1. Politik Aktuell

Bildungssystem Schweiz

Mit der Debatte um das HarmoS-Konkordat, das am 1. August 2009 in einigen Kantonen in Kraft getreten ist, hat sich vermehrt die Frage nach der Zuständigkeit für die Bildung gestellt. Die kantonalen Unterschiede haben immer wieder zu Diskussionen geführt. Mit dem HarmoS-Konkordat wurde schliesslich ein Versuch gestartet, einige Regelungen des Bildungssystems gesamtschweizerisch zu harmonisieren. Somit stellt sich die Frage, was auf Bundesebene und was auf kantonaler Ebene geregelt werden soll. Daraus ergibt sich wiederum die Frage nach dem Grad der Ausprägung der Harmonisierung und ob gar eine zentrale Organisation eine mögliche Lösung darstellen kann.

Überblick

Die Frage, wer in der Schweiz für die Bildung zuständig ist, ist gar nicht so einfach zu beantworten, wie es im ersten Moment scheint. In der Tat diskutieren Politiker häufig nicht über Inhalte, sondern darüber, wer eigentlich zuständig sein soll. Die beiden Extrempositionen wären: Der Bund organisiert alles und die Kantone haben dazu nichts zu sagen, oder aber die Kantone sind völlig eigenständig.

Die Schweiz liegt zwischen diesen beiden Extrempositionen. Geschichtlich betrachtet haben sich die Kantone nach der Gründung der Schweiz (1848) noch lange gegen eine Einmischung des Bundes bei der Bildung gewehrt. Bis in die 1960er Jahre waren die Kantone, was die Bildung betrifft, völlig autonom.

Heute sind je nach Schulstufe die Kompetenzen anders geregelt. Die Verantwortung für das obligatorische Schulwesen liegt in der Hand der 26 Kantone, was auf dem föderalistischen System der Schweiz basiert. Der Bund legt lediglich die Grundsätze fest. Im Bereich nach der obligatorischen Schulzeit (also Gymnasien, Berufsbildung, Fachhochschulen und Universitäten) wird zusätzlich der Bund in die Verantwortung einbezogen. Mehr als 80% der Bildungsausgaben werden jedoch durch die Kantone und Gemeinden finanziert.

Das Subsidiaritätsprinzip sieht vor, dass Aufgaben nur dann vom Bund übernommen werden, wenn Kantone und Gemeinden dazu nicht in der Lage sind. Dies gilt auch für das Bildungssystem. In der Bundesverfassung ist klar festgehalten, dass die Kantone für die Struktur der Bildung und deren Inhalt zuständig sind (Art. 62 BV). Dies führt dazu, dass jeder Kanton selbstständig das Bildungssystem gestalten kann. Es gibt demnach 26 verschiedene Bildungssysteme in der Schweiz, was teilweise Schwierigkeiten in der Koordination hervorruft und zu Uneinigkeiten über deren Qualität führt.

Die Verantwortung der Kantone im Bildungssystem ist so gross, dass es auf Bundesebene kein Bildungsdepartement gibt, auch wenn dieser Vorschlag im Parlament immer wieder hervorgebracht wird. Somit besitzt jeder Kanton sein eigenes Bildungsdepartement. Für Fälle, in denen die Bundesverfassung doch ausnahmsweise dem Bund eine Kompetenz zuschreibt, sind andere Departemente zuständig (eidgenössisches Departement des Inneren und [[eidgenössisches Volkswirtschaftsdepartement|41]]). In einem solchen Fall erlässt der Bund lediglich die entsprechende Vorschrift und überlässt dann die Umsetzung und Ausgestaltung wiederum den Kantonen.

Auch wenn die Kompetenzen hauptsächlich bei den Kantonen liegen, besteht eine intensive Zusammenarbeit zwischen Kantonen, Gemeinden und Bund. Obwohl alle 26 Kantone in ihren Bildungssystemen eigene Rechtsvorschriften erlassen können, sind sich die Systeme relativ ähnlich. Das liegt daran, dass sie auf den gleichen Grundlagen aufbauen und sehr ähnliche Ziele verfolgen. Zusätzlich ist eine gewisse Einheitlichkeit zwischen den Kantonen von der Bundesverfassung (Art. 62 BV) vorgeschrieben. „Schuleintrittsalter, Schulpflicht, Dauer und Ziele der Bildungsstufen und deren Übergänge, Anerkennung von Abschlüssen“ sind Eckwerte, die zwingend koordiniert werden müssen. Falls die Kantone in diesen Bereichen keine Einigung zustande bringen, wird eine solche vom Bund durchgesetzt. Dieser Koordinationszwang baut auf der Übereinkunft über die Schulkoordination im Jahre 1970 auf, die in allen Kantonen (mit Ausnahme des Tessins) angenommen wurde.

