Da mache ich heute den Briefkasten auf, und was entdecke ich: ein Extrablatt der SVP zum Thema „Schweizer Recht statt fremde Richter“. Interessantes Thema, nur leider enthält schon die Titelseite erste Unwahrheiten.
Die Bildunterschrift fragt „sollen 47 fremde Richter aus den 47 Vertragsstaaten immer mehr das letzte Wort in unserem Land haben“? Ist diese Frage berechtigt?
Was diese Zeile unterschlägt ist das in dieser Runde der 47 Richter die Schweiz mit am Tisch sitzt, und zwar als vollwertiges Mitglied gleichberechtigt. Der europäische Gerichtshof für Menschenrechte wird vom Europarat betrieben, hier ist die Schweiz seit 1963 Mitglied. Schweizer Richterin am europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ist Helen Keller, hier ein interessantes Interview mit ihr:
http://www.tageswoche.ch/de/2014_31/schweiz/664691/
Aktuell gibt es scheinbar sogar einen zweiten Schweizer Richter am europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, denn Liechtenstein lässt sich ebenfalls durch einen Schweizer vertreten (Mark Villiger). D. h. die Schweiz bestimmt über die Anwendung der europäischen Menschenrechtskonvention mit.
Im Text kommt der Satz „Sie achtet die Menschenrechte, weil die Schweiz diese bereits geschützt hat, als in den Ländern Europas Krieg und Willkür herrschte“. Stimmt das?
Die Schweiz konnte mit Beitritt zum Europarat die europäische Menschenrechtskonvention noch nicht ratifizieren, weil sie mit Klosterverbot und fehlenden Frauenwahlrecht noch dagegen verstiess. In Zeiten „europäischer Willkür“ bis in die 1960er-Jahre hinein fällt in der Schweiz das traurige Kapitel „Verdingkinder“, und auch Zwangskastrationen von Behinderten waren bis in die 80er-Jahre, und damit nirgendwo länger Praxis als in der Schweiz. Das Frauenwahlrecht wurde durch den Schweizer Souverän noch 1959 abgelehnt … da gab es das Frauenwahlrecht z. B. in der Türkei bereits 36 Jahre lang.
Weiter im Text kommt der Satz „Die Schweizerische Bundesverfassung soll oberste Rechtsquelle sein“
Die Menschenrechte gemäss europäischer Menschenrechtskonvention stehen auch in der Schweizerischen Bundesverfassung. Die Verfassungsrevision welche diese Artikel enthält wurde 1999 dem Volk vorgelegt … und mit 59.2% angenommen. Das ist weit mehr Zustimmung als für die Ausschaffungsinitiative (52.3%). Wenn der europäische Gerichtshof entscheidet, dann nur als letzte Instanz über die Anwendung von Recht das UNSERER VerfassungEine Verfassung ist die rechtliche Grundordnung bzw. das obe... entspricht.
Das heisst was gegen die europäische Menschenrechtskonvention verstösst, verstösst auch gegen die Bundesverfassung.
Wie sehr mischt sich der „Buhmann“ europäischer Gerichtshof für Menschenrechte überhaupt in Schweizer Belange ein?
Die Website humanrights.ch gibt für die Zeit von 1974 bis 2013 eine Zahl von 5’611 Beschwerden gegen die Schweiz an. Die überwiegende Anzahl dieser Beschwerden wurden vom EGMR für ungültig erklärt. Aus den zugelassenen Beschwerden gab es insgesamt gerade 86 Fälle wo der Gerichtshof eine Verletzung der Konvention durch die Schweiz festgestellt hat.
Und dies betrifft nicht nur Ausschaffungsfälle. Der EGMR bestätigt häufig Entscheidungen der Schweizer Gerichte betreffend Ausschaffungen. Und auch wenn man als Einzelperson einzelne Urteile nicht nachvollziehen kann, ist die Bilanz doch durchaus erfolgreich.
