NEUTRALITÄT MUSS BEWAFFNET SEIN!
(Zum NZZ Artikel vom 10.12.2020.” Es gibt keine unschuldige Neutralität”)
Der NZZ Artikel will den Eindruck erwecken, der Verzicht Deutschlands auf eine Besetzung der Schweiz im 2. WK habe nichts mit deren Neutralität zu tun. Als Begründung wird gesagt, andere Neutrale, wie Belgien, Norwegen, die Niederlande seien 1940 auch sofort von der Wehrmacht besetzt worden. Man könnte auch noch Dänemark anfügen.
Vorausgeschickt werden muss der Hinweis, dass sämtliche bedeutenden, in Westeuropa eingesetzten Armeen einen Angriff auf die Schweiz prüften. Die Wehrmacht tat dies im Verlauf des Krieges mehrmals. Meistens ging es um die Umgehung der Front des jeweiligen Feindes durch die Schweiz. Alle Studien kamen wegen der Armee und unserem Gelände zu einem negative Schluss. Als die West-Alliierten 1944 lange an der deutschen Verteidungslinie in Frankreich stecken blieben, forderte sie Stalin an der Konferenz von Moskau am 28. Oktober 1944 ultimativ auf, Deutschland aus Frankreich durch die Schweiz anzugreifen. Die militärische Führung der US Streitkräfte (damals Combined Chiefs of Staff) prüften das. In einem Telegramm vom 29. Dezember 1944 an den Alliierten Oberbefehlshaber, General Eisenhower (mit Kopien nach Moskau etc.), indem noch über zwei andere grosse strategische Entscheide gesprochen wurde, teilten sie ihm ihre Schlussfolgerung mit:
“Number WARX 83967 (Eine Kopie des Originaltelegramms ist beim Verfasser).
TOPSEC book message to SHAEF Versailles for Eisenhower for action. …..
- Conversations between the American Ambassador in Moscow and Stalin make it seem possible that the Russians may raise with your representative the following three suggestions:
a) Up to eight divisions be transferred from Italy to the Balkans with the objective of advancing from Dalmatia on Zagreb and joining forces with the Russians in south Eastern Austria.
b) The possibility of out-flanking the Siegfried Line (die deutsche Verteidigungslinie, der Verf.) by going through Switzerland.
c) The possibility of our Southern Army Group in Europe joining the Red Forces into Austria by breaking through the German defences and advancing east.
- Your representative should not himself raise these points, but if the Russian do so, your representative should take the following line:
a)…
b) The violation of Swiss neutrality is a question for governments. Apart from this, the difficulties of the terrain and the reputed capabilities of the small, but efficient Swiss Force fighting on their own home ground would make the project doubtful from the military point of view. Your representative should say, that this is a question appropriate for discussion by the heads of states.
c) ….
Das ist der Unterschied zu den anderen Neutralen, Die Schweizer Neutralität war bewaffnet, und zwar stark genug, um selbst die damals stärkste und kriegserfahrend-ste Streitmacht der Welt am Erfolg eine Angriffs aus “militärischer Sicht” zweifeln zu lassen.
Die linke Regierung Dänemarks verfolgte vor dem Krieg eine Politik des Pazifismus und des Aufbaus des Sozialstaates und gab kein Geld für den Aufbau einer schlagkräftigen Armee aus.. Noch am 17. Januar 1939 schloss sie auf Wunsch Deutschlands mit diesem einen Nichtangriffspakt ab. Sie hoffte, mit einer freundschaftlichen Politik Deutschland gegenüber verschont zu werden. Am 9. April 1940 griff Deutschland an, am 10. April kapitulierte die Regierung, die damals insgesamt nur über 15’000 Mann unter den Waffen verfügte und die restlichen rund 35’000 Mann gar nicht mobilisiert hatte.
Auch die linke Regierung Norwegens hatte vor dem Krieg eine solche Politik verfolgt und besonders kein Geld für die Armee ausgegeben. Diese zählte 1938 nur 13’000 Mann, die bis zum Kriegsausbruch auf 30’000 aufgestockt wurden. Ebenfalls am 9. April 1940 griff Deutschland an. Die letzten Truppen des Landes, das an sich von der Topographie her sehr für die Verteidigung geeignet war, kapitulierten am 10. Juni 1940.
