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Selektion von Embryonen zeigt Optimierungswahn

Die zu­neh­men­den Ansprüche auf Op­ti­mie­rung und Per­fek­tio­nie­rung,​​ die sich z.B. bei der Fort­pflan­zung und der Kin­der­er­zie­hung zei­gen, hat auch der Wie­ner Phi­lo­soph Kon­rad Paul Liess­mann zu recht kri­ti­siert. In der Me­di­zin sei ge­rade ein Pa­ra­dig­men­wan­del​​ be­ob­acht­bar vom Be­stre­ben, Kranke zu hei­len hin zur Hal­tung: “Der Mensch ist defizitär, und ich muss ihn verbessern.”  Kri­tisch äusserte er sich im die­sem Zu­sam­men­hang auch über die   Präimplantationsdiagn​​ostik (PI­D). Sie ermögliche, “suboptimale” Em­bryo­nen aus­zu­sor­tie­ren. “Es soll ja das Op­ti­male sein. Ge­mes­sen an die­ser Er­war­tung wird das, was wirk­lich her­aus­kommt, immer defizitär sein”, so Liessmann.

 

Durch die heute gerade wieder bei uns in der Schweiz jetzt am 14. Juni  gestellte Frage nach optimalen Reproduktionsbedingun​​gen entstehen neue Erwartungshaltungen und auch Verantwortlichkeiten.​​ Der Professor für Methoden der Vermittlung von Philosophie und Ethik an der Uni Wien hält es für denkbar, “dass es einmal Vorhaltungen der Art geben könnte: Ich habe alles für dich getan, Samen- und/oder Eizellen gezielt ausgesucht, genetisch gescreent, von einer vitalen Leihmutter austragen lassen und jetzt machst du mir trotzdem Ärger”.

Es gehöre zu den Grundeinsichten der Moderne, dass es keine “vorgegebene Natur des Menschen” gebe. Der Mensch begreife sich spätestens seit der Renaissance als Wesen, das sich selbst entwerfen kann, erklärte Liessmann. In letzter Zeit trete zu der Vorstellung eines unfertigen Wesens, das sich entfalten, entwickeln und seine Talente pflegen soll, zunehmend jene eines “defizitären Wesens, das auf allen Ebenen verbesserungsbedürfti​​g ist”. Es genüge dann nicht mehr, ein Kind mit allen Stärken und Schwächen zu sein, die Kinder nun mal haben, sagte Liessmann. “Eigentlich sollten schon Samen- und Eizellen optimale genetische Eigenschaften aufweisen, Eltern müssen sich dann immer richtig verhalten, die sozialen Umgebungen und die Lehrer müssen perfekt sein.”

Das führt nach den Worten des Philosophen auch zu folgendem Umdenken im Bildungsbereich: Hinter dem beteuerten Wunsch, dass Kinder aus allen sozialen Schichten gemeinsam erzogen und unterrichtet werden sollen, stehe heute das Argument, “dass dies das Beste vor allem für das eigene, natürlich begabte Kind wäre”. Liessmann: “Da kommen kaum mehr soziale oder, sagen wir es biblisch, Barmherzigkeitsargume​​nte: Auch Kinder aus armen Schichten sollen in eine schöne Schule gehen.” Heute heiße es vielmehr: “Es ist für mein Kind besser, wenn es auch Kinder aus anderen Schichten kennenlernt, das verstärkt seine sozialen Kompetenzen und optimiert seine Wettbewerbschancen.” Dass trotz dieses rhetorischen Bekenntnisses viele Eltern, die es sich leisten könnten, ihre Kinder lieber in soziale homogene Privatschulen geben, “ist eine feine Ironie”, fügte Liessmann hinzu.

 

Die sozialen Spannungen werden sich durch diese hohen Perfektionsansprüche verstärken, mutmaßt Liessmann. Durch das vermeintliche Recht auf Optimierung werde verlernt, “mit Defiziten, Unterschieden, Enttäuschungen, Versagungen umzugehen”.

 

Gleic​​hzeitig werde paradoxerweise die inklusive Gesellschaft gefordert, “die alles, was anders und nicht optimal ist, freudig integrieren soll”. Dieser Widerspruch treibe Menschen – so Liessmann – “in den Wahnsinn oder permanenten Selbstbetrug”. Man könne “nicht auf der einen Seite sagen, nur das Beste zählt, und was nur ein bisschen abweicht von diesen Ansprüchen, wird ausgeschieden, und gleichzeitig fordern, dass jeder sein Herz ganz weit öffne für alle, die diesen optimierten Konzepten nicht entsprechen”.

 

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Comments to: Selektion von Embryonen zeigt Optimierungswahn
  • Mai 24, 2015

    Der Fall Annegret Raunigk macht die Runde. Eine 65 Lehrein, die dieser Tag 4-Linge im 7. Monat gebahr.

    R. hat sich mehrfach in der Ukraine künstlich befruchten lassen, wobei zur Zeit nicht so ganz klar ist, ob R. nun die echte Mutter oder eine Leihmutter ist (letztere im Falle, dass sowohl Einzelle, wie Befruchtung ‘von extern’ kommt).

    Die ca. 9 jährige Tochter, die bei R. zu Hause lebt, wünschte sich doch so sehnlichst noch ein Geschwisterchen. R. hat nun 17 Kinder. Bis auf diese 9 Jährige sind alle anderen ausgezogen und hätten sich teilweise von der Mutter distanziert. R. ist Lehrerin. Wann die überhaupt je gearbeitet hat, darf man hinterfragen.

    Hier​ wird das Sozialverständnis der Solidargemeinschaft nicht nur strapaziert, sondern massiv überzogen und hier zeigen sich die EGO totalitären Eugenikgrenzen dieser PID, die in Deutschland verboten ist.

    StR Gutzwiler sprach letzte Woche diffus von ca. 6000 Fällen in der Schweiz (bei 80000 jährlichen Geburten). Es wären aber vermutlich nur ein paar hundert, gab er dann zu. Und dafür soll die Verfassung geändert werden?

    Von den möglichen Folgekosten bei Krankenkassen hat Herr Gutzwiler tunlichst nichts erwähnt. Und dass hier – sie Fall R. oben – eine neue Art von ‘Verdingkindern’ entstehen wird, sprach StR. Gutzwiler auch nicht an. Ist R. nämlich ca. 80, sind die Vierlinge ca. 15. Ob die Mutter bis dahin überlebt, ist mehr als offen. Wo werden also diese Kinder voraussichtlich landen? In Heimen oder bei Pflegeeltern.

    Jene ‘Samenspender’, von denen bekannt ist, dass sie bis zu 140 ‘Landung’ abgaben (gegen Geld natürlich) werden jetzt in der BRD eingklagt, weil die Kinder dieser PID wissen wollen, wer ihre Väter sind. Denn diese Kinder haben Versorgungs- und Erbschaftsansprüche.

    Wollen wir in der Schweiz diese Kiste der PID Pandorra des Herr Gutzwiler öffnen, mit Folgen, die noch gar nicht durchdacht wurden? Dass Herr Gutzwiler die Pharma vertritt, muss hier nicht weiter hinterfragt werden.
    Dass diese PID in ganz Europa, nur in der Schweiz noch nicht, erlaubt ist, ist eine glatte Lüge!

    Nein zu dieser Mode-PID.

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