Vor kurzem durfte ich eine Delegation der Nationalratspräsidentin nach Helsinki und Stockholm begleiten. Auf dem Programm standen zahlreiche mit parlamentarischen Kommissionen, Arbeitsgruppen sowie mit den jeweiligen Parlamentspräsidenten; sogar der finnische Premier Minister hat uns empfangen.
Mein persönlicher Höhepunkt war aber die Bemerkung einer Vertreterin einer schwedischen Delegation, als wir auf die direkte Demokratie in der Schweiz zu sprechen gekommen sind. Wir haben erklärt, dass das Schweizer Stimmvolk mehrmals jährlich über Sachvorlagen befindet. Mit sichtlichem Entsetzen meinte die schwedische Kollegin: “Aber so könnte ja das Volk das Land ruinieren!?”
Verdutzt haben wir einander angeschaut, während sie weiter erläuterte, dass bei ihnen – wenn das Volk etwas zu sagen hätte – das Land innert Kürze am Boden wäre, weil nur noch höhere Ausgaben und tiefere Steuern beschlossen würden.
Ich wollte es der schwedischen Kollegin gar nicht zumuten, ihr die Glarner Landsgemeinde zu erklären. Dort, wo die Stimmberechtigten jährlich gefragt werden, wie viel Steuern sie zahlen möchten. Ich kann mich nicht erinnern, dass jemand der Versuchung erlegen wäre, beispielsweise eine Halbierung des Steuerfusses zu beantragen. Und selbst wenn je ein solcher Antrag gestellt würde, so bin ich davon überzeugt, dass er an der Glarner Landsgemeinde nicht standhalten würde.
Warum? – Weil wir genau wissen, dass wir mit unseren wertvollen demokratischen Rechten äusserst sorgfältig umgehen müssen. Wir wollen der Verantwortung gerecht werden, die wir über diesen Weg erhalten. Dieses Bewusstsein – und das unterscheidet uns von den Schweden und vielen anderen Nationen – ist bei uns seit Generationen tief verinnerlicht. Gleichzeitig sind wir gefordert, unsere demokratischen Rechte auch aktiv zu nutzen. – Hier besteht noch Verbesserungspotenzial..!
Die perplexe Reaktion der schwedischen Kollegin hat mir in Erinnerung gerufen, welches Privileg unsere direktdemokratischen Rechte bedeuten. Wir nehmen diese üblicherweise in aller Selbstverständlichkeit zur Kenntnis. Aber wenn einem dies – wie in Stockholm passiert – zwischendurch bewusst gemacht wird, dann stimmt mich das ebenso stolz wie dankbar.
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Kommentare anzeigen Hide commentsSpannende Aussage von der schwedischen Kollegin. Ich denke, sie zeigt wie der Schweizer Bürger über die Jahrzehnte gelernt hat sehr verantwortungsbewusst zu entscheiden. In anderen Ländern fehlt diese Kultur und entsprechend wenig verantwortungsbewusst wird teilweise abgestimmt.
In der Schweiz erleben wir dafür manchmal im Parlament wirres denken. Manchmal denkt man, dass man sich da alles erlauben kann, weil es das Volk dann schon richtig biegen wird. Schaut man sich die Debatte im Nationalrat zum Staatsvertrag mit der USA an, könnte man in der Schweiz schon fast sagen “Aber so könnte ja das Parlament das Land ruinieren!?”
Ja, die schwedische Kollegin hat recht.
Die Bevölkerung in den Kantonen SH, NE,GR, LU, FR,BE, OW,JU,VS,AG,TG,AR,SO,SG,AI,UR stimmt seit Jahren bis Jahrzehnten zu hohen Ausgaben zu und holen das fehlende Geld in Kantonen ZG, SZ,GE ZH,Bl, BS, TI, VD, GL und beim Bund. Und wie die Bevölkerung Sparmassnahmen bekämpft, dafür kann der Kanton ZH als Beispiel dienen. Praktisch alle Sparmassnahmen wurden mit Initiativen rückgängig gemacht, gleichzeitig aber immer die Steuern gesenkt. Dafür haben wir jetzt das Desaster.
