Nachdem hier ge­ra­dezu in­fla­tionär für die BGI ge­wei­belt wur­de, wird es Zeit für einen Fak­ten­check. Un­ter­su­chen wir mal ein paar ty­pi­sche Be­haup­tun­gen, die ver­meint­lich für ein Ja zur BGI spre­chen:

Die EU exportiert Arbeitslosigkeit in die Schweiz
Da nur diejenigen dauerhaft eine Aufenthaltsgenehmigun​g erhalten die eine Arbeitsstelle haben ist die Behauptung die EU könne Arbeitslose importieren komplett haltlos. Es ist nicht auszuschliessen das EU-Bürger in der Schweiz arbeitslos werden, aber die Behauptung eines regelrechten Arbeitslosen-Imports ist grober Unfug.
Die Schweiz riskiert nicht den Marktzugang zur EU, es hat ja noch die WTO-Regeln
Das ist im Prinzip richtig. Die von der Guillotineklausel betroffenen und damit durch die BGI gefährdeten bilateralen Verträge regeln nicht den Marktzugang, sondern den vereinfachten Marktzugang. Ein Abkommen beispielsweise regelt die gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertung​en, was die Zulassung und den Vertrieb Schweizer Produkte in der gesamten EU vereinfacht. Handelsbeziehungen nach WTO-Regeln bedeutet das die Schweiz vom Handel in die EU her ein „ganz normales Drittland“ wird, etwas was beispielsweise in Grossbritannien massiv gefürchtet wird. Airbus beispielsweise produziert in verschiedenen Ländern, auch in GB: wenn eine reguläre Zollgrenze quer durch diese internationale Werkbank führt, kann das zu Problemen führen und mittelfristig zu Werksschliessungen. Verschiedene asiatische Autohersteller haben sich in Grossbrittanien niedergelassen und produzieren dort für die gesamte EU: auch hier wurden bereits mittelfristig Werksschliessungen angekündigt, sollte es einen EU-Austritt ohne Abkommen geben. Der Handel mit der EU macht ca. 60% des Aussenhandelsvolumens​ der Schweiz aus, die Schweiz riskiert viel mit “Handel nach WTO-Regeln”.
Die Schweiz bekommt auch nach einer Kündigung der PFZ weiter ausländische Fachkräfte
Auch das ist im Prinzip richtig. Allerdings entscheidet dann zukünftig ein Beamter in einer Behörde darüber, ob ein Bewerber aus dem Ausland eine Arbeitserlaubnis bekommt oder nicht, ein Arbeitgeber muss rechtfertigen warum er einen ausländischen einem inländischen Bewerber vorzieht. Hier wird es teilweise sehr komplex, es kommt oft nicht auf vergleichbare Schul- und Universitätsabschlüss​e an, sondern auf spezifische Berufserfahrungen und Weiterbildungen, die zu einer Entscheidung beitragen, und die man der entscheidenden Behörde gegenüber rechtfertigen muss. Und selbst wenn eine Erlaubnis kommt: Verzögerungen bei der Zusage einer Arbeitsstelle, weil erst eine Genehmigung eingeholt werden muss, beschädigt die Konkurrenzfähigkeit des Schweizer Arbeitgebers. Eine Zusage aus Belgien, Italien, Spanien, während aus der Schweiz eine Genehmigung noch aussteht, kann dazu führen das der Arbeitgeber den potentiellen Arbeitnehmer verliert. Wiederholte Probleme dieser Art können dazu führen das Firmen Abteilungen oder Niederlassungen ganz ins Ausland verlegen, mit Verlust auch der Schweizer Arbeitsplätze. Auch Schweizer haben keinen einfachen Zugang mehr zu Arbeitsstellen in der EU.
Mit einem institutionellen Rahmenvertrag, der nach einem Nein zum BGI unausweichlich wird, wird die EU zum Gesetzgeber in der Schweiz, die EU bestimmt Schweizer Gesetze
Das ist grober, irreführender Unsinn. Ein möglicher Rahmenvertrag betrifft NUR UND AUSSCHLIESSLICH Regelungen und Gesetze im Zusammenhang mit wirtschaftlichen Beziehungen zur EU. Zivilrecht, Strafrecht etc., all das ist weiter Aufgabe und Kompetenz der Legislative der Schweiz. Der Europäische Gerichtshof ist zudem nur eine letzte Instanz, quasi der Gerichtsstand die Verträge zwischen der EU und der Schweiz, wie er bei vielen Geschäftsbeziehungen üblich ist. Vor einem Entscheid am Gerichtshof bei Streitigkeiten kommen die sogenannten gemischten Ausschüsse, Gremien mit Teilnehmern aus der Schweiz und der EU, wo Streitigkeiten geklärt werden sollen.
Wenn die BGI erfolgreich ist und die PFZ gekündigt wird, damit alle anderen Verträge der Bilateralen I fallen, ist das gar kein Problem, wir verhandeln einfach neue, bessere bilaterale Verträge.
Die Personenfreizügigkeit​ ist eine der vier Grundfreiheiten in der EU. Das die EU mit der Schweiz bilaterale Verträge eingeht die der Schweiz Vorteile bringen OHNE das dies was kostet, zum Beispiel in Form von der Gewährung der Personenfreizügigkeit​, ist wohl eher nicht anzunehmen. Interessant ist das gerade diejenigen hier die gegen einen Rahmenvertrag wettern weil sie um die Eigenständigkeit der Schweiz fürchten, tatsächlich gleichzeitig glauben sie könnten der EU Zugeständnisse bei deren Grundfreiheiten abringen.
Fazit
I​n vielen Argumentationen zur BGI zeigt sich die Gefährlichkeit von Populismus: mit halbwegs plausibel klingenden Halbwahrheiten oder Irreführungen wird Stimmung gemacht. Speziell die älteren Herrschaften hier, eventuell bereits in oder kurz vor der Rente, sollten bei ihren Überlegungen vielleicht nicht nur die eigenen Stimmungen und Meinungen einbeziehen, sondern auch mal an die Sicht der Mitbürger denken die vielleicht noch 30 oder 40 Jahre Erwerbsleben vor sich haben. Das wäre verantwortungsvolles Abstimmen.


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