) liegt diese für Frauen bereits bei 83.9 und für Männer bei 78.7.

In der Folge müssten im Jahr 2035 bei gleichem Rentenalter nur zwei Erwerbstätige die Rente eines AHV-Bezügers bezahlen, während es heute noch 3.5 sind.

Für die berufliche Vorsorge bedeutet dies: Früher (1980) hatte man 40 Jahre Zeit, die Rente für 14.3 (durchschnittliche Anzahl restliche Lebensjahre bei Männern mit 65) bzw. 18.1 (bei Frauen) Jahre zu sparen. 2035 müsste das innerhalb 40 Jahren gesparte Geld bereits 21.5 bzw. 25.2 Jahre reichen.

Wenn man nichts dagegen unternimmt, wird die AHV in Zukunft grosse Defizite schreiben. Bei der beruflichen Vorsorge werden die Rentner auch das Kapital der Jungen anbrauchen und diese haben dann eine kleinere Rente. Bei den Pensionskassen diskutiert das Parlament, die Renten d.h. den Umwandlungssatz (s. oben) noch weiter, bis auf 6.4% zu kürzen, um dies zu verhindern. Ob die Kürzung angenommen wird und bis wann sie umgesetzt werden soll, ist allerdings noch offen. Der Ständerat hat den Vorschlag mit 22:11 Stimmen abgelehnt. Das Geschäft kommt noch in den Nationalrat.

Mögliche Lösungen

Um die anstehenden Probleme bei der Altersvorsorge zu lösen, werden die verschiedensten Lösungen diskutiert. Grundsätzlich gibt es drei Möglichkeiten, das Problem langfristig zu lösen, wobei auch eine beliebige Kombination dieser Varianten denkbar ist:

  • Mehreinnahmen: Die AHV kann auf verschiedene Arten zu Mehreinnahmen kommen. Einerseits könnte man versuchen, die Geburtenraten zu steigern oder mehr Ausländer in die Schweiz zu holen. Bis die heute geborenen Kinder aber die ersten Beiträge zahlen, vergehen mindestens 20 Jahre. Ausserdem hat die Schweiz bereits heute eine sehr hohe Einwanderungsrate, die kaum mehr stark erhöht werden könnte. Eine andere Möglichkeit wäre, die Lohnprozente oder die übrigen Einnahmequellen (Bundesbeiträge, Mehrwertsteuer etc.) zu erhöhen. Würden die Probleme der Altersvorsorge nur über eine Erhöhung der Lohnprozente gelöst und sollen die Renten der obligatorischen Vorsorge (AHV + BV) weiterhin im Schnitt ca. 60% vom letzten frei verfügbaren Lohn ausmachen, so müssten die Erwerbstätigen 2035 grob geschätzt 23% ihres Lohns für die Altersvorsorge aufwenden.
  • Renten kürzen: Dies kann geschehen, indem man bestehende oder nur neue Renten kürzt. Eine andere Möglichkeit wäre die Renten nicht mehr an die steigenden Löhne (Teuerung und Reallohnerhöhungen) anzupassen und die Renten damit im Vergleich zu heute automatisch sinken zu lassen. Beim BVG würde eine Kürzung der Renten über den Umwandlungssatz gehen. Würde man das Problem nur mit Rentenkürzungen lösen, so würde die Ersatzquote der obligatorischen Vorsorge von ca. 60% (im Jahr 2005) auf grob geschätzt 49% im Jahr 2035 sinken. Das heisst also, das Einkommen würde bei der Pensionierung um ca. 51% statt 40% sinken.
  • Rentenaltererhöhung: Dies kann man umsetzen, indem man das reguläre Rentenalter von Mann und/oder Frau erhöht oder ein flexibles Rentenalter einführt (und hofft, dass viele freiwillig länger arbeiten). Ein höheres Rentenalter wirkt doppelt. Erstens arbeiten mehr Personen und steigern damit den Wohlstand der Schweiz pro Kopf sowie die Steuereinnahmen. Zweitens gibt es weniger Rentner, die finanziert werden müssten. Würde man die Finanzierungslücke nur mit Rentenaltererhöhungen schliessen, so müsste das Rentenalter für Mann und Frau bis 2035 grob geschätzt auf 71-72 Jahre erhöht werden.