Übrigens hat auch der europäische Gerichtshof für Menschenrechte zwei Beschwerden wegen des Minarettverbots zurückgewiesen. Es hat zwar das Minarettverbot nicht für legal erklärt, aber die Beschwerden für nicht zulässig.
Der EGMR als Ersatz für ein Verfassungsgericht auf Bundesebene
Der Souverän eines Rechtsstaates hat viel Macht, aber auch Verantwortung. Oft wird in der VernehmlassungDie Vernehmlassung ist eine Phase im schweizerischen Gesetzg... eines Gesetzes nicht erkannt das es Personen gibt die dadurch stark benachteiligt oder diskriminiert werden, und darüber kann sich der Souverän eines Rechtsstaates nicht hinwegsetzen. In den meisten europäischen Staaten gibt es für Einzelbürger Möglichkeiten gegen eine Verletzung seiner Grundrechte Beschwerde einzulegen, z. B. per Verfassungsbeschwerde in Deutschland oder „Recurso de amparo“ in Spanien.
In der Schweiz gibt es diese Möglichkeit auf Bundesebene nicht.
Ein trauriger Fall ging erst kürzlich durch die Presse:
Die Schweizer Gesetze haben dafür gesorgt das ein Arbeiter der jahrelang Asbeststaub ausgesetzt war beim Ausbruch einer typischen und häufig tödlichen Folgeerkrankung (Brustfellkrebs) keinerlei Schadenersatzforderungen bei seinem damaligen ArbeitgeberBeim Arbeitgeber handelt es sich um eine Person/Unternehmung... einfordern konnte, denn das Schweizer Recht sieht eine Verjährung 10 Jahre nach dem letzten Asbestkontakt vor … Brustfellkrebs braucht meist deutlich länger um auszubrechen. Man steht also als Erkrankter auch mit den Folgen für die Familie allein da.
Für solche Fälle kann der EGMR als Ersatz für Verfassungsgerichtsbarkeit auf Bundesebene in der Schweiz für jeden von uns einmal wichtig werden.
Kommentar von Toni Brunner: Frei bleiben
Toni Brunner überschreibt seinen Kommentar im Extrablatt mit der Überschrift „Frei bleiben“. Doch wer bleibt frei? Geht es um die Freiheit einer Mehrheit unter Umständen die Grundrechte einer Minderheit zu beschneiden? Müsste nicht jeder verantwortungsvolle Bürger sich einen Rechtsrahmen wünschen der so etwas verhindert, unter Umständen im eigenen Interesse? Wir können alle mal in irgendeinem Zusammenhang zu einer benachteiligten Minderheit gehören.
Fazit
Die Aufgabe der europäischen Menschenrechtskonvention birgt weit mehr Risiken für jeden von uns als Chancen. Wir leben seit 40 Jahren mit der europäischen Menschenrechtskonvention, und es gab wegweisende Urteile.
Ist es sinnvoll jetzt in einer Art Trotzreaktion, wegen einzelner Urteile die wir – unter Umständen aufgrund fehlender Daten – nicht nachvollziehen können diese Risiken einzugehen? Ich wrüde sagen nein.
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Kommentare anzeigen Hide commentsWas will die SVP mit ihrer neuesten Initiative eigentlich erreichen? Ihre seit Langem angekündigte Attacke gegen den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof passt nicht einmal in ihre eigene Parteigeschichte. Es war ein BGB-Bundesrat (Bauern- Gewerbe- und Bürgerpartei, Hauptvorgängerin der SVP), Friedrich Traugott Wahlen, der die Schweiz 1961 zum Eintritt in den Europarat führte. Damit verbunden war die schrittweise Anerkennung der Konventionen, welche bei diesem Eintritt bereits völkerrechtlichen Status hatten, etwa die Europäische Menschenrechtskonvention von 1950.
