Schon bald entscheidet das Volk, ob die Buchpreisbindung wieder eingeführt werden soll. Auf seinem Blog «Angry Sascha is angry.» hat Sascha Erni, unter anderem Kurzgeschichten-Autor, in meinen Augen berechtigte Fragen gestellt. Fragen zur Aufrichtigkeit der Unterstützung Thalias und Weltbilds der Befürworterkampagne. Mit seiner Einwilligung folgt der Beitrag in voller Länge, der im Original den Titel trägt: «Glosse: Thalia und Weltbild, oder wie man aus einer Abstimmung Marketingkapital schlägt.» Ich finde, vor dem Abstimmen soll jede/r diese Überlegungen selber auch anstellen. Persönlich habe ich übrigens schon NEIN gestimmt.
Ich hatte mich gewundert, weshalb sowohl Thalia als auch Weltbild – zwei der vier größten Filialketten („Discounter“) im Schweizer Buchhandel – die Buchpreisbindung unterstützen. Jetzt zeigt sich allerdings ein so einfacher wie zynischer Erklärungsansatz.
Wie könnte der Gedankengang bei den beiden Buchhandelsketten ausgesehen haben? Es folgt eine sicher total an den Haaren herbeigezogene Spekulation, aufbereitet in handlicher Listenform:
- Dass eine Buchpreisbindung auf den Verdrängungswettbewerb der Standorte kaum Einfluss hat weiß zumindest Thalia seit geraumer Zeit.
- Der Konkurrent ExLibris hat sich mit der Unterstützung des Referendums – als vokaler Gegner einer Buchpreisbindung – positioniert.
- … dann könnte man sich marketingtechnisch ja ganz gut vom Schweizer Konkurrenten unterscheiden, wenn man sich zu den Befürwortern schlägt, nicht?
- Netterweise liefert das JA-Komitee auch noch massig Werbematerialien wie Poster, Aufkleber, Flyer und Buttons an die Befürworter. Mit Heidi drauf, das zieht in der Schweiz immer.
- Als einzigen Böölimaa im deutschschweizer Filialgestrüpp konzentrieren sich die Befürworter einer Buchpreisbindung auf ExLibris. Schön, dass man sich so einfach und preiswert aus der Schusslinie nehmen kann!
- Die große Konkurrenz der Discounter liegt im Online-Handel und bei den eBooks. Der StrukturwandelAls Strukturwandel bezeichnet man eine grundlegende Verände... hat selbst für Thalia zu Filialschließungen in Deutschland geführt. Was liegt näher, als selbst eine eBook-Plattform mit eigenem Reader zu lancieren? Weltbild verteilt ihren Reader ja auch zum Ramschpreis.
- Und die verbliebenen Standorte werten wir dann mit Kaffeebars, Rolltreppen und Geschenkartikeln zu Konsumtempeln auf. Mit Heidi am Schaufenster. Genau.
Thalia und Weltbild können sich am 11. März gepflegt zurücklehnen. Sie haben bereits Vorkehrungen getroffen, um im StrukturwandelAls Strukturwandel bezeichnet man eine grundlegende Verände... nicht komplett unterzugehen, und werden mit oder ohne Buchpreisbindung wie bisher ihre Marktmacht ausspielen. Mit der Heidi-Kampagne können sie sich in der Deutschschweiz vom ärgsten Konkurrenten auf einer moralischer Ebene distanzieren. Es geht ja immerhin um ein Kulturgut! Welcher Unmensch kann schon NEIN zum Buch sagen?
Es fällt sicher niemandem auf, dass neben dem Heidi im Schaufenster auch noch ein „Bestseller – jetzt 30 % günstiger“-Sticker klebt. Oder dass man den eigenen eReader zum Kampfpreis unters Volk bringt. Die Buchpreisbindung als Marketinginstrument. Kein dummer Ansatz, falls man davon ausgeht, dass der Ausgang der Abstimmung für den Geschäftsgang wenig relevant sein wird. Nicht dumm, aber auch nicht unbedingt großherzig.
