Aufgrund der Krisen im Finanz- und Wirtschaftssektor wurden im letzten Jahrzehnt immer öfter Massnahmen gefordert, um zukünftige Krisen zu verhindern. Ein Vorschlag ist dabei das Vollgeld oder besser gesagt die Einführung eines Vollgeldsystems. Dazu ist im Dezember 2015 die Vollgeldinitiative (fortan VGI) zustande gekommen, über die das Volk am 10. Juni 2018 abstimmen wird. Deshalb ist es wichtig, im Vorfeld zu wissen, was Vollgeld bedeutet und welche Auswirkungen ein Vollgeldsystem auf die Schweiz haben könnte. Dieser Text erklärt, was Vollgeld allgemein ist und zählt mögliche Chancen und Gefahren eines solchen Systems auf. Wie genau das Vollgeldsystem unter der VGI gestaltet werden soll, wird im dazugehörigen Abstimmungstext erläutert.

Definition Vollgeld

Vollgeld ist der Name für ein voll gültiges, gesetzliches Zahlungsmittel. Als Vollgeld zählen ausschliesslich jene Zahlungsmittel, welche von der Nationalbank ausgegeben werden. In der Schweiz kommen somit die Münzen und Noten dem Vollgeld momentan am nächsten, weil sie allein von der Schweizerischen Nationalbank (fortan SNB) ausgegeben werden dürfen. Das Buchgeld (erklärt unter «Geldschöpfung heute – Durch Geschäftsbanken») dagegen wird bisher von Geschäftsbanken geschöpft und ist somit kein gesetzliches Zahlungsmittel.

Geldschöpfung heute

Um Vollgeld zu verstehen, muss man zuerst die heutige Geldschöpfung verstehen. Diese erfolgt durch die jeweilige Nationalbank eines Landes sowie durch die Geschäftsbanken.

Durch die Nationalbank

Im heutigen System der Schweiz schöpft die SNB Geld in Form von Noten und Münzen, aber auch in Form von elektronischen Guthaben, sogenannte Giroguthaben. Nur Geschäftsbanken können dieses Giroguthaben der SNB bekommen, dieses verbleibt zwischen den Banken und kommt nicht in den allgemeinen Umlauf. Die SNB verkauft den Geschäftsbanken das neue Geld z. B. gegen fremde Währungen wie Euro oder Dollar. Die Nationalbank kann ihr geschaffenes Geld auch als Kredit an Geschäftsbanken vergeben.

Durch Geschäftsbanken

Die Geschäftsbanken erschaffen durch Kredite Geld in Form von Buchgeld. Das funktioniert folgendermassen: Die Bank gibt jemandem einen Kredit aus und schreibt ihm den Betrag dieses Kredit auf dem Bankkonto gut. Das Geld wird nicht physisch vom Tresor der Bank in das Konto des Kreditnehmers gelegt, sondern nur «im Buch» (heute auf dem Computer) auf das Konto gutgeschrieben. Daher rührt auch der Name (elektronisches) «Buchgeld». Im Gegensatz zum Giroguthaben der SNB ist das Buchgeld der Geschäftsbanken kein gesetzliches Zahlungsmittel wie Bargeld. Ein Guthaben auf einem Bankkonto ist eher ein Versprechen der Bank, das Guthaben gegen Bargeld zu tauschen, sobald man das verlangt. Das geschieht z. B. wenn man am Bancomat Geld abhebt.

