Wenn mein Grossvater mit schmutzigen Fingernägeln in die Schule kam, kriegte er „die Tatze“, bzw. er wurde körperlich bestraft durch einen Schlag auf die Hände.
Wer solchen Erzählungen zuhört, muss sich eigentlich wundern, denn landauf, landab wird erzählt, der Lehrer habe sich früher noch auf die Kernaufgabe, den Unterricht, konzentrieren können. Heute aber, so wird gesagt, müsse er oder sie gesellschaftliche Defizite korrigieren, und dies sei eindeutig nicht vertretbar.
Nun, die unsauberen Fingernägel gehören weder damals noch heute zum Kernthema einer Lehrperson. Und der Lehrer hat eben schon damals Erziehungsaufgaben wahrgenommen, nur wird dies heute oftmals vergessen.
Der grosse Unterschied zwischen damals und heute ist der, dass der Lehrer damals uneingeschränkte AutonomieAutonomie bedeutet Selbstbestimmung oder Selbstverwaltung. D... im Umgang mit den Schülerinnen und Schülern hatte. Wenn mein Grossvater die Tatze kriegte, so ging dies seine Eltern nichts an. Die Eltern hatten sich weder zu beschweren noch schlecht über den Lehrer zu sprechen. Vor dem Schulhaus endete die Zuständigkeit der Eltern.
Heute sind die Eltern Teil des Schulsystems. Sie reden und wirken mit. Das ist richtig. Doch daraus ergeben sich auch Nachteile. Wenn ein Junge eine Strafaufgabe schreiben muss, kommt es je länger je öfter vor, dass die Eltern sich an den Computer setzen und der Lehrerin per Mail ihre Empörung über die ungerechtfertigte Strafaufgabe Kund tun. Diese Entwicklung, das sage ich offen, gefällt mir nicht.
Elternmitwirkung ist wichtig. Ich unterstütze sie. Dies bedeutet aber nicht, dass Eltern auch Einfluss auf den Unterricht nehmen sollen. Deshalb wünsche ich mir Lehrerinnen und Lehrer, die sich wieder getrauen, eine gewisse Distanz zu den Eltern aufzubauen, wenn es um Fragen des Unterrichts geht.
Auf der anderen Seite wünsche ich mir auch, dass Lehrpersonen vermehrt entlastet werden: Dazu muss ihnen in erster Linie administrative Arbeit abgenommen werden. Sie müssen weniger Pflichtstunden zu leisten haben und sie müssen – eben auch – arbeiten können, ohne sich dauernd gegenüber den Eltern zu rechtfertigen. Es liegt auch an den Lehrpersonen selber, ob und wie sie sich in Sachen Unterricht von ihrer Umgebung abgrenzen. Meine Unterstützung haben sie.
Personen haben auf diesen Beitrag kommentiert.
Kommentare anzeigen Hide commentsSehr geehrte Frau Schmid-Federer
Sie erwähnen im letzten Abschnitt, dass den Lehrpersonen “administrative Arbeit” abgenommen werden muss. Nun, bis vor zwölf Jahren habe ich selbst als Primarlehrer unterrichtet und habe, auch deshalb, mit diesem Sammelbegriff so meine Mühe. ich möchte sehr gerne wissen, was das denn für administrative Arbeiten sind, die man den Lehrpersonen abnehmen kann. Denn um administrative Arbeiten jemand anderem in die Hände zu geben, sollten sie nichts mit dem pädagogischen Auftrag der Lehrperson selbst zu tun haben. Denn Briefe an die Eltern, das Verfassen von Lernberichten, Ausfüllen von Zeugnissen, und weiteres mehr kann doch wohl nicht die Arbeit einer Person sein, die nicht selbst die Lehrperson ist. Oder etwa doch?
Ich hoffe Sie verstehen meine Frage und bin gespannt auf eine mögliche Antwort.
Freundliche Grüsse
P. S.
Eine administrative Arbeit ist mir doch noch eingefallen: der Stundenplan, der vor die Schulzimmertür gehängt wird.