Mit dem Eintritt als Vollmitglied in den Europarat war selbstverständlich die Anerkennung der Verfahrensweisen verbunden, welche bei späteren Konventionen, die nebenbei gesagt immer unter Mitwirkung der Schweiz entstanden sind, zur Anwendung gelangten. Mit der Ratifizierung der Europäischen Menschenrechtskonvention 1974 wurde der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Bestandteil der schweizerischen Gerichtsstruktur. Die Richter dieses Gerichtshofes sind deshalb keineswegs «fremde», sondern für gewisse Verfahrensweisen vorgesehene Richter innerhalb des schweizerischen Rechtssystems.
Die Initiative der SVP fordert, dass Schweizer Landesrecht vor Völkerrecht zum Tragen kommt. Diese Forderung ist an die Bedingung gekoppelt, im Widerspruchsfall die EMRK zu kündigen. Initiativtext: “Im Fall eines Widerspruchs sorgen sie für eine Anpassung der völkerrechtlichen Verpflichtungen an die Vorgaben der Bundesverfassung, nötigenfalls durch Kündigung der betreffenden völkerrechtlichen Verträge”. Ein solches Wunschprogramm nach Schweizer Gutdünken ist jedoch unmöglich, wie eine Studie von Walter Kälin, Staats- und Völkerrechtler an der Universität Bern und Direktor des SKMR, zeigt. Eine Kündigung hätte über kurz oder lang zur Folge, dass die Schweiz aus dem Europarat ausscheiden muss. Ist dies das eigentliche Ziel, das die SVP im Visier hat?
Was die SVP als Stärkung der Volksrechte verkauft, erweist sich bei näherem Hinsehen als Frontalangriff auf unsere Grundrechte, welche durch internationale Menschenrechtsverträge garantiert sind. Da die Schweiz eine Verfassungsgerichtsbarkeit – wie andere Länder sie haben – nicht kennt, ist der EGMR die einzig mögliche letzte Instanz für die BewohnerInnen unseres Landes.
Die EMRK zu kündigen käme einer rechtsstaatlichen Bankrotterklärung gleich. Die EMRK schützt die fundamentalen Rechte aller Menschen in Europa und hat wesentlich dazu beigetragen, auf den Trümmern des 2. Weltkrieges ein Europa der Rechtsstaatlichkeit, der Demokratie und des wirtschaftlichen, sowie sozialen Fortschritts aufzubauen.
Quellenangabe:
http://www.humanrights.ch/de/menschenrechte-schweiz/inneres/direkte-demokratie/voelkerrecht/gegenkampagne-svp-initiative-voelkerrecht
http://www.tageswoche.ch/de/2015_12/schweiz/683294/Hürlimann-Blocher-lebt-im-Wahn-des-Diktators.htm
Ich denke die SVP will die alleinige Macht in der Schweiz. So können die dann selber Urteile sprechen. Wie die aussehen kann man sich ja vorstellen 🙁
Die europäische Menschenrechtskonvention enthält Artikel zu folgenden Themen:
– Recht auf Leben
– Verbot der Folter
– Verbot der Sklaverei und der Zwangsarbeit
– Recht auf Freiheit und Sicherheit
– Recht auf ein faires Verfahren
– Keine Strafe ohne Gesetz
– Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens
– Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit
– Freiheit der Meinungsäusserung
– Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit
– Recht auf Eheschliessung
– Recht auf wirksame Beschwerde
– Diskriminierungsverbot
Die Frage ist doch: warum sollten wir in der Schweiz Gesetze beschliessen wollen die mit diesen Grundrechten kollidieren? Aus welchen Gründen könnten Menschen in der Schweiz bestrebt sein sich aus diesem groben “Rechtsrahmen” zu befreien?
Über die Ausschaffungsproblematik lassen sich im Moment vielleicht viele Leute zu einer Unterschrift für die Selbstbestimmungsinitiative hinreissen. Aber wie schlimm ist die “Ausschaffungsproblematik” wirklich? Die europäische Menschenrechtskonvention verbietet Ausschaffungen an sich nicht, bestätigt auch viele Ausschaffungsurteile Schweizer Richter.