Die Zusammenarbeit zwischen dem Bund und den Kantonen wird mittels der schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) geregelt. Diese setzt sich aus den 26 kantonalen Regierungsmitgliedern zusammen, welche in ihrem Kanton für die Bildung zuständig sind. Die Kantone können zusätzlich interkantonale Vereinbarungen treffen, um die Koordination und Zusammenarbeit zu verbessern. Ferner können die Kantone Kompetenzen an ihre Gemeinden übertragen, wo dies als sinnvoll erachtet wird. Dies kommt besonders häufig in den Bereichen der Vorschulstufe, der Primarstufe und der Sekundarstufe I vor.

Auch die Ausbildung der Lehrpersonen ist stark föderalistisch ausgeprägt. Bis in die 90er Jahre fand die Ausbildung von Lehrpersonen vorwiegend in Form von Seminarien der Sekundarstufe II statt. Mit der „Interkantonalen Vereinbarung über die Anerkennung von Ausbildungsabschlüssen“ vom 18. Februar 1993, dem alle Kantone zugestimmt haben, wurde sichergestellt, dass Einigkeit über die Anerkennung von Abschlüssen bestand. Dies war gleichzeitig der Beginn der sogenannten Tertiarisierung der Lehrerbildung, was bedeutet, dass Lehrer nun nicht mehr in Seminarien, sondern an Hochschulen ausgebildet werden. Dies hat auch zur Schaffung der heutigen pädagogischen Hochschulen geführt.

Aktuelle Vorstösse

Einer der momentan wichtigsten Vorstösse im Bereich des Bildungssystems ist das HarmoS-Konkordat. Es sieht aufbauend auf dem am 21. Mai 2006 revidierten Bildungsartikel in der Bundesverfassung vor, dass auf nationaler Ebene verbindliche Bildungsstandards eingeführt werden sollen. Die Schulstruktur soll in allen Kantonen (mit Ausnahme des Tessins) einheitlich sein. Da mehr als 10 Kantone dem HarmoS-Konkordat zugestimmt haben, ist dieses seit dem 1. August 2009 in ebendiesen Kantonen in Kraft gesetzt worden. (Hier finden Sie eine Grafik mit dem Stand der Beitritte.) In denjenigen Kantonen, die bereits beigetreten sind, gelten momentan die Übergangsfristen. Diese dauern bis zum Beginn des Schuljahres 2015/2016. Die Übergangsfristen sehen vor, dass die Kantone, die bereits beigetreten sind, sämtliche Inhalte des HarmoS-Konkordats bis zum Ablauf dieser Frist umgesetzt haben müssen. Somit sind die Kantone jetzt noch nicht daran gebunden und entsprechend unterschiedlich stark ist auch die Ausprägung der bereits getroffenen Massnahmen. Die Übergangsfristen sollen auch für Kantone gelten, welche erst nach den Abstimmungen 2009 beigetreten sind und allenfalls noch beitreten werden.

Ein anderes aktuelles Thema ist unter anderem die Erstellung von sprachregional einheitlichen Lehrplänen, was teilweise auch mit dem HarmoS-Konkordat einhergeht. Ein Lösungsansatz für die französischsprachige Schweiz ist in diesem Bereich der „Plan d’études romand (PER)“ und für die deutschsprachige Schweiz der „Lehrplan 21“. Die Erarbeitung des Lehrplans 21 läuft seit dem Herbst 2010 und soll im Frühjahr 2014 zur Einführung bereit sein. Der Lehrplan 21 ist prinzipiell unabhängig vom HarmoS-Konkordat, berücksichtigt aber dessen Eigenheiten. Alle Kantone werden selbstständig entscheiden können, ob sie den Lehrplan 21 einsetzen wollen, unabhängig davon, ob sie dem HarmoS-Konkordat zugestimmt haben oder nicht. Von den vier grössten politischen Parteien der Schweiz stehen drei entweder hinter dem Lehrplan 21 oder äussern sich nicht im Speziellen dazu. Die SVP hat als einzige Partei einen eigenen Lehrplan als Alternative zum Lehrplan 21 aufgestellt. Ein Hauptunterschied zwischen den beiden Lehrplänen liegt in der Gewichtung von Fremdsprachen. Der SVP Lehrplan sieht beispielsweise vor, dass je nach Oberstufenniveau eine, zwei oder gar keine Fremdsprachen unterrichtet werden sollen, je nach Bedürfnis der Schüler. Demgegenüber sind im Lehrplan 21 klar zwei Fremdsprachen die Vorgabe. Ein weiterer Unterschied liegt in der Dauer der Schulpflicht. Der Lehrplan 21 ist auf die vom HarmoS-Konkordat vorgegebenen 11 Jahre ausgelegt, während der SVP Lehrplan eine Schulpflicht von 9 Jahren voraussetzt.

