Wagenknecht ist der selten gewordene Fall einer linken Realistin. Sie hat auch keine Angst, über Tabus zu diskutieren. Das trägt ihr dann in Deutschland automatenhaft den Vorwurf ein, sie sei rechts. Das ist sie nicht. Wagenknecht steht links, weit links sogar. Sie fordert eine strenge Regulierung der Wirtschaft, ist für höhere Steuern, für Sozialausbau und weniger Globalisierung. Auf der anderen Seite spricht sie sich für begrenzte Migration aus. Sie lobt den Nationalstaat als bis heute besten, vielleicht einzigen tauglichen Rahmen für Rechtsstaat und Demokratie. Sie überlässt den Rechten nicht kampflos die Wirklichkeit. Sie spricht genau die Themen an, mit denen auch die Rechtsparteien bei den Leuten punkten. Ihre Vorbilder sind, zum Beispiel, die siegreichen dänischen Sozialdemokraten unter Premierministerin Mette Frederiksen mit ihrer ultrastrengen Asylpolitik. Sie hätte Freude gehabt am früheren Schweizer SP-Präsidenten Helmut Hubacher. Er sah den Aufstieg der SVP als Folge der linken Vernachlässigung migrationspolitischer Fragen. Sahra Wagenknecht ist faszinierend im Gespräch, eine intellektuelle Herausforderung für die Bürgerlichen und eine Heimsuchung für die aus ihrer Sicht verirrten Linken. Schade, dass wir in der Schweiz keine linke Politikerin haben, die nicht nur die Schwächen des eigenen Lagers durchschaut, sondern auch die gedanklichen Untiefen und Irrtümer ihrer rechten Gegner.“ (Roger Köppel in Weltwoche 15/2021, 14.4.2021)
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