Selbst auf die Menschenrechte gemäss EMRK kann sich nur der berufen dessen Verbleib in der Schweiz NICHT öffentlichem Interesse entgegensteht (z. B. potentielle Wiederholungstäter). Würde sich die SVP hinsichtlich Ausschaffungsinitiative betreffend Bagatelltaten oder Härtefällen kompromissbereit zeigen wäre die Initiative – mit Automatismen bei schweren Straftaten – längst umgesetzt.
Jeder der sich über ein oder zwei Urteile des europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ärgert sollte sich gut überlegen was eine Annahme der Initiative zur Selbstbestimmung wirklich bedeuten kann. Jeder von uns kann einmal zu einer benachteiligten Minderheit gehören.
Diese klebrige Selbstüberschätzung der Schweizer Tugenden von Herrn Ecklin ist eklig. Einfach mit dem Totschlaginstument zu behaupten, alle gegensätzlicher Meinung seinen SVP-Allergiker ist äusserst demokratiefeindlich. Wir haben sicher viel geleistet, aber Einiges könnten wir auch noch von der EU lernen. Vieles könnte die EU aber auch von der Schweiz, ihrem Föderalismus und der direkten Demokratie aber auch von ihren Fehlern lernen. Wer nicht bereit ist, seine Ideen oder Gedanken in beide Richtungen zu führen ist ein Populist und nützt der Demokratie der Schweiz nichts. Übrigens bin ich kein Befürworter eines EU-Beitritts der Schweiz.
Aber solche Statements wie das von Bernhard Ecklin nützen nichts um die Schweiz weiterzubringen, sie sind auf Stillstand oder Rückschritt aus. Aus meiner bürgerlichen Sicht, will die SVP die Schweiz zum Stillstand bringen, bis sie von der leider unabwendbaren Globalisieren erschlagen wird.
Sie müssen mir nicht antworten Herr Ecklin, ich weiss doch schon lange, dass die SVP glaubt, ausser ihr gäbe es keine bürgerlichen Wertevertreter mehr.
Auch der Dachverband “Economiesuisse” sieht mit der Initiative “Schweizer Recht statt fremde Richter” die starke Vernetzung der Schweiz mit der Weltwirtschaft gefährdet.
Im Unterschied zu anderen populistischen Begehren der SVP hat dieses Anliegen eine breite Kritik ausgelöst. Menschenrechtsorganisationen kritisieren, die Initiative ziele auf die Kündigung der Europäischen Menschenrechtskonvention.
Mehr hier, unter dem Titel “Wirtschaft warnt vor SVP-Initiative”:
(nzz.ch/schweiz/frontaler-angriff-wirtschaft-warnt-vor-svp-initiative-ld.110529)
Sämtliche Menschenrechte sind in der Schweizer Verfassung verbrieft. Und die soll ja nicht gekündigt werden, oder?
Warum es für die Schweiz von Vorteil sein sollte, ein übergeordnetes Menschenrechtssystem zu akzeptieren, das von unbekannten, nicht kontrollierbaren und niemandem verantwortlichen Gremien bestimmt, verordnet und interpretiert, sowie von fremden Richtern beurteilt wird, ist nicht zu erkennen.
Sie vergessen dabei leider etwas, Herr Knall: Die Grundrechte gemäss Verfassung sind gegen geltendes Recht vor Schweizer Gerichten nicht einklagbar. Wird von der Schweizer Legislative ein Gesetz verabschiedet das vielleicht auch nur unter bestimmten Umständen einer kleineren Minderheit die Grundrechte beschneidet kann diese Minderheit nichts dagegen tun … ausser vielleicht selbst eine Volksinitiative starten, dann aber erst einmal diese Aufgabe überhaupt stemmen muss und zudem noch – unabhängig von der Rechtmässigkeit der Initiative – darauf hoffen das man sein Anliegen (unter entsprechendem Aufwand und Kosten) so herüberbringen kann das das Volk menschenrechtskonform entscheidet.