Die Lehrerschaft ist offenbar mit drei Bereichen administrativer Art konfrontiert:
1. Wenn nicht mehr nur eine Person für eine Klasse zuständig ist (Bsp. Teilzeitstellen oder IF), dann ergeben sich daraus Absprachen und Teamsitzugnen, was immer schriftliche Unterlagen provoziert).
2. Neu ist, dass LehrerInnen nicht mehr damit rechnen können, dass immer jemand zuhause ist und beim Wegfallen einer Stunde präsent ist. Der Lehrer meines Sohnes hat hierzu gesagt, dass er viel aufwändiger als früher Kontakthefte mit den Eltern führen müsse.
3. Wir alle wissen, dass die Schule in letzter Zeit verschiedene Reformen und auch verschiedene “Versuche” durchgeführt hat. Die LehrerInnen mussten darüber Rechenschaft ablegen, Berichte schreiben, etc.
Im dritten Bereich sehe ich die beste Möglichkeit, um die Lehererschaft zu entlasten.
Sehr geehrte Frau Schmid-Federer
Ich möchte Ihnen ganz herzlich für Ihre prompte Antwort danken. Gleichzeitig nehme ich die Gelegenheit wahr und äussere mich zu den von Ihnen genannten drei Punkten.
Zu Punkt 1:
Mir ist nicht ganz klar, wie man die Lehrpersonen bei Absprachen und Teamsitzungen vor Ort unterstützen kann, denn diese Termine werden sie wohl selber wahrnehmen müssen. Allerdings sehe ich die Möglichkeit, dass man die Lehrpersonen in der Gestaltung und Organisation von Teamsitzungen dazu anleiten kann, dass diese einerseits noch zielgerichteter und damit noch (zeit-)effizienter ablaufen.
Zu Punkt 2:
Hier sprechen Sie zwei verschiedene Dinge an: Einerseits die Betreuung der Schüler/innen beim Ausfall von Lektionen (v. a. derjenigen, deren Eltern beide arbeiten) welche beispielsweise schulhausintern gelöst werden kann und andererseits die direkten Kontakte der Lehrpersonen zu den Eltern via Kontaktheft, Elternbrief, Telefon, SMS und dergleichen mehr. Hier sehe ich als Ursache das vermehrte Bemühen der Eltern um die Schulkarriere ihres Kindes und bin mir nicht sicher ob dieser administrative Aufwand von jemand anderem als der Lehrperson selbst gelöst werden kann. Als ehemaligem Lehrer schweben mir noch Gedanken wie “ganzheitliches Lernen” durch den Kopf und ich wüsste nicht wie ich einen Teil dieser Ganzheitlichkeit delegieren könnte, respektive überhaupt delegieren möchte. Möglicherweise habe ich mich als Lehrer bezüglich der Ganzheitlichkeit zu wichtig genommen und diese auch auf mich übertragen. (Dies ist, nach meiner Meinung, eines der Grundprobleme pädagogisch tätiger Menschen.)
Zu Punkt 3:
Wenn ein Kanton sich entschliesst im Bereich Unterricht (als Beispiel) ein Projekt zu starten, dann tut er das als erstes mit sogenannten Pilotklassen oder Pilotgemeinden. Das heisst es werden Lehrpersonen gesucht, die dem Projekt positiv gegenüberstehen und dies auch wollen. Diese Projekt werden zu verschiedenen Zeiträumen evaluiert, damit man sofort auf Ungereimtheiten wie zu hohe Arbeitsbelastung, zu intensive Verschriftung, usw. reagieren kann. Aufgrund dieser Evaluationen werden die Projekte, soweit dies möglich ist, angepasst.
