1. Ausländer- & Migrationspolitik

Zuwanderung und Bauboom: Die Schweiz wird eng!

 

Die Pauschaldiagnose der SVP (Beispiel: Hans Fehr, Lukas Reimann) sieht in der dank Personenfreizügigkeit​ „ungebremsten Zuwanderung von Arbeitskräften in der Schweiz“ die Wurzel des Niedergangs. Zuwanderung treibt die Mietzinsen hoch, verschlingt unser Kulturland, produziert Verkehrschaos, überfüllt die Züge, drückt die Löhne, strapaziert unsere Sozialwerke… Sie hat im Widerspruch zur Behauptung der Wirtschaftsverbände keinen Aufschwung gebracht, sondern bloss den öffentlichen Sektor aufgebläht, nämlich Verwaltung, Gesundheitswesen und Erziehung. „Das bringt keine echte Wertschöpfung, sondern mehr Staat, mehr Bürokratie, mehr Staatsausgaben, höhere Steuern, weniger Wohlstand.“ (Fehr)

 

Der Satz tönt ebenso „gebetsmühlenartig“ (Ausdruck Fehrs) wie die erwähnte Behauptung der Wirtschaftsverbände und zielt ausserdem undifferenziert auf Wirkung. Die Ueberlegung, was der Stimmbürger denn heute – in Krisenzeiten besonders – unter Wertschöpfung verstehen soll, wird im Übrigen unterschlagen. Man möchte sich doch zum Beispiel fragen, ob denn der dank tiefen Hypothekarzinsen boomende Baumarkt für Appartements (mit allem Prestige fördernden Schnickschnack) zu Luxus-Mietpreisen mehr oder weniger „echte Wertschöpfung“ bringt als  B i l d u n g  oder  K r a n k e n p f l e g e . Selbst dann, wenn erstere auch ausländischen Schülern und Studenten zugedacht ist und letztere auch durch ausländisches Gesundheitspersonal erbracht wird.

 

Beschränken​ wir uns auf das Thema Bauwirtschaft und Verkehr. Die These, auf einen Abzählvers verkürzt, lautet: Zuwanderung erzeugt Wohnungsnot, die Mietzinsen steigen, die Bauwirtschaft sättigt die Nachfrage, Bauen schafft Wohnraum, Wohnfläche zerboomt unser Bauernland. Wahr, bestimmt, aber zugleich einäugig. Am Anfang der Litanei steht als Sündenbock: der Zuwanderer. Eine solche Anordnung ist borniert.

 

Was wir erleben, kann im ökosensibeln Gemüt tatsächlich einen Schock auslösen: Der Flächenraub an der Landschaft erzeugt zwar örtlich viel Lärm, das Verschwinden der Natur schreitet aufs Ganze gesehen aber mit unheimlich stiller Schnelligkeit fort. Eine dank tiefen Hypothekarzinsen und mehrheitlich ausländischen Arbeitskräften realisierbare Entwicklung nimmt ihren Gang. Siedlungsprojekte in besten mittelländischen Aussichtslagen, monatelang leerstehende Ferienresidenzen in Touristikregionen,  städtische „Regeneration“ in Toplagen mit gigantischen Wohnkomplexen und der nötigen Versorgungs- und Verkehrsinfrastruktur​, mit noch mehr glamurös bestrahlter Einkaufsfläche, Sport- und Wellnessanlagen, Parkplätzen und Parkhäusern und was immer „dazu gehört“, damit die Rendite stimmt, und dem unumgänglichen Ausbau von Schnellstrassen mit Zufahrten, Tunnels und teurem Mauerwerk zur Bewältigung kontinuierlicher Wachstumserwartung.

 

Die Nachfrage nach Wohnraum, Bauland, autogerechten Verbindungen und Top-Angeboten öffentlichen Verkehrs steigt kontinuierlich seit Jahren:

 

1.  weil die Haushalte immer kleiner, die Ansprüche aber (mit wachsendem Einkommen und dank erschwinglichen Krediten) immer grösser werden und ausserdem der Trend zu Zweitwohnungen in Ferienregionen anhält

 

2. weil der Zukunftstrend zu ökonomisch und ökologisch sinnvoller Verdichtung des Wohnbaus die Nachfrage nach offenem Wohnen im Grünen, besonders in teuren Hang- und Aussichtslagen, noch nicht entschieden abgelöst hat und die Raumplanung im Argen liegt

 

3. weil das Verlangen nach PW-Komfort, Individual-Dynamik und Prestige immer noch ungebrochen ist und der Verkehr sich weiter verdichtet

 

4. wegen der Zuwanderung von Arbeitskräften, welche immerhin durch Abwanderung von Schweizern ins Ausland um weit mehr als zur Hälfte aufgewogen wird (was in der Argumentation anzuführen wäre!).

 

 

Die Zuwanderung ist also  e i n  Grund unter anderen für den ganzen Rattenschwanz an Raumnot- und Sanierungs-Problemen,​ welche in Krisenzeiten teurer zu stehen kommen, wenn man lange genug über die Kreide (sprich: den durch Wertschöpfung gedeckten Kredit) gelebt hat.

 

 

Die Mietzinsen und Immobilienpreise gehen nicht nur wegen der steigenden Ansprüche im Inland und der Nachfrage durch zugewanderte Erwerbstätige hoch, sondern auch:

 

5.  weil Grossunternehmen, insbesondere Immobilien- und Baugesellschaften, im grossen Stil Objekte und (Beispiel: Implenia) Bauland an guten Lagen in Reserve aufgekauft haben und im günstigen Moment ihre Geschäfte bzw. Projekte realisieren und dabei viel verdienen wollen

 

6. weil sich offenbar Preise und Wachstumserwartungen von den Realwerten allmählich losgelöst haben, was in den USA die Immobilienkrise auslöste, mit welcher sich letztlich die abenteuerliche Staatsüberschuldung vor drei Jahren aufzublähen begann.  

 

 

Die Schweiz wird nicht erst eng durch die Zuwanderung von ausländischen Arbeitskräften, sie begann schon rasant zu schrumpfen, wie Dürrenmatt einmal feststellte, weil wir über das Autobahnnetz (das teuerste aller Bauwerke) unsere Ziele immer schneller erreichten. Die Frage stellt sich heute dringender als schon vor zwei, vor drei Jahrzehnten: Wie „integrieren“ wir die – übrigens in hohem Ausmass nur dank ausländischen Arbeitskräften realisierbare – bauliche und verkehrstechnische Entwicklung in einem ökologisch hochsensiblen  Lebensraum und einem durch die Wirtschaftskrise zunehmend strapazierten sozialen Umfeld?

 

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