Schlagen Sie mal nach warum die meisten Demokratien Verfassungsgerichte oder ähnliche Institutionen haben. Da finden Sie einige gute Gründe. Die Schweiz hat so etwas nicht.
Die Europäische Menschenrechtskonvention wird vom Europarat verantwortet. Der Europarat ist KEIN nicht kontrollierbares und niemandem verantwortliches Gremium sondern ein Forum in dem sich die MItgliedsländer, also nahezu alle europäischen Staaten, über europäische Angelegenheiten verständigen. Die Organe des Europarats sind der Ministerrat (bestehend aus zum Beispiel den Aussenministern der Mitgliedsländer, glauben Sie die Aussenminister der Länder sind unbekannt) und die parlamentarische Versammlung, mit Mitgliedern aus den Landesparlamenten.
Die Schweiz ist übrigens Mitglied im Europarat, und zwar seit 1963. Die Schweiz hat auch einen Vertreter am EGMR. Ich sehe sehr viel Sinn darin das bei einem Streit um Menschenrechte unabhängige “Schiedsrichter” einen Fall beurteilen. Das ist auch die Idee hinter hiesigen Gerichten: man lässt ja hier auch nicht entweder Angeklagten oder Kläger entscheiden, sondern einen neutralen Richter.
Dass geltendes Schweizer Recht nicht vor Schweizer Gerichten einklagbar ist, Herr Wagner, stimmt so nicht. Einklagbar ist jede Verletzung ebendieser Rechte. Nicht einklagbar ist nur die Frage ob das geltende Recht gilt oder nicht.
Ein Verfassungsgericht für die Schweiz wäre widersinnig, denn die Verfassung ist eben nicht wie in anderen Staaten unveränderlich, worüber ein Verfassungsgericht zu wachen hätte.
Im Gegenteil, hierzulande hat das Volk die Aufgabe, Lücken oder nicht mehr sinnvolle Verfassungsbestimmungen mittels Sachabstimmungen zu ergänzen oder abzuschaffen.
Und was Organe wie den „Ministerrat“ angeht, empfehle ich Ihnen einen Crashkurs in Schweizerischer Staatskunde. Dann werden Sie ohne grosse Mühe erkennen, dass unsere Bundesräte keinesfalls mit Ministern anderer Länder verglichen werden können. In einem solchen Gremium haben die CH-Departementsvorsteher keine Kompetenzen, für die Schweiz verbindliche Entscheide zu fällen. Wenn zum Beispiel aber ein Deutscher Minister seine Zustimmung zu etwas gibt, dann gilt das automatisch ohne jegliche Volksbeteiligung für alle Deutschen Staatsbürger.
Die Ansicht, dass irgendwelche Organe des Europarats oder des Menschenrechtsgerichtes „neutral“ die Schweizer Gerichte hingegen nicht „neutral“ sein sollen, ist völlig absurd und geradezu defätistisch.
Es ist genau umgekehrt, Herr Knall.
Ein Verfassungsgericht überwacht nicht die Verfassung, sondern ist zuständig für Fälle wo die Anwendung geltender Gesetze zu Verfassungsverstössen führt. Wer sich zum Beispiel in Deutschland durch ein auf geltendem Recht basierendem Urteil in seinen Grundrechten eingeschränkt fühlt, kann beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe Verfassungsbeschwerde einlegen. Gibt das Gericht dem Beschwerdeführer recht, wird das Urteil aufgehoben, Gesetze können für “nicht grundgesetzkonform” eingestuft werden und der Gesetzgeber aufgefordert werden das Gesetz grundgesetzkonform zu gestalten.
Ein Gericht mit diesen Kompetenzen gibt es in der Schweiz nicht. Es gibt verschiedene Beispiele wo solche Kompetenzen nötig gewesen wären, zum Beispiel die Fälle Marléne Belilos oder Howald Moor. In beiden Fällen führte geltendes Schweizer Recht zu Grundrechtsverletzungen. So wäre ein Verfassungsgericht nicht widersinnig, sondern dringend nötig, speziell wenn der EGMR für Einwohner der Schweiz wegfiele.
