Der Begriff „Kantönligeist“ ist oft negativ besetzt. Einige BürgerInnen stören sich daran, dass im einen Kanton die Bildung anders organisiert ist als im Nachbarkanton.. Es wird vergessen, welchen Dienst uns der Föderalismus in den letzten Jahren erwiesen hat. Zum Geburtstag der Schweiz will ich gerne einige Punkte erläutern, wieso die Schweiz eine föderalistische Staatsorganisation mehr den je braucht.
Seit der Gründung des Bundesstaats 1848 hatte der föderalistische Gedanke seinen Platz in der Schweizer Geschichte. Die Skepsis vor einem zentralistischen Superstaat, geführt von Machthungrigen Politikern, bewog uns dazu, immer zwei Mal zu überlegen, ob eine Kompetenz vom Bürger zur Gemeinde, von der Gemeinde zum Kanton oder vom Kanton zum Bund delegiert werden soll. Leider ist seit einigen Jahren eine Trendwende zu beobachten. Die Schweiz zählt im Jahr 2014 2352 Gemeinden, 20 % weniger als vor 20 Jahren. Die heutige Gemeinde verkommt zu einer Verwaltungseinheit mit einzelnen kleinen Restkompetenzen. Entschieden wird oben, bezahlt unten. Meine Heimatgemeinde Gossau ZH bestimmt noch 3 % von ihrem Budget, für die restlichen 97 % sind übergeordnete Beschlüsse (7 %), gesetzlich zwingende Ausgaben mit Spielraum (50 %) und gesetzliche Ausgaben ohne Spielraum (40 %) verantwortlich.
Wieso benötigen wir nun mehr Föderalismus?
Bürgernähe und Transparenz – Die Bürgerinnen und Bürger sind unmittelbar betroffen von den Entscheidungen, die in den Gemeinden gefällt werden. Die Beschlüsse werden auf unterster Ebene direktdemokratisch getroffen und so bezahlt man für das, was man bestellt hat. Und nicht für das, was einem von oberen Instanzen delegiert wurde. Bottom-up und nicht Top-down sollte das Credo sein. Wenn Projekte teurer werden, bekommt der Gemeinderat Beschwerdebriefe und muss sich dementsprechend rechtfertigen. In zentralistischen Staaten wird dagegen tagtäglich Misswirtschaft betrieben. Da sich niemand direkt betroffen fühlt, gibt es dazu wenige Reaktionen. Dadurch verliert der einzelne Bürger schleichend an Mitspracherecht.
Überschaubar – Probleme sollten wenn immer möglich auf der tiefsten Ebene gelöst werden (Bürger < Gemeinde < Kanton < Bund). In der Gemeinde wird bei Problemen angepackt, man spürt die freiwillige Solidarität, welche unter den Bewohnern herrscht. Es wird sich gegenseitig geholfen, man setzt sich in öffentlichen Ämtern ein, um das Wohl der Gemeinde und der Mitmenschen sicherzustellen. Missstände können direkt angesprochen und am Ursprung behoben werden.
Machtverteilung – In einem Zentralstaat bestimmen wenige über das Leben aller. In föderalen Strukturen verlieren Politiker und Beamte schnell ihr Gesicht, wenn etwas schief läuft. Zudem haben sie nur beschränkt die Möglichkeit, rücksichtslos mit Steuergeld umzugehen. Denn die Bürger beteiligen sich am Gemeindeleben und haben so den Überblickt, wer welchen Eingriff in ihr Leben vornimmt.
Wettbewerb der Systeme – Dank dem Föderalismus ist es möglich, herauszufinden, welches System am besten funktioniert. Gemeinden können liberaler oder sozialistischer organisiert sein, oder einen Mix daraus. Auf die Dauer wird sich herausstellen, welches System am besten funktioniert. Wenn Experimente schief laufen, müssen wenige dafür bezahlen. Wenn ein Zentralstaat hingegen in die falsche Richtung geht, tragen die Konsequenzen Millionen von Bürger. Egal, ob es um Bildung, Verkehr, Wirtschaft oder Sicherheit geht: Verschiedene Lösungsansätze sind möglich, weshalb ein Wettbewerb unter ihnen wünschenswert ist.
Wettbewerb unter den Systemen sollte nicht mit Ausgleichszahlungen bestraft werden. Im Gegenteil, es ist wichtig, dass wir ihn mehr leben. Nur so können wir herausfinden, welche Systeme nachhaltig Bestand halten. Die beste Idee wird sich langfristig durchsetzen können. Hüten wir uns davor, noch mehr Kompetenzen vom Bürger in Richtung Bund zu delegierten. Geben wir der kommunalen Ebene Stärke! Packen wir wieder selber an! Bei jeder politischen Frage ist es speziell notwendig, darauf zu achten, ob es wirklich notwendig ist, die Kompetenz an eine zentrale Stelle zu delegieren oder nicht. Wir haben nichts davon, ausser die negativen Auswirkungen, dass die Bürokratie immer mehr ausufert und die Politikerelite immer mächtiger wird.