Das Problem ist, dass man mit Lehrpersonen startet, die das Projekt wollen und auch bereit sind Mehrarbeit dafür zu leisten. Die Gretchenfrage, die sich stellt, wenn man das Projekt später auf viele andere Lehrpersonen ausweiten will, lautet nun: Wie viel Mehrarbeit darf man den Lehrpersonen zumuten? Denn es ist anzunehmen, dass nicht überall gleich positiv über das Projekt gedacht wird, wie bei den Pilotlehrpersonen. Die Erfahrung zeigt denn auch, dass man als Kanton davon ausgehen sollte, dass jedes Bisschen mehr bereits zuviel ist. Also verfolgt man als Kanton eine Strategie, welche die Lehrpersonen vom Vorteil des Projekts überzeugen soll. Dies geschieht beispielsweise mittels Evaluationen, die einerseits im verträglichen Rahmen durchgeführt werden sollen und andererseits Daten liefern, damit der Auftraggeber (Kanton) weiss, wo er und die Lehrpersonen stehen. Und hier setzen Sie, Frau Schmid-Federer, mit Ihrem dritten Punkt an, die Lehrerschaft zu entlasten. Nun, ich weiss, dass die Kantone diesen Punkt, soweit mir bekannt ist, begriffen haben und vielenorts einer vor ca. sieben oder acht Jahren aufkommenden Evaluationitis den Riegel schoben. Vielleicht kommt man hier weiter, wenn man die weniger werdenden Evaluationen ihrerseits einer Evaluation unterzöge?
Ich danke Ihnen herzlich für den Gedankenaustausch und wünsche Ihnen viel Erfolg in Ihrer täglichen Arbeit.
Freundliche Grüsse
Sehr geehrter Herr Steiner
Sie haben vor zwölf Jahren Ihren Primarlehrerdienst quittiert. Genau zu dieser Zeit habe ich diesen wunderbaren Beruf ergriffen. Im Kanton Zürich hat die administrative Arbeit explosionsmässig zugenommen: Gestern z.b. musste ich mithelfen ein Amoklauf-Notfallkonzept zu erstellen. Solche Papiere gibt es nun auch für Badeunfall, Sexuellen Übergriff, Zeckenbefall, Zusammenarbeit mit KJPD, Vormundschaftsbehörde, für Brandevakuierung etc. Jedes Jahr müssen die Eltern Notfallnummern angeben, Foto- & Filmaufnahmen ihrer Kinder erlauben, Tagesbetreuung, Hausaufgabehilfe, Arztuntersuch bestätigen, Zahnarztunterstützung abwählen, Bajram-Dispensation ohne Jokertagbezug bestätigen, Standortzielvereinbarungen gegenlesen… Und ich fasse dies alles schriftlich zusammen und führe Dossiers und spiele Verteiler. Nicht zu vergessen, dass Klassenlisten auch für kurzfristige Ausfälle am Vorabend mit Wahlmöglichkeit der Betreuung unter Angabe der Notfallnummern der Grossmutter und kurz-kurzfristige Ausfalllisten mit Einteilung der Klasse in vier Untergruppen bereitgestellt werden müssen. Am Schuljahresanfang musste ich so den Eltern ca. 20 A4-Papiere und der Schulleitung ca. 30 A4-Papiere abgeben. Diese Papiere haben wohlgemerkt nur organisatorischen Charakter. Für die Pädagogik stehen MAB- & MAG-Dossier zur Verfügung…
Einen lieben Gruss aus dem Kt. Zürich
M. Fischer
Als ich noch in die Schule ging, und eine Sgtrafaufgabe nach hause brachte, hiess es zuhause : “Du wirst schon wissen, warum”. Das hiess einfach die Arbeit zu machen. So sollte es heute noch sein. Eltern sollen sich nicht in die Pädagogik des Lehrers einmischen. Auch nicht in den erzieherischen Prozess, der in einer Schulstube stattfindet. Die Kinder müssen mit dem “Stil” des Lehrers umgehen können. Das ist eine der Sozialisierungsvorgägnen, um die kein Kind herumkommt. Es geht darum, dem Kind zu vermitteln, wie die Schule funktioniert. Welche Pflichten der Schüler dabei hat: (Jedes Schweizerkind hat 9 Jahre Schule zu gut. Es kann auch noch weitergehende Schulen besuchen (Gymnasium, Berufsschule, höhere Fachschulen). Es soll ausgeruht in die Schule kommen, die Aufgaben erledigt haben, zuhören, Fragen stellen, Klassenämter übernehmen).
Vergleich: Sollen Eltern sich in den Unterricht der Musikschule, des Fussballvereins, des Skiclubs oder des Jugendchors ständig einmischen? Ich galube nicht.