Die Benelux-Staaten, darunter Holland, wurden am 10. Mai 1940 angegriffen. Holland kapitulierte nach 5 Tagen, Belgien am 28. Mai 1940. Seine 22 Divisionen an der Verteidigungslinie wurden sofort durchbrochen. Rotterdam war noch am 14. Mai wegen eines Übermittlungsfehlers durch die deutsche Luftwaffe zerstört worden, als dort schon die Kapitulationsverhandlungen im Gange waren.
Ein Beispiel für die demoralisierten westlichen Truppen ist die Einnahme der belgischen Festung Eben Emael, eine der mächtigsten in Europa, die den Übergang über den Albert-Kanal sichern sollte. Eingelassen in die Steilwände des Kanals verfügte sie über eine Besatzung von 1200 Mann, 18 Festungsgeschütze, 12 Panzerabwehrkanonen, 20 Maschinengewehre und 13 Scheinwerfer. Am 10. Mai 1940 landeten 55, nur mit Infanteriewaffen ausgerüsteten Mann der Strumgruppe Oberleutnant Witzig in Segelflugzeugen auf dem Dach der Festung, auf dem die Besatzung die Stacheldrahtverhaue entfernt hatte, um Fussball spielen zu können. Nach einem Tag kapitulierte die Festung. Als der belgische Kommandant die erschöpfte, nur noch rund 30 Mann umfassende deutsche Sturmgruppe sah, der sich seine mächtige Festung ergeben hatte, erschoss er sich mit seiner Pistole.
Im Gegensatz zu diesen Staaten, die sich alle erst bei Kriegsbeginn neutral erklärt hatten, war die Schweiz schon lange neutral und hatte eine Armee, die – trotz ihrer auch erkannten Schwächen – als so stark eingeschätzt wurde, dass alle Generalstäbe zum Schluss kamen, ein erfolgreicher Angriff könne nicht garantiert werden. In den späteren Kriegsjahren hatte z.B. Deutschland die zahlreichen Divisionen, die es für den Angriff auf die Schweiz nach eigenen Berechnungen gebraucht hätte, gar nicht. Es hätte sie von allen Fronten abziehen müssen, was dort “gefährliche Einbussen” (General Franz Boehme) ausgelöst hätte.
Die heutige Schweizer Armee ist im Zeitalter der Wohlstandsdekadenz nach Meinung des Verfassers im gleichen, nicht mehr verfassungsmässigen, d.h. “kriegsverhindernden” Zustand, wie damals (fast) alle sofort besiegten westlichen, kontinental-europäischen Armeen in der Anfangsphase des 2. Weltkriege. Wie sie damals von den grossen Mächten gesehen wurde, sollen hier mit einigen Zitaten gezeigt werden. werden.
Am 11. November 1938 schrieb der Lordmajor von London nach einem Besuch in der Schweiz, kein Land in der Welt könne so schnell mobilisieren wie die Schweiz. Er schlug vor, England solle unser Modell übernehmen.
Der weltberühmte US Journalist William L. Shirer schrieb zu Beginn des Krieges aus Berlin: “Die Schweiz hat einen Zehntel Ihrer Bevölkerung unter den Waffen, mehr als irgend ein anderes Volk der Welt. Sie sind bereit, für ihre Lebensart zu kämpfen…. Die Holländer werden für die Deutschen eine leichte Beute sein. Ihre Armee ist miserabel. Die Schweiz wird eine härter zu knackende Nuss sein, und ich zweifle, ob es die Deutschen versuchen werden.”
1940, vor dem Angriff auf Frankreich, pürfte der deutsche Generalstabschef Franz Halder, ob ein Angriff durch die Schweiz auf den jeweiligen Gegner für Deutschland oder Frankreich eine erfolgversprechende Option sei. Er kam wegen unserer Armee zu einem negativen Schluss, schrieb aber in sein Kriegstagebuch:” Eine Umgehung durch eine unverteidigte Schweiz wäre eine verlockende Möglichkeit”. Diese Verlockung haben wir mit der WEA geschaffen.
Das “Kleine Orientierungsheft Schweiz für die Truppen im Felde” des Generalstabes des deutschen Heeres vom 1.Sept. 1942 meinte: “Das schweizerische Milizsystem ermöglicht die Erfassung der Wehrfähigen unter verhältnismässig geringen Kosten. Es erhält den im schweizerischen Volk sei je regen soldatischen Geist und gestattet die Aufstellung eines für das kleine Land sehr starken und zweckmässig organisierten, schnell verwendungsfähigen Kriegsheeres…Der schweizerisch Soldat zeichnet sich durch Heimatliebe, Härte und Zähigkeit aus. Der Pflege von Waffen, Geräten, Uniformen, Pferden und Tragtieren widmet er grosse Sorgfalt.”