Stehen wird deshalb für eine freiheitliche Schweiz ein, die föderaler als heute organisiert ist und uns zu Wohlstand und Selbstbestimmung bringt.
Beitrag erschienen auf: http://andrisilberschmidt.ch/new/ein-plaedoyer-fuer-mehr-foederalismus/
Personen haben auf diesen Beitrag kommentiert.
Kommentare anzeigen Hide commentsDen ‘Kantönligeist’, wie er oft verächtlich genannt wird, findet man in allen EU Ländern, vor allem in Deutschland, Frankreich und Italien.
Wegen fehlender förderalistischer Polit.-Strukturen haut man sich in der Ukraine gerade die Köpfe ein, statt sich an einen Tisch zu setzen.
Die förderalistischen Struktur der Schweiz hat verhindert, dass ¨über die Köpfe der Bürger hinweg politische Entscheide ‘von oben’ verabreicht werden können.
Die Struktur der Schweiz von unten nach oben hat sich bestens bewährt und müsste höchstens etwas justiert aktualisiert werden.
Wohin fehlender Förderalismus führt, sehen wir derzeit an der EU. Nein danke.
“Wettbewerb unter den Systemen sollte nicht mit Ausgleichszahlungen bestraft werden. Im Gegenteil, es ist wichtig, dass wir ihn mehr leben. Nur so können wir herausfinden, welche Systeme nachhaltig Bestand halten. (…)”
Der von Ihnen mit Recht hochgelobte Föderalismus, Herr Silberschmidt, ist ohne Solidarität undenkbar. Wir müssen NICHT 1:1 ausprobieren, wie es Kantonen ergehen könnte, welche kein Steuerdumping kennen, wenn sie keine Ausgleichszahlungen erhalten.
Und Kantone, geehrter Herr Wild, die seit vielen Jahren ihre Steuern nicht in Ordnung bekommen, wie z. B. Bern, können nicht automatisch davon ausgehen, von den Steuern der anderen via Umverteilung beglückt zu werden. So ca. CHF 900.- mio erhält Bern jedes Jahr. Bereits fragen sich einige der Geberkantone, ob sie ihr Geld nicht selbst besser anlegen können als in ein Fass ohne Boden mit Reitschulen und sonstigem Kostenunsinn.
Die Reithalle ist m. W. ein städtisches Problem, Herr von Limaa!
Ich bin der Meinung, dass Bern diesen kulturellen Freiraum braucht. Sie werden sagen, dass diese Brutstätte geräumt werden soll. Ja wie sieht es denn mit den Fussballstadien und den Infrastrukturen, sowie den regelmässig geschändeten Verkehrsmitteln aus? Diese kommen die Gemeinden viel teurer zu stehen.
Bern hat seine Reithalle, Zürich hat seinen Hafenkran und eine grenzenlos einfältige Polizeidirektion.
Suchen Sie das Problem der Kantonsfinanzen anderswo. Ich habe bereits viele Dinge über Verpflichtungungen aufgezählt. Und Sie haben es gelesen und reagiert. Als Schweizer sollten Sie das eigentlich besser wissen als ich.
Auf der Einnahmeseite sollten Sie nur an die enormen Grundstück-Handänderungsgewinne die der Kanton und die Stadt Zürich immer wieder einnehmen denken. Das ist nur ein Argument neben vielen.
Die Reithalle ist nur ein Problem in der Stadt Bern, die ziemlich Pleite ist, wie der Gesamtkanton. Der Gesamtkanton Bern muss handeln. Ansonsten bin ich ‘bei’ Ihnen.
Stimmt, jeder Kanton soll seine Hausaufgaben machen.
Jeder einzelne Bürger soll das
Auch die Familie soll das.
Auch die Gemeinde soll das.
Auch der Kanton soll das.
Letztlich auch die Schweiz soll das.
NUR EU-LAND MACHT DAS NICHT!
Apropos Reithalle
In der Reithalle wurden und werden erste Erfahrungen in Sachen demokratisches Verhalten im Kleinen geübt. Viele heutigen Politiker, auch solche, die später ins bürgerliche Lager abtrifteten, verdanken ihre Praxis der Reitshallegemeinde. Es gibt sogar welche in Zürich, nur stehen sie nicht dazu oder denken gar nicht daran.
Föderalismus ist wichtig, kann aber auch sehr schädlich sein, wenn er zu Ineffizienz und Qualitätsverlusten führt!
Das Problem des Schweizer Föderalismus ist, dass er nicht mehr zeitgemäss ist, sondern oftmals auf realitätsfremden Mythen und auf Faulheit, bestehende Strukturen zu ändern.
…beruht.
Ich staune doch sehr über die unkritische, mythenhafte Verherrlichung des Mythos “Schweizer Föderalismus” durch den angeblich “liberalen” Andri Silberschmidt.
Wir haben in der Schweiz dutzende von Gemeinden mit weniger als 100 Einwohnern, gewisse mit nur 20-30 Einwohnern. Z.B der Kanton Bern leidet massiv unter diesen ewiggestrigen Strukturen.