Vermutlich wird das Problem bei der Altersvorsorge nicht mit einer einzigen Massnahme gelöst werden können, da die einzelnen Massnahmen kaum mehrheitsfähig sind. Daher wird man eine geeignete Mischung finden müssen. Jede der drei Möglichkeiten hat Vor- und Nachteile. Der höchste Gesamtwohlstand würde bei der Rentenaltererhöhung resultieren, weil da der gesamte „Kuchen“ (BIP), den es zu verteilen gibt, grösser wird. Dafür müssten alle, die können, länger arbeiten. Bei den ersten beiden Lösungen wird der „Kuchen“ nicht grösser, sondern der Wohlstand wird einfach je nach Lösung zwischen Rentner und Erwerbstätigen umverteilt.

Literaturverzeichnis

Bundeskanzlei (2007). Geschäftsbericht des Bundesrats 2006. Abrufbar unter Link

Bundesamt für Sozialversicherung BSV (2007). Berufliche Vorsorge und 3. Säule. Abrufbar unter Link

Bundesamt für Sozialversicherung BSV (2007). Gebundene Selbstvorsorge. Link

Bundesamt für Sozialversicherung BSV (2006). Soziale Sicherheit. Link

Bundesamt für Statistik BFVS (2007). Sozialversicherungen. Abrufbar unter Link

Credit Suisse (2004). Zukunft der AHV – für ein Morgen ohne Sorgen. Economic Briefing Nr. 38 Link

Bundesamt für Statistik BSV (2006). Berufliche Vorsorge. Abrufbar unter Link

20070620_Altersvorsorge.pdf – PDF

Neuste Artikel

  1. Gesellschaft
Ist NR Andreas Glarner ein «Gaga-Rechtsextremist»? Sollten sich mutmasslich ehrverletzende Schimpfwörter, wie sie Hansi Voigt gebrauchte, als rechtmässig in Kauf zu nehmende Kollateralschäden für gewählte Politiker:innen durchsetzen, würden hierzulande einige Dämme brechen. Die Entschädigung, welche Nationalrät:innen beanspruchen dürfen, wäre dann in der Tat endgültig eine «Schafseckelzulage», wie sich der verstorbene frühere Bildungsdirektor Alfred Gilgen jeweils auszudrücken pflegte.
  1. Gesellschaft
Die Meinungsfreiheit ist in Deutschland gefährdet. Meinungsfreiheit, die keine falschen Tatsachenbehauptungen zulässt, ist eben keine. Nur eine Gesellschaft, in der es sogar erlaubt ist, zu lügen, ist wirklich frei. Die Lüge mag moralisch verwerflich sein. Ein Rechtsvergehen darf sie in einer freien Gesellschaft niemals sein. Dass die neue Koalition in Deutschland offensichtlich an eine Medienaufsicht zur Wahrheitskontrolle denkt, macht die Sache noch schlimmer. Vor allem aber gestehen die rot-schwarzen Koalitionäre mit der Planung einer staatsfernen Medienaufsicht selbst ein, dass sie Meinungen unterhalb der Schwelle des Strafrechts sanktionieren wollen. Doch in einem Rechtsstaat ist alles erlaubt, was nicht verboten ist. Wer an diesem Grundsatz rüttelt, öffnet das Tor zu einer autoritären Gesellschaft.

Bleiben Sie informiert

Neuste Diskussionen

Willkommen bei Vimentis
Werden auch Sie Mitglied der grössten Schweizer Politik Community mit mehr als 200'000 Mitgliedern
Tretten Sie Vimentis bei

Mit der Registierung stimmst du unseren Blogrichtlinien zu