Ich schließe mich in dieser Hinsicht dem Verleger Hans-Rudolf Wiedmer an: „Wenn das Gesetz angenommen wird, nehme ich das zur Kenntnis. Wenn es abgelehnt wird, ist das für mich kein Grund zum Jubeln.“
Schade, dass bei der ganzen Diskussion andere mögliche Gründe fürs Lädelisterben kaum Beachtung finden.
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Kommentare anzeigen Hide commentsVielen Dank für Ihren Beitrag, Herr Simonet! Die Begründung von Weltbild (ich habe mich beklagt, weil sie mir unverlangt ihre politische Meinung zugesandt haben) ist noch viel zynischer: “Weltbild kann mit oder ohne Preisbindung immer günstige Preise anbieten. Ohne Preisbindung, indem wir das aktuelle Bestsellerkonzept mit den Originalausgaben pflegen- mit der Preisbindung, indem wir unsere Stärke mit den eigenen Weltbild-Sonderausgaben spielen. (Wir haben ja eigene Verlage)” – also Opportunismus in seiner reinsten Form…
Danke für Ihren Kommentar, Herr Hafner. Das ist tasächlich noch eine Ebene höher auf der Zynismus-Leiter als ich es mir zusammengereimt hatte. Bin gerade ein wenig erschüttert. Wow.
Der Dank gebührt Sascha Erni. Ich habe ihn nur dazu gebracht, einzuwilligen, dass ich seinen wertvollen Beitrag verbreiten darf :).
Dicke Post von Weltbild… Und es fallen so viele Menschen darauf rein :(.
Einen interessanten Ansatz verfolgt auch Orell Füssli. Deren Plattform storyworld.ch wird von Deutschland aus betrieben (http://www.handelszeitung.ch/unternehmen/orell-fuessli-die-dunkle-seite-des-buches). Ich gehe davon aus, dass storyworld.ch nicht unter die Buchpreisbindung fallen würde, denn die Bücher werden ja nicht gewerbsmässig importiert, sondern aus Deutschland bestellt. Somit könnte Orell Füssli die Buchpreisbindung elegant umgehen.
Hmmm…
Mit einem Wort viel gesagt: Bravo!
Buchpreisbindung ist ein Konzept das nicht funktionieren kann.
Ich als Buchkäufe finde übrigens den Buchpreis nicht als entscheidendes Kriterium. Ich kaufe entweder ganz gezielt ein Buch und da suche ich mir aus wer es mir am schnellsten und einfachsten nach Hause liefert ohne viel Aufwand. Der Preis ist hier eher Sekundär, schliesslich geht es hier um wenige Franken unterschied pro Buch. In diesem Szenario gewinnen Firmen wie Amazon wo man praktisch alles findet, oder auch die Autoren die ihr Buch direkt verlegen oder als PDF ausliefern. Ich honoriere lieber den Autor direkt als sein Vertrieb.
Aber trotzdem gehe ich auch gerne in Thalia, Exlibris, Weltbild und ähnliche Geschäfte weil man dort in angenehmer Umgebung schmökern kann und Bücher entdeckt die man sonst nicht entdecken würde. Es gibt also einen Markt für beide und der Preis ist bei weitem nicht das einzige, geschweige das wichtigste Kriterium beim Bücherkauf.
Ich kenne keinen der bei Exlibris vorbeischaut und sich den Preis anguckt und dann zu Thalia und Weltbildverlag geht um den Preis zu vergleichen um sich dann die günstigste Variante zu kaufen.
Insofern ist eine Buchpreisbindung nur der Versuch ein veraltetes Business Modell am Leben zu erhalten um mit grösseren Margen noch etwas länger dran festzuhalten weil der omnipotente Riese Amazon (oder ähnlich) einem sonst die Kundschaft wegfressen würde. Nur ist der Versuch zum Scheitern verurteilt weil die Kundschaft trotzdem weggeht. Nur liegt das nicht am Preis sondern an der Angebotsvielfalt, am schnellen Service etc. Insofern wird sich nicht viel ändern. Buchpreisbindung hin oder her.
Gewinnen wird der der das Beste Gesamtangebot anbietet und der Preis ist nur ein kleiner Faktor davon.
Insofern ist es für die Allgemeinheit besser, wenn der Anbieter die Wahl hat zu welchem Preis er anbieten will. Schliesslich haben unterschiedliche Geschäftsmodelle unterschiedliche Kosten.