Wir haben teilweise Amtsbezirke, die in keinster Weise den heutigen wirtschaftlichen und verkehrstechnischen Gegebenheiten entsprechen, sondern aus reiner Tradition nicht geändert oder fusioniert werden.
Und wir haben auch bei den Kantonen eine ewiggestrige, ineffiziente Struktur: 26 Bildungssystem, 26 Kantonspolizeien (selbst für Kleinstkantone),…
Unsere Kantonsstruktur basiert auf der Zeit des Sonderbundkriegs (oder teilweise noch viel früher) und hat mit den heutigen Gegebenheiten teilweise nichts mehr zu tun!
Gerade von “Jungliberalen” oder “Jungfreisinnigen” müsste man eigentlich erwarten, dass sie dies erkennen und nicht einem nationalkonservativen, ewiggestrigen Mythos nachrennen.
Aus Faulheit und Traditionsbewusstsein nichts zu ändern, ist keine Lösung!
Dass für Sie, Herr EU-Lohmann, ausschliesslich die EU-Diktaturstrukturen nicht ewiggestriger Mythos sind, ist allgemein bekannt. Es lohnt sich einfach nicht, dazu sachlich Stellung zu nehmen.
Ob aus Faulheit oder Traditionsbewusstsein ist egal. An Ihrer Anti-Schweiz-Haltung gibt es nichts zu ändern. Das ist natürlich auch keine Lösung, aber henusode…
“Gerade von “Jungliberalen” oder “Jungfreisinnigen” müsste man eigentlich erwarten, dass sie dies erkennen und nicht einem nationalkonservativen, ewiggestrigen Mythos nachrennen.”
Wundert Sie mit dem 18%-Müller an der Spitze wirklich eine Annäherung an die SVP?
Herr Pfister
Ich muss Ihnen leider zustimmen. Es ist nicht verwunderlich, dass die FDP heute mehr nationalkonservative, denn liberale Werte vertritt, wenn man bedenkt, dass FDP-Präsident Müller seine Wurzeln als antiliberaler Migrationspolitiker hat.
Herr Knall
1. Ein zentralistisches System ist keineswegs grundsätzlich weniger demokratisch als ein föderalistisches.
2. Ich bin keinesfalls gegen Föderalismus, nur will ich einen sinnvollen Föderalismus, der den heutigen Gegebenheiten entspricht und nicht einen, der auf Mythen basiert.
3. Die EU selbst ist ein äusserst föderalistisches und demokratisches Gebilde. In den meisten EU-Staaten dürfen die Bürger auf 4 verschiedenen Ebenen wählen. Die einzelnen Mitgliedsstaaten haben sehr grosse Kompetenzen.
4. Nur weil ich der Schweiz zukunftsorientierte Strukturen geben will, vertrete ich keine “Anti-Schweiz-Haltung”. Im Gegenteil: Ich will, dass die Schweiz weiterkommt und nicht stehenbleibt.
Erfinden Sie einen, Herr EU-Lohmann, neuen Begriff für das was Sie wollen. Den Begriff Föderalismus gibt es schon und er muss nicht uminterpretiert werden.
Es gibt keinen mehr oder weniger sinnvollen Föderalismus, sondern der Föderalismus ist an sich sinnvoll, oder, für Leute wie Sie, eben nicht, weil er beim „Von- oben-nach-unten-Regieren“ stört.
Föderalismus ist grundsätzlich nicht unbedingt ein Bottom-up System. Bundesrecht steht auch in der föderalistischen Schweiz über dem Kantons- und über dem Gemeinderecht und nicht umgekehrt.
Zudem haben wir in der Schweiz auch auf den übergeordneten Stufen direktdemokratische Instrumente (und damit echte Bottom-up Elemente). Jeder einzelne Bürger kann also auch auf der Kantons- und Bundesebene mitreden und mitentscheiden.
Auf übergeordneten Stufen reden jedoch immer mehr Leute mit, damit verliert jede einzelne Stimme an Gewicht, das stimmt natürlich schon.
Die Delegierung von Aufgaben an die nächsthöhere Stufe hat meines Erachtens auch viel damit zu tun, dass die einzelnen Systeme sich immer stärker vernetzen. Dadurch werden die damit verbundenen Probleme ständig komplexer und man sucht verstärkt nach übergeordneten Lösungen.
Dafür muss man nicht mal unbedingt über die Schweiz hinausschauen. Auch innerhalb der Schweiz steigt die Vernetzung; zwischen den Gemeinden und auch zwischen den Kantonen.
Das Königsargument, eine Frage auf der lokalen Ebene zu entscheiden, ist: stellt sich das Problem an unterschiedlichen Orten in unterschiedlicher Weise, sodass man einen Vorteil durch ortsspezifische Lösungen hat?
Wenn dies der Fall ist, ist Föderalismus ein Gewinn.
Wenn das Problem überall das gleiche ist, soll man auch eine gesamtschweizerische Lösung dafür wählen. Alles andere erschwert nur das Zusammenleben und fördert die Bildung weltanschaulicher Ghettos.