Ein weiterer Vorstoss besteht im Bereich der Diplomanerkennung für die Ausbildung der Lehrpersonen. Zukünftig sollen Regeln definiert werden, die klarstellen, unter welchen Umständen Quereinsteiger für den Lehrberuf zugelassen werden können.

Vor- und Nachteile eines zentral organisierten Bildungssystems

Das schweizerische Stimmvolk hat sich im Mai 2006 mit der Zustimmung zur Revision des Bildungsartikels in der Bundesverfassung klar für ein stärker harmonisiertes Bildungssystem ausgesprochen. Dies bedeutet aber nicht, dass alle Kantone genau das gleiche zentral geregelte Bildungssystem haben müssen. Die Revision des Bildungsartikels soll lediglich zur Schaffung einer gemeinsamen Grundlage führen. Es bleibt jedoch fraglich, inwieweit eine Harmonisierung erreicht werden will. Die Extremposition der Harmonisierung wäre ein komplett zentral organisiertes Bildungssystem. Im Folgenden sollen nun einige Vor- und Nachteile dieser möglichen Extremposition genannt werden.

Vorteile

Gegner eines sehr stark föderalistischen und somit eher dezentral organisierten Bildungssystems nennen folgende Vorteile einer zentralen Organisation:

  • Eine zentrale Organisation ermöglicht es, allzu grosse strukturelle Unterschiede zwischen den Kantonen zu vermeiden, so dass alle überall die gleichen Chancen haben.
  • Es vereinfacht die Vergleichbarkeit der Leistungen der Schüler, insbesondere im Hinblick auf den Berufseinstieg.
  • Die Qualitätskontrolle des Bildungssystems wird erleichtert, da eine bessere Vergleichbarkeit besteht.
  • Die Regelung durch den Bund ermöglicht es, das nationale Parlament mitreden zu lassen.
  • Der administrative Aufwand ist wesentlich geringer (weniger Koordination und Planung nötig).

Nachteile

Befürworter eines stark dezentral organisierten Bildungssystems nennen folgende Nachteile einer zentralen Organisation:

  • Das Bildungssystem kann nicht an regionale Gegebenheiten angepasst werden.
  • Die Akzeptanz in der Bevölkerung ist geringer, da Entscheide relativ weit weg vom Bürger fallen.
  • Die Kantone verlieren eine wichtige Kompetenz, was zur Schwächung des bewährten Föderalismus beiträgt.
  • Eine Möglichkeit zur Verbesserung der Qualität durch Lerneffekte der Kantone voneinander besteht nicht mehr.
  • Konkurrenzdenken unter den Kantonen spornt jeden an, das beste Schulsystem zu entwickeln (ähnlich wie beim Steuerwettbewerb).

Fazit

Die Schweiz zeichnet sich unter anderem durch ihren relativ stark ausgeprägten Föderalismus aus. Dies zeigt sich auch im Bildungssystem. Trotzdem wünscht sich das Stimmvolk mit der Revision des Bildungsartikels in der Bundesverfassung eine gewisse Harmonisierung der Bildungssysteme der einzelnen Kantone.

Einige Vorstösse wie das HarmoS-Konkordat stellen nun erste Weichen in Richtung Harmonisierung. Es ist aber noch nicht ganz eindeutig, wohin der Weg führen wird, da noch nicht abschliessend geklärt wurde, wie stark die Harmonisierung tatsächlich sein soll. Es werden weitere Lösungsansätze gefunden werden müssen, bis sich der Grad der Ausprägung der Harmonisierung eingependelt hat.

Literaturverzeichnis

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Bildungsraum Schweiz : Historische Entwicklung und aktuelle Herausforderungen / Lucien Criblez (Hrsg.). – Bern : Haupt, 2008

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