Es stimmt übrigens auch nicht das Verfassungen anderer Länder unveränderlich sind. Für verschiedene Verfassungartikel verschiedener Verfassungen gelten Ewigkeitsklauseln, so auch zum Beispiel für das deutsche Grundgesetz. Das heisst aber nur das bestimmte Änderungen verboten sind, nicht etwa grundsätzlich Änderungen.
Ob unsere Bundesräte nicht zu vergleichen sind mit Ministern ist komplett egal. Die Idee das ein deutscher Aussenminister im Alleingang verbindliche Entscheidungen für die Bundesrepublik Deutschland treffen kann ist ein Witz, aber kein guter. Auch ein deutscher Minister ist ein Volksvertreter, der sich mit entsprechenden Gremien (Regierung, Bundestag etc.) abstimmen muss.
Der EGMR ist in der Hinsicht neutraler als Schweizer Gerichte weil er in seiner Arbeit NICHT an nationale Gesetze gebunden ist, sondern Entscheide nur im Sinne der europäischen Menschenrechtskonvention fällt, welche für sämtliche Mitgliedsländer gilt. Und GENAU DAS ist sein Sinn.
Die Anwendung geltender Gesetze können per se gar nicht gegen die Verfassung verstossen, Herr Wagner, denn die Gesetze basieren IMMER auf der Verfassung. Falls das nicht der Fall sein sollte, dann kann jeder Schweizer bis vor Bundesgericht verlangen, dass diese Diskrepanz aufgehoben wird. Dazu braucht es weiss Gott keine fremden Richter.
So sind auch die Grundrechte der Schweizer ebenfalls in der CH-Verfassung verbürgt.
Ein Europäischer Ministerrat ist für die Schweiz kein legitimes gesetzgebendes oder gar verfassungsbestimmendes Gremium. Weil die Schweizer das Recht haben, jegliches Gesetz jederzeit einzuführen, zu ändern oder auch abzuschaffen, sind nicht referendumsfähige Beschlüsse fremder Machtklubs in keinem Fall für uns bindend.
Und mit Ihrem Votum, demnach Gerichte nur dann als neutral zu betrachten seien, wenn sie nicht an die vom Volk beschlossenen Gesetze halten müssen, haben Sie nun wirklich den Vogel abgeschossen.
Aber ich finde es grundsätzlich gut, wenn mit Ihren Beiträgen aufgezeigt wird, mit welchen demokratiefeindlichen Auswüchsen diese Gesinnung operiert.
Wie kann es denn zu Diskrepanzen kommen bei Anwendung geltender Gesetze, wenn diese gar nicht gegen die Verfassung verstossen KÖNNEN? Interessanter Widerspruch. Meistens sind es übrigens nicht Gesetze die grundsätzlich gegen die Verfassung verstossen, sondern Gesetze die unter bestimmten Umständen zu nicht verfassungsgerechten Urteilen führen können.
Das Bundesgericht kann leider nicht alle Diskrepanzen aufheben. Es kann z. B. Urteile nicht gegen geltendes Recht aufheben, selbst wenn diese gegen die Verfassung verstossen. Ein gutes Beispiel ist der von mir bereits erwähnte Fall Marléne Belilos aus 1981: als sie sich gegen einen Bussgeldbescheid wehren wollte, gab es in der Schweiz inkl. Bundesgericht kein Gericht das die Kompetenzen hatte den Bescheid zu prüfen. Erst nach ihrer Klage beim EGMR auf das Recht auf ein faires Verfahren wurde die Rechtsweggarantie für alle möglichen Verwaltungsakte eingeführt.
