Vor zwanzig Jahren wurde der Platzspitz geschlossen. Dieses historische Ereignis wird im Tages Anzeiger in einer Artikelreihe aufgearbeitet. Polizeivorstand Bobby Neukomm, Statthalter Bruno Graf und andere Verantwortungsträger von damals kommen zu Wort und natürlich wird über die kontrollierte Heroinabgabe berichtet. Wir lesen von der alleinerziehenden Mutter, die den staatlich abgegebenen Stoff vor dem Fernseher einnimmt, nachdem sie die Kinder zu Bett gebracht hat. Alles wunderbar? Nun, wir lesen auch den Artikel über das Wohnheim an der Gerechtigkeitsgasse in Zürich. “Wo Junkies alt werden”, heisst der Titel, der den Inhalt zusammenfasst. Eine noch heute drogenabhängige, 50jährige Frau wird porträtiert. “Kübler war überall dabei, wo sich die Drogenszene in den letzten 30 Jahren breitmachte. Im AJZ als sie Anfang 20 war, später in der Wolgroth und in der offenen Drogenszene auf dem Platzspitz und beim Letten. Früh musste sie sich auf dem Strich Geld dazuverdienen, um ihre Sucht zu finanzieren. Noch heute steht sie täglich drei Stunden am Sihlquai und wartet auf Kunden. «Es ist schwierig geworden. Die jungen Osteuropäerinnen sind halt sehr beliebt.»” Ja, der Strassenstrich ist auch nicht mehr, was er mal war. Die Sexboxen werden es schon richten. Hauptsache, die Frau Kübler, deren echter Name der Redaktion bekannt ist, und die schon überall war, wo es Drogen gab, darf sich auch heute noch zu Grunde richten. Wann beginnt die Verantwortung der Öffentlichkeit? Ist das aktive oder passive Sterbehilfe? Die Bewohner, Klienten genannt, sind nicht in der Lage, sich ohne Hilfe zu organisieren. Einmal im Tag werden vom Personal mit aller Vorsicht “Güseltouren” in jedem Zimmer gemacht, damit die Spritzen und andere Utensilien wegkommen. Es muss darauf geachtet werden, dass die Klienten nicht das Haus anzünden, wenn sie den Stoff im Löffel aufwärmen. “Für die Bewohner sei es schwierig, auch nur im Kleinen eine Tagesstruktur aufrechtzuerhalten. Die Betreuer sind somit Tag und Nacht für sie da: «Wir koordinieren Termine wie Arztbesuche, schauen, wie es ihnen geht und dass die Regeln eingehalten werden.» Einzig ihr Geld und ihre Drogen müssen die Bewohner selbst besorgen. Ersteres bei den zuständigen Ämtern, Letzteres bei der Heroinabgabe in der Apotheke oder auf der Strasse. «Damit haben sie eine gewisse Tagesstruktur», meint Spieler [die Leiterin der Institution]. Doch auch hier gibt es Ausnahmen. «Für Notfälle haben wir Methadon und Medikamente im Haus und geben diese auch kontrolliert ab.»” Diese Schilderungen decken das ganze Elend und die Verwahrlosung unserer Gesellschaft auf. Wäre es ein zu grosser Eingriff in die individuelle Freiheit, die Leute gegen ihren Willen von den Drogen wegzuzwingen, statt ihnen zu helfen, sich systematisch zugrunde zu richten?
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