Grenzen der Geldschöpfung

Eine Geschäftsbank könnte jedem einen Kredit geben. Angenommen es gibt 50 Personen, die je 100 CHF als Kredit bei einer Bank nehmen möchten. Die Bank hat von der SNB 200 CHF in Münzen und Noten gekauft (z. B. gegen 170 Euro). Sie gibt also 5’000 CHF als Kredite aus, hat selber aber nur 200 CHF. Da sie die Kredite jeweils nur «im Buch» auf die entsprechenden Konten gutschreibt, ist das kein Problem. Das Problem kommt erst, wenn alle 50 Kreditnehmer gleichzeitig ihr Geld von ihrem Konto nehmen wollen. Die Bank muss dann 5’000 CHF ausgeben, hat aber nur 200 CHF. Diese Situation ist als Bank Run bekannt. Die letzten grossen Bank Runs gab es während der Finanzkrise 2008 in Amerika und führten zu mehreren Bankkonkursen bzw. -verkäufen. Damit die Kreditvergabe also nicht beliebig gross werden kann, gibt die SNB eine gesetzliche Mindestreserve vor. Diese sieht wie folgt aus: Die Kredite müssen zu einem bestimmten Teil durch Bargeld gedeckt sein. Gibt die SNB beispielsweise eine Mindestreserve von 50% vor, so dürfte die Bank mit ihren 200 CHF Bargeld höchstens 400 CHF als Kredit vergeben. Somit sind die Kredite (100% Buchgeld) zu 50% durch physisches Bargeld gedeckt. In der Schweiz beträgt die gesetzliche Mindestreserve zurzeit 2.5% und in der EU 1%.

Es gilt an dieser Stelle zu sagen, dass die Geschäftsbanken oft Kredite von der SNB beziehen, und die Mindestreserve dann mit geliehenem Geld «erfüllen».

Änderungen durch ein Vollgeldsystem

Wenn ein Vollgeldsystem eingeführt wird, ändert sich der Geldschöpfungsprozess. Das Geld darf dann nur noch von der Zentralbank (in der Schweiz von der SNB) erzeugt werden. Den Geschäftsbanken ist es nicht mehr erlaubt, Buchgeld zu schöpfen. Dem Bund wird also ein Geldschöpfungsmonopol übertragen. Die Mindestreserve für Geschäftsbanken würde dann sozusagen 100% betragen, weil jeder ausgegebene Kredit vollständig aus SNB-Geld besteht. Das heisst, wenn die Bank 200 CHF neues Geld von der SNB gekauft hat, darf sie höchstens 200 CHF als Kredit vergeben.

Die Banken würden das Geld ihrer Kunden dann treuhänderisch und separat von ihrer eigenen Bilanz halten. Das heisst, im Falle eines Konkurses fallen die Spareinlagen der Kunden nicht in die sogenannte Konkursmasse und sind somit davor sicher, an die Gläubiger der Bank ausgezahlt zu werden.

Es gibt zwei Möglichkeiten, wie der Staat in einem Vollgeldsystem das Geld in Umlauf bringen könnte: Entweder die Nationalbank gibt den Geschäftsbanken Kredite aus (ähnlich wie bis anhin) oder das neu geschöpfte Geld wird direkt an den Bund, die Kantone oder die Bevölkerung ausgezahlt. Letztere Art, das Geld in Umlauf zu bringen, soll sicherstellen, dass das Geld direkt in die Realwirtschaft fliesst (anstatt in die Finanzwirtschaft). Das hiesse, das Geld könnte direkt in der Produktion und im Konsum von Gütern verwendet werden.

Ungewisse Folgen

Die Auswirkungen von Vollgeld auf das Bankensystem, die Wirtschaft und den Geldmarkt sind sehr schwer abzuschätzen. Die Einführung des Vollgelds würde auf jeden Fall eine weitreichende Reform des Geldwesens bedeuten, die so noch nie da war. Das heisst, es gibt keine Möglichkeit zum Vergleich, da in der Moderne noch kein ähnliches System existiert hat. Welche Chancen und Gefahren ein Vollgeldsystem bieten könnte, wird im Folgenden aufgezeigt.

Chancen

Die Befürworter eines Vollgeldsystems argumentieren, dass die Wirtschaft dadurch krisensicherer gemacht werde. Das von der Zentralbank geschöpfte Geld würde den Finanzmarkt umgehen und direkt in der Realwirtschaft eingesetzt werden. Somit können mit diesem Geld weniger spekulative Geschäfte gemacht werden. Weiter wird das prozyklische Verhalten der Banken gemindert, d.h. es werden nicht übermässig Kredite ausgegeben was zu einer Blasenbildung führen kann. Dabei gilt zu sagen, dass prozyklisches Verhalten von Banken nicht wissenschaftlich nachgewiesen ist und dass auch die Zentralbanken sich nicht immer antizyklisch verhalten.