Am 7. Dezember 1942 schrieb das weltberühmte US Magazin TIME unter dem Titel “Die Schweiz allein: Klein und zäh. Mann für Mann hat die Schweiz heute wahrscheinlich die zweitbeste Armee Europas “ (Laut Schlussbericht der USA zum 2. WK war der deutsche Soldat von Anfang bis zum Schluss des Krieges der beste).
In der ausführlichen deutschen Angriffsstudie vom Sommer 1943 schrieb General der Panzertruppen Franz Böhme: “”Vielmehr geht es gerade um den Besitz der wichtigen Nord-Südverbindungen. Erst ihr uneingeschränkter Besitz, samt ihrer Stromanlieferungen, bedeutet einen klaren militärischen Sieg über die Schweiz. (Womit der Réduit-Entscheid General Guisans als richtig beurteilt, seine Kritiker, die behaupten, er habe das Mittelland einem Angreifer praktische unverteidigt überlassen, widerlegt wurden). Das Schweizer Heer verfügt über eine grosse Tradition….Der Kampfwille des Schweizer Soldaten ist ein hoher und wir werden ihm etwa dem der Finnen gleichstellen müssen, (die der Sowjetunion 1939/40 vier Monate lang Widerstand geleistet hatten)…. Die Vaterlandsliebe der Schweizer ist auf denkbar höchster Stufe.. Die Schweizer Landesverteidigung verfügt über ein Heer, dass schon wegen seiner zahlenmässigen Stärke ein äusserst beachtlicher Faktor ist. Die Bezwingung der sich erbittert verteidigen Truppen im Hochalpenreduit wird eine schwer zu lösende Aufgabe darstellen.”
So war unser Land einmal! Tempi passati.
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Kommentare anzeigen Hide commentsSeit 2022 werden durch Putins gewaltsamen Einmarsch in die Ukraine auch die europäischen massiv Demokratien angegriffen – also auch die Schweiz. Ihre BEWAFFNETE Neutralität erlaubt ihr bzw. verpflichtet sie, sich gegen die massiven (vor allem wirtschaftlichen) Auswirkungen zu verteidigen. Über die Wahl der Mittel entscheidet sie natürlich selbstständig.
Wie und wann entstand diese bewaffnete Neutralität?
Vom 16. bis ins 18. Jahrhundert gab es in Europa zwei Grossmacht-Blöcke, die Franzosen und die Habsburger, die einander immer wieder bekriegten. Die Alte Eidgenossenschaft lag dazwischen und hatte so geostrategisch eine wichtige Rolle. Im frühen 16. Jahrhundert ging deshalb die Eidgenossenschaft zu einer Politik des Stillhaltens, des Nicht-Eingreifens in andere Kriege, über. Die europäischen Kriegsparteien hatten ein grosses Interesse an einem neutralen Raum, um sich dort mit Soldtruppen einzudecken und den Zwischenhandel des Kriegsmaterials zu organisieren. Sie waren mehr am Erhalt dieser Neutralitiät interessiert als die Eidgenossenschaft.
Stadt- und Landadel nützten diese erste Neutralität aber geschickt für den lukrativen Handel mit Söldnern aus. Im 20. Jahrhundert bediente sich dann der schweizerische Finanzplatz der Neutralität, und im Moment ist es der Rohstoffhandel.
Die neutrale Schweiz hat das Recht, sich gegen die bereits erfolgten Angriffe Russlands zu wehren. Diese geschehen heute mit anderen Mitteln: Mit Cyber-Störungen und wirtschaftlichen Embargos. Wenn die nichts nützen, kann man aus weiter Ferne Raketen auf uns abschiessen.
„Das Neutralitätsrecht verlangt Gleichbehandlung der Konfliktparteien. Wir liefern Russland keine Waffen, also müssen wir die Ukraine auch so behandeln. Wenn wir dieses Gesetz ändern, nehmen wir aktiv auf das militärische Kräfteverhältnis in einem Staatenkrieg Einfluss. Das geht nicht ohne Verletzung des Neutralitätsrechts. Wenn man diese Pflichten nicht will, muss man über die Aufgabe der dauernden Neutralität reden. Etwa über blosse Bündnisfreiheit ohne dauernde Neutralität. Oder man verletzt bewusst das Neutralitätsrecht.“ (Völkerrechtler Oliver Diggelmann in BaZ vom 26.1.2023)