1. Finanzen & Steuern

Heikler Abschied vom Eigenmietwert

Die Eigenmietwertbesteuerung gehört abgeschafft. Die Verfassung verlangt jedoch einen klaren Schnitt. Die Gefahr, dass ein konsequenter Systemwechsel politisch scheitert, ist gross.

Parlament und Bundesrat sind sich einig: Der Eigenmietwert soll fallen. Auch international betrachtet ist die Besteuerung des Eigenmietwerts ein Auslaufmodell. Nicht einmal eine Handvoll EU-Staaten tut dies noch. Dennoch erweist sich das geltende Regime bislang als äusserst reformresistent. Am 9. Januar 2017 hat die Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Ständerats (WAK-S) einen neuen Anlauf zur Abschaffung des Eigenmietwerts genommen. Über diesen Vorschlag wird im Moment debattiert. Anlass genug, das heutige System und die Reformvorlage unter die Lupe zu nehmen.

Gemäss heutigem System wird Wohneigentümern der Eigenmietwert als steuerbares Einkommen aufgerechnet. Das ist rechtlich und ökonomisch gut begründbar: Das «Logieren in den eigenen vier Wänden» stellt Naturaleinkommen dar, das die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit steigert. Dieses Einkommen ist keineswegs fiktiv, auch wenn dies teilweise behauptet wird. Erhält beispielsweise ein Arbeitnehmer vom Arbeitgeber unentgeltlich eine Wohnung oder ein Auto zur Verfügung gestellt, ist die Steuerbarkeit auch unbestritten.

Was selbstgenutzte Güter angeht, unterliegt jedoch nur gerade der Nutzen von Wohneigentum der Besteuerung, nicht aber der des eigenen Autos oder Wohnwagens. Systemgerecht wäre an sich, sämtliche Realnutzungen zu erfassen, womit aber auch der damit verbundene Aufwand wie etwa der jährliche Service zum Abzug zuzulassen wäre. Praktikabel wäre dies nicht.

Geltendes Regime ist nicht perfekt

Nach der in der Schweiz geltenden Ordnung sind die Wohnkosten (Schuldzinsen und Unterhalt) für den Hausbesitzer steuerlich abzugsfähig. Nicht so für den Mieter, obschon er über die Miete indirekt ebenfalls für diese Kosten aufkommt. Der Grundsatz der Gleichbehandlung verlangt nun die Aufrechnung des Eigenmietwerts beim Eigentümer. Alles andere wäre verfassungsrechtlich unhaltbar und wäre auch nicht mit fehlender Praktikabilität zu rechtfertigen, zumal jedermann messbaren Raumaufwand hat.

Ganz so perfekt, wie es sich theoretisch präsentiert, ist das geltende Regime indes nicht: Der Eigenmietwert auf Bundesebene wie auf kantonaler Ebene liegt weit unter dem Marktwert, womit Wohneigentümer am Ende eben doch privilegiert sind. Das macht das heutige System laut Bundesgericht aber noch nicht verfassungswidrig: Die niedrigen Eigenmietwerte lassen sich rechtfertigen – etwa mit Praktikabilitätsüberlegungen und dem Anliegen, die Selbstvorsorge durch Eigentumsbildung fiskalisch zu fördern.

Das geltende System ist nicht nur unter dem Aspekt der Gleichbehandlung nicht perfekt, es bringt weitere Nachteile mit sich: Die Feststellung des hypothetischen Eigenmietwerts ist für die Steuerbehörden veranlagungsökonomisch sehr aufwendig und führt nicht selten zu Rechtsstreitigkeiten. Ob sich der Aufwand für den Fiskus lohnt, lässt sich zudem nicht pauschal sagen; das hängt von der Höhe des Eigenmietwerts und dem Zinsniveau ab.

Anreize zur Verschuldung

Das heutige System schafft weiter Verschuldensanreize. Tatsache ist, dass Schweizer Haushalte im Vergleich zum Ausland überdurchschnittlich hoch verschuldet sind. Solange der Abzug von Schuldzinsen möglich ist, bleiben das Schuldenmachen und das Nicht-Abzahlen steuerlich attraktiv. Die hohe Privatverschuldung wiederum bedeutet eine Gefahr für die hiesige Finanzmarktstabilität.

Immer wieder ins Spiel gebracht wird sodann die Rentnersituation. Gemeint ist damit die Problematik, dass in Einzelfällen der (üblicherweise steigende) Eigenmietwert für den Rentner mit bescheidenem Einkommen, der zudem die Hypothek weitgehend abgezahlt hat, zu einer kaum mehr tragbaren Steuerbelastung führen kann und ihn im äussersten Fall sogar zum Verkauf seines Eigenheims zwingt. Härtefallklauseln, wie einige Kantone sie bereits kennen, können hier immerhin für Abhilfe sorgen.

Das Hauptproblem der Eigenmietwertbesteuerung dürfte aber in der fehlenden Akzeptanz liegen. Hausbesitzer empfinden das Steuersystem als stossend, zumal das aufgerechnete Einkommen sich nicht «geldmässig» im eigenen Portemonnaie niederschlägt. Akzentuiert wird die Problematik noch dadurch, dass die Landpreise konjunkturell bedingt in aller Regel steigen, was sich irgendwann im Eigenmietwert niederschlägt. Für den Hauseigentümer aber bleibt der Nutzen derselbe, er spürt den marktbedingten Wertzuwachs nicht.

Systemwechsel als Ausweg

In der Literatur wird zuweilen behauptet, die Verfassung fordere zwingend die Eigenmietwertbesteuerung. Dem ist – so auch die Ansicht des Bundesgerichts – aber nicht so. Es gibt vielmehr zwei haltbare Ansätze: das geltende System und den Verzicht auf die Besteuerung des Eigenmietwerts, kombiniert mit der Streichung der Wohnkostenabzüge. Aus verfassungsrechtlicher Warte darf der Systemwechsel mithin nicht halbherzig umgesetzt werden“. (Prof. Andrea Opel in Finanz und Wirtschaft vom 11.10.2021)

Personen haben auf diesen Beitrag kommentiert.
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Comments to: Heikler Abschied vom Eigenmietwert
  • Mai 10, 2022

    Die höheren Erträge aus Investitionen in Immobilien ersetzen andere Erträge aus Geldanlagen. Das gilt auch bei selbstbewohntem Eigentum. Deshalb muss ein Teil des Eigenmietwerts zu Recht versteuert werden. Das trifft vor allem Reiche. Offenbar will Herr Schneider für Steuerpflichtige mit mehreren Millionenvillen ein neues Steuerschlupfloch schaffen.

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  • Mai 10, 2022

    NEIN! Sie haben meinen Beitrag offensichtlich nicht verstanden.

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  • Juni 6, 2022

    Eine Initiative der SP schlug 2016 als Kompromiss vor, dass eine ev. Abschaffung des Eigenmietwerts nur mit der gleichzeitigen Aufhebung der Schuldzins-Abzüge einhergehen dürfe. Dieser Kompromiss wurde von den \”Bürgerlichen\” abgelehnt. Gut so.

    Der Eigenmietwert gehört nicht abgeschafft, weil er die Verzinsung des in der Wohnung investierten Eigenkapitals darstellt; die Verzinsung erfolgt hier also in Naturalien (dem Wohnen), die natürlich ein steuerpflichtiges Einkommen sind. Der sehr tiefe Hypothekarzins kann diese Steuerpflicht nicht aufheben.

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