Ein weiteres Risiko, das durch Vollgeld eliminiert werden soll, sind die Bank Runs. Wenn eine Bank Konkurs geht, verlieren ihre Kunden ihr Kontoguthaben nicht. Das Geld der Kunden wird nämlich treuhänderisch neben der Bilanz geführt. Das heisst, dass es nicht zum Vermögen der Bank dazuzählt, welches im Konkurs an die Gläubiger ausgezahlt wird. Somit sind Kontoguthaben sicher und Bank Runs werden vermieden.

Sollte es trotzdem zu einem Bank Run kommen, sind die Guthaben der Kunden sicher. Das Geld, das die Kunden bei der Bank haben, ist SNB-Geld. Das heisst, wenn einer Geschäftsbank das Bargeld ausgeht, bleibt dem Kunden immer noch sein Giroguthaben bei der SNB (also eine Forderung gegenüber der SNB) und er geht nicht leer aus, wie beim Buchgeld. Eine Forderung gegenüber einer bankrotten Bank hat im heutigen System nämlich keinen Wert mehr, da die Bank sie wahrscheinlich nur teilweise oder gar nicht mehr erfüllen kann. Eine Forderung gegenüber der SNB hingegen, bleit so lange bestehen, wie der Staat besteht und ist somit viel sicherer.

Ein weiterer Punkt ist die Geldpolitik der Zentralbank, die mittels Vollgeld einfacher werden soll. Dadurch, dass jeweils nur die Nationalbank Geld schöpft, hat diese die volle Kontrolle über die Geldmenge und muss sich nicht darum sorgen, wie viel Buchgeld die Geschäftsbanken noch erzeugen.

Die möglichen Chancen zusammengefasst:

• Sicherheit vor Krisen

• Stabilere Wirtschaft durch schwächere Konjunkturschwankungen

• Sicherheit vor Bank Runs

• Kontrolle über Geldmenge

Gefahren

Die Gegner des Vollgeldsystems sehen mehrere Gefahren, die ein solches mit sich bringen kann: Das Abgeben von neuem Geld an Bund, Kantone oder Bevölkerung könnte dazu führen, dass die Geldausgabe politisiert wird, was die Unabhängigkeit der SNB gefährden könnte. Ausserdem wird davor gewarnt, Staatsschulden durch neues Zentralbankgeld zurückzuzahlen oder Staatsausgaben so zu finanzieren. Dies könnte nämlich zu einer starken Erhöhung der Geldmenge und somit zu Inflation führen.

Des Weiteren stellen sich die Gegner die Frage nach der Marktnähe: Die Geschäftsbanken geben Kredite gemäss der Nachfrage aus. Steigt die Nachfrage z. B. plötzlich an, sind sie innerhalb der Mindestreserve flexibel und können mehr Kredite ausgeben. Die SNB dagegen muss die Nachfrage messen oder sich die Daten anderweitig beschaffen, weil sie nicht direkt am Markt, also bei den Nachfragern von Krediten ist. Sie kann das Kreditangebot erst mit einer zeitlichen Verzögerung anpassen.

Ein weiteres Problem stellt die Kreditvergabe dar. Banken wären nicht mehr in der Lage, kurzfristige Einlagen von Kunden in langfristige Kredite zu verwandeln. Darlehen oder Hypothekarkredite könnten deshalb weniger angeboten werden und würden somit teurer werden.

Zum Schluss sorgen sich die Gegner auch um den Finanzplatz und Wirtschaftsstandort Schweiz. Eine Umwälzung des Geldwesens im Ausmass der VGI könnte der Schweiz schaden, weil der Währungskurs davon betroffen sein wird. Wie stark und auf welche Weise das geschieht, kann nicht gesagt werden. Unsicherheiten im Währungskurs können aber dazu führen, dass viele Investoren ihre Schweizer Wertpapiere verkaufen wollen. Das würde zu einem grossen Wertverlust bei Schweizer Wertpapieren führen.