Weder der europäische Ministerrat noch der europäische Gerichtshof für Menschenrechte ist für die Schweiz gesetzgebend oder verfassungsbestimmend. Selbst bei Verurteilungen der Schweiz durch den EGMR bleibt es der Schweiz überlassen, wie sie bestimmte unter Umständen notwendige Gesetzesänderungen anlegt. Die Unterstellung der Schweiz unter den europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ist übrigens eine freiwillig eingegangene Verpflichtung durch Ratifizierung der europäischen Menschenrechtskonvention, und zwar bereits 1973.
Ihr Statement bezüglich neutraler Gerichte zeigt leider auf das Sie noch nicht verstanden haben was ein Verfassungsgericht ist. Ein Gericht das Gesetze auf Konformität mit der Verfassung prüfen und unter Umständen für ungültig erklären muss, das auf Beschwerde auch mal Urteile aufheben muss die zwar rechtskonform, aber menschenrechtsverletzend sein können, darf geltendes Recht nicht per se als verbindlich betrachten. Alles andere wäre wie wenn man ihnen sagt sie sollen eine Grube graben, aber Ihnen keinen Spaten gibt.
Leute wie Sie benutzen den Begriff “Demokratie” wie ein Totschlagargument, häufig ohne Sinn. Demokratie ist nicht nur wenn Sie persönlich in einer Abstimmung um Meinung gefragt werden, auch Sie werden nicht zu allen Vorgängen in der Schweiz persönlich befragt. Gerichtsurteile werden nicht durch Volksabstimmungen entschieden, viele Gesetzesänderungen nur bei Ergreifung des Referendums usw.
Ich finde grundsätzlich gut wenn mit Beiträgen wie den Ihren eines der grossen Defizite der direkten Demokratie aufgezeigt wird: das Menschen an politischen Entscheidungen beteiligt sind die keine Ahnung haben.
Die von der Schweiz unterzeichneten internationalen Menschenrechtsabkommen sind in der Bundesverfassung auf unterschiedliche Weise verankert:
Im zweiten Hauptteil der Bundesverfassung finden sich unter dem Begriff “Grundrechte” alle wesentlichen Freiheitsrechte, welche auch im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte und in der Europäischen Menschenrechtskonvention garantiert sind.
ZITAT
Die politischen Rechte stehen unter dem Kapitel «Bürgerrechte und politische Rechte».
Die Sozialrechte jedoch, wie sie die Schweiz mit der Ratifizierung des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte von 1966 anerkannt hat, finden sich in der Bundesverfassung lediglich als «Sozialziele» (BV Art. 41). Denn die Bundesverfassung versteht diese Menschenrechte nicht als direkt durchsetzbare Ansprüche des Individuums, sondern bloss als programmatische Rechte bzw. als richtungsweisende Ziele für die Politik. Dies ist der Grund, weshalb die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte bis heute in der Schweiz vor Gericht in der Regel nicht einklagbar sind. Einzig das «Recht auf Hilfe in Notlagen» (BV, Art. 12) sowie der Anspruch auf unentgeldlichen Grundschulunterricht (BV Art. 19) finden sich unter den Grundrechten und sind gerichtlich direkt durchsetzbar.
Artikel 35 der Bundesverfassung verlangt, dass die Grundrechte in der ganzen Rechtsordnung zur Geltung kommen müssen. Wer staatliche Aufgaben wahrnimmt, ist an sie gebunden und verpflichtet, zu ihrer Verwirklichung beizutragen. Die Behörden haben sodann dafür zu sorgen, dass auch Private sich an die Grundrechte halten.
ZITAT ENDE
Den internationalen Menschenrechtsverträgen der UNO und des Europarates ist die Schweiz nur zögerlich beigetreten …
Mehr hier:
(humanrights.ch/de/service/einsteiger-innen/schweiz)
Gerade bei den sogenannten „Sozialrechten“, Herr Oberli“ zeigt sich exemplarisch wie die Vorgaben willkürlich durch irgendwelche sich berufen fühlende und eben nicht kontrollier- oder beeinflussbare ausländische Gremien bestimmt und der Schweiz ohne Volksbeteiligung aufoktroyiert werden sollen.