Das wir bis anhin, so bis vor ca. 10 Jahren +- eher weise mit den Volksrechten umgegangen sind, muss ich zustimmen. In letzter Zeit häufen sich allerdings Initiativen die gegen Grundrechte und Menschenrechte verstossen. Was kommt da als nächstes?
Ich habe auch den Eindruck, dass immer mehr Initiativen gemacht werden und diese in Einzelfällen weniger gut ausgearbeitet sind als früher.
Ein Grund dafür könnte sein, dass man heute relativ leicht mit Hilfe des Internets 100’000 Unterschriften sammeln kann. Das senkt die Hürde und man nimmt sich weniger Zeit die Initiative sauber auszuarbeiten.
Vielleicht müsste man die Anzahl benötigter Unterschriften erhöhen?
@Hans Meier, die Entwicklung ist tatsächlich zweifelhaft. Dennoch sind die Staatsfinanzen in sog. repräsentativen (oder anderen) Demokratien durchwegs in einem schlechteren Zustand als in der Schweiz. M.M.n. sollten wir deshalb darüber nachdenken wie das System verbessert werden kann anstatt die dir. Demokratie in Frage zu stellen.
@Schuerch Wir sind sicher kein Problemfall und die Verschuldung ist “tief”, liegt aber in der gleichen Grössenordnung wie Schweden, Dänemark und Finnland. Luxemburg hat eine wesentlich tiefere Verschuldung und Norwegen keine. So viel besser fahren wir mit unserer direkten Demokratie nicht. Leider bin ich pessimistisch und glaube nicht an eine Verbesserung. Jede Partei erkauft sich ihre Stimmen mit Subventionen. Jemand der sparen will, der wird nicht gewählt.
Lieber das Risko, dass das Volk das Land runiert, als dass die Minister das Land runineren.
Zum Glück haben Sie die Landsgemeinde nicht erwähnt. Ihre schwedische Kollegin hätte das nie verstanden. Denn international geht das nicht als demokratisch durch, da das Stimmgeheimnis nicht gewährleistet ist. In meiner Wohngemeinde wird wie in allen kleinen Gemeinden an der Gemeindeversammlung abgestimmt. Wer sich da bei wichtigen Geschäften gegen die Dorfmeinung stellt, der kann schnell die soziale Ausgrenzung spüren. Bis jetzt haben im Ausland alle darüber den Kopf geschüttelt und die Schweizer als rückständig bezeichnet. Ich habe noch niemand getroffen, der dafür Verständnis aufbringt.
Im Grunde genommen tanzt die Regierung nach der Meinung des Volkes. Direkt oder indirekt. Entweder wird abgestimmt oder Vertreter werden in die Regierung gewählt. So wird meisstens das durchgesetzt, was das Volk will. So ist es auch klar, dass ein Volk sich zu Grunde richten kann, genau so wie ein Mensch das tun kann, indem er seinen Körper und Geist schlecht bekommt.
Ich persönlich denke, dass es vor allem noch in den ländlicheren Regionen eine grössere Verantwortungsbereitschaft gibt, als diese in den Städten vorhanden ist. Ich denke auch, dass die Menschen auf dem Land konservativer sind, als diejenigen aus der Stadt und doch untereinander sozialer gesinnt sind.
Die Selbstverantwortung auf dem Land ist gleich null! Keine andere Bevölkerungsgruppe lebt dermassen vom Subventionstopf. Ohne Transferzahlungen wäre die ländliche Schweiz pleite. Einmal von den selbst erwirtschafteten Mitteln zu leben, das wäre Verantwortung übernehmen.
Ich sehe es geht wieder mal nur ums Geld!