Mögliche Gefahren zusammengefasst:

Inflation

• Fehlende Marktnähe der SNB

• Verminderte Kreditvergabe

• Verlust an Attraktivität von Schweizer Wertpapieren, Schweizer Franken und Wirtschaftsstandort Schweiz

Spannungsfeld

Die Problematik des Vollgelds liegt vor allem darin, dass die Folgen eines Vollgeldsystems nicht absehbar sind. Die oben genannten Chancen und Gefahren müssen nicht unbedingt eintreffen und es ist auch offen, in welchem Ausmass sie eintreffen würden. Die Begründungen und Argumente von beiden Seiten sind also nur theoretisch und nicht praxisgestützt.

Internationale Entwicklungen

Die Idee eines Vollgeldsystems oder ähnlicher Systeme wurde schon frühr diskutiert. Der «Chicago-Plan» war eine Idee von mehreren Ökonomen in den 1930er Jahren. Der Plan war eine Reaktion auf die damalige «Great Depression», einer weitreichenden Wirtschaftskrise. Sein Inhalt ist dem Inhalt der VGI sehr ähnlich. Die Ökonomen versprachen sich ebenfalls schwächere Konjunkturschwankungen und Sicherheit vor Bank Runs. Der Plan wurde aber nie umgesetzt, weil sich der Bankensektor zu stark dagegen gewehrt hatte.

Aktuellere Entwicklungen zeichnen sich in den Niederlanden und in Island ab: In beiden Ländern kam die Idee eines Vollgeldsystems in den letzten zwei Jahren vor das Parlament. In den Niederlanden wurde eine Motion angenommen, das Vollgeld weiter zu erforschen. Islands Parlament wird noch darüber abstimmen, ob die Idee in einem Ausschuss weiter diskutiert werden soll. In Island befürwortet sogar die Nationalbank ein Vollgeldsystem was z. B. in der Schweiz nicht der Fall ist (vgl. Jordan).

Durch diese internationalen Entwicklungen lassen sich wenige Schlüsse auf tatsächliche Folgen einer Einführung des Vollgeldsystems ziehen. Einerseits, weil die Umsetzung von Fall zu Fall unterschiedlich gestaltet würde und andererseits, weil alles noch auf Theorien basiert und keine Resultate aus einer tatsächlichen Umsetzung vorliegen.

zuletzt aktualisiert am 21. Februar 2018

Literaturverzeichnis

Baltensperger, E., Bacchetta, P. (2016). Die leeren Versprechen der Vollgeld-Initiative. Economie Suisse, 11. Abgerufen am 22.11.2017 unter Link

Birchler, U., Rochet, J. C. (2017). Die Vollgeld-Initiative – ein Leitfaden für jedermann. Abgerufen am 14.11.2017 unter Link

Benes, J., Kumhof, M. (2012). The Chicago Plan Revisited. IMF Working Papers. DOI Link

Bundesrat. (1999). Botschaft zu einem Bundesgesetz über die Währung und die Zahlungsmittel (WZG). Abgerufen am 14.11.2017 unter Link (S. 7263, 7268ff.).

Jordan, T. J. (2016). Erläuterungen zur Schweizer Geldpolitik – 108. ordentliche Generalversammlung der Aktionäre der Schweizerischen Nationalbank. Abgerufen am 16.11.2017 unter Link (S. 6–7).

KPMG. (2016). Money Issuance – Alternative Monetary Systems. Abgerufen am 28.11.2017 unter Link

Müller, J., Thumshirn, C. (2016). Was ist eigentlich Vollgeld? [Video]. Abgerufen am 14. 11.2017 unter Link

SNB Glossar. (o. D.). Vollgeldinitiative. Abgerufen am 14.11.2017 unter Link

Vollgeldinitiative. (o. D.). Kernbotschaften der Vollgeldinitiative Abgerufen am 28.11.2017 unter Link

Vollgeld.pdf – PDF

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