Nehmen Sie als Beispiel das „Recht auf angemessenen Lebensstandard (Ernährung, Bekleidung, Unterkunft) sowie auf eine stetige Verbesserung der Lebensbedingungen“.
Was soll das nun heissen? Wer bestimmt was „angemessen“ oder wie eine „stetige Verbesserung der Lebensbedingungen“ zu werten ist?
Gilt die „stetige Verbesserung“ zum Beispiel auch für Leute welche ihre eigene Situation selbstverschuldet verschlechtern, indem Sie sich von den Produktiven aushalten lassen? Bedeutet das, dass Profiteure und Plünderer immer mehr Anteile der Erträge von Produktiven erhalten sollen?
Wenn nicht, wo steht das? Wer bestimmt wann genug ist?
Die meisten europäischen Länder haben ein Verfassungsgericht. Es prüft die Vereinbarkeit von Hoheitsakten, insbesondere von Gesetzen, mit der Verfassung (= Normenkontrolle). Es hat die Möglichkeit, solche Gesetze als verfassungswidrig zu erklären.
Kein Verfassungsgericht haben nur Dänemark, Griechenland, Irland, Norwegen Schweden und die Schweiz. Karte:
detektor.fm/wissen/verfassungsgerichte-in-europa
Die Schweiz hat also kein Verfassungsgericht. Für das Bundesgericht sind nach Art. 190 der Bundesverfassung die Bundesgesetze verbindlich; es darf verfassungswidrige Gesetze NICHT aufheben, für ungültig erklären oder ihre Anwendung verbieten.
Leider ersetzt bei uns nur die Beschwerdemöglichkeit beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) wegen Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) zum Teil die fehlende Verfassungsgerichtsbarkeit. Dieses Gericht des Europarates in Strassburg ist für alle europäischen Staaten zuständig. Darin wirken auch zwei Richter aus der Schweiz. Der EGMR kann die Menschen in unserem Land gegebenenfalls* vor verfassungswidrigen Gesetzesbestimmungen schützen – und schützt damit zugleich unsere Bundesverfassung.
de.wikipedia.org/wiki/Europäischer_Gerichtshof_für_Menschenrechte
* Nur rund 1.5% aller Beschwerden aus der Schweiz führen zu einem EGMR-Urteil; die meisten Beschwerden werden als unzulässig abgewiesen, und die Mehrheit der Urteile gibt den Beschwerdeführern NICHT Recht.
humanrights.ch/de/menschenrechte-schweiz/egmr/ch-faelle/
Sie wiederholen hier denselben holen Scheiss wie vor bald vier Jahren, Herr Oberli. (s.weiter unten) Es wird nicht besser…
Ich habe damals Herrn Wagner auf dieselben Behauptungen hin geantwortet:
• Die Anwendung geltender Gesetze können per se gar nicht gegen die Verfassung verstossen, Herr Wagner, denn die Gesetze basieren IMMER auf der Verfassung. Falls das nicht der Fall sein sollte, dann kann jeder Schweizer bis vor Bundesgericht verlangen, dass diese Diskrepanz aufgehoben wird. Dazu braucht es weiss Gott keine fremden Richter.
• Ein Verfassungsgericht für die Schweiz wäre widersinnig, denn die Verfassung ist eben nicht wie in anderen Staaten unveränderlich, worüber ein Verfassungsgericht zu wachen hätte. Im Gegenteil, hierzulande hat das Volk die Aufgabe, Lücken oder nicht mehr sinnvolle Verfassungsbestimmungen mittels Sachabstimmungen zu ergänzen oder abzuschaffen.
@ Herr Hans Knall
Genau so verhält es sich.
Ein grosses Bravo zu Ihrer von jedem ureigenen Schweizer doch sehr geschätzten die Heimat liebenden Stellungnahme.
DANKE