Ein Landwirt ist ein Unternehmer, der sicher eine grosse Verantwortung über seinen Betrieb hat.
Wenn es euch nicht passt, können wir gerne darüber reden, keine Schweizer Landwirtschaftlichen Produkte mehr zu haben. Die kommen nicht einfach so in die Regale der Kaufhäuser! Aber diesen Luxus von Schweizer Milch, Schweizer Käse, Schweizer Schokolade, Schweizer Fleisch, Schweizer Getreide, usw. wollen wir natürlich doch haben. Und die Kühe auf der Weide, die das traditionelle Landschaftsbild prägen, die brauchen wir auch nicht.
Oder möchten wir doch Deutsche Milch trinken, Käse aus Italienischer Milch und Schokolade aus Polnischer Milch essen, und das Fleisch aus England beziehen?
Machen Sie das für sich aus.
Allerdings ist es nunmal schon so, dass bei Ernteausfällen nicht der Landwirt derjenige ist, der hungert.
.. Ruiniert das Volk sein Land?… Absolut! Keine Frage!
Was Martin Landolt sagt zeigt exemplarisch das Demokratiedefizit in weiten Teilen der EU und damit auch weshalb die Schweiz der EU nicht beitreten sollte. Dasselbe hätte vermutlich auch ein deutscher, griechischer, französischer oder italienischer Abgeordneter sagen können. Es wäre schön, wenn EU-Turbos wie Frau Chr. Markwalder, NR FdP, oder R. Weck (kommender SF DRS-GD) diese einfachen Tatsachen endlich begreifen könnten und in ihr Weltbild einbauen würden. Oder könnte es sein, dass diesen Leuten an unserer Demokratie gar nichts gelegen ist ?
Apropos Demokratiedefizit: Warum darf das freie, viel gepriesene “Volk mit aller Macht” in der Schweiz nicht einmal wissen, welche Geschäfte zum Beispiel damals in Südafrika durch einige Schweizer getätigt wurden? Das geht das Volk nichts an, wurde also schnell durch unsere Führer als geheim erklärt. Und kein Schweizer merkts. Das ist Demokratiedefizit in der Schweiz! Das Volk soll das nicht wissen! Das Volk hat nichts dazu zu sagen, basta! Schlimmer als in der EU, Herr LandolT! Und Sie decken das auch als Parlamentarier, oder?
Wo bleibt das Thema Jugend und Politik?
Die Politikerinnen und Politiker setzen sich vehement für die Musik-, Sport-, Kultur- und Gesundheitsförderung unserer Jugend ein. Von der Förderung der staatspolitischen Bildung, vom Wecken des Interesses an der Politik hört man hingegen aus Politkreisen wenig. Muss man erst alt werden, um in der Politik, wo die wesentlichen Weichenstellungen für unsere Gesellschaft getroffen werden, kompetent mitreden zu können? Hat man Angst vor einer ungestümen, politisch aktiven Jugend?
Hallo Herr Schneider,
ich glaube die Jugend hat angst vor Langeweile zu sterben. Da braucht man wahrscheinlich ein gewisses Alter dazu um dieses Elend mitmachen zu können.
Genau! Die Alten beherrschen die Politszene. Warum? Weil die Jungen sich grossmehrheitlich nicht um Politik kümmern. Ihre Stimmbeteiligung ist weit tiefer als der Durchschnitt. Wahrscheinlich ist es ein Wohlstandsproblem. Die jungen Nordafrikaner könnten da ein Vorbild sein. Sie kämpfen mit ihrem Leben um ein bisschen Mitbestimmung. Wir in der Schweiz haben alle demokratischen Rechte.
Sehr geehrter Herr Schneider
Ich denke, in 2-3 Jahren werden wir sehen, wofür diese Leute ihr Leben riskiert haben. Ich befürchte nur, das wird nicht nur Ihnen nicht gefallen!
In Ägybten zeichnet es sich schon langsam ab…