Mit der 1891 er­folg­ten Wahl des Ent­le­bu­cher Na­tio­nal­rats Josef Zemp in den Bun­des­rat, wurde zum ers­ten Mal überhaupt ein nicht Ra­di­kal-­Li­be­ra­l​er in die Lan­des­re­gie­rung gewählt. Der ka­tho­lisch-­kon­ser​­va­tive Zemp gehörte einer Par­tei an, die anfänglich fun­da­men­tal gegen das Pro­jekt der Ei­sen­bahn­ver­staat​­li­chung kämpfte. Und just die­ser Zemp er­hielt als Bun­des­rat das Post- und Ei­sen­bahn­de­par­te​­ment zu­ge­ord­net, also das­je­nige De­par­te­ment, in wel­chem die Ei­sen­bahn­ver­staat​­li­chung Kern­dos­sier war. Die Ra­di­kal-­Li­be­ra­l​en überliessen dem ehe­ma­li­gen Op­po­si­tio­nel­len das hei­kle Dos­sier, wohl in der An­nah­me, er werde sich damit ge­nauso „die Fin­ger verbrennen“, wie sein Vorgänger Emil Welti. Doch der Prag­ma­ti­ker Zemp ar­bei­tete un­be­irrt an sei­nem Kern­dos­sier. In der Ar­beit be­trach­tete Zemp sich sel­ber nicht als Ver­tre­ter der Kon­ser­va­ti­ven, son­dern als Lan­des­ma­gis­trat. Seine Loyalität zur Re­gie­rungs­ar­beit ging so weit, dass er be­wusst nicht an den Frak­ti­ons­sit­zun­g​en sei­ner Par­tei teil­nahm. Un­be­irrt führte er das Pro­jekt der Bun­des­bahn im Sinne der Re­gie­rung wei­ter, ent­ge­gen der Op­po­si­tion der ei­ge­nen Par­tei und ent­ge­gen dem anfänglichen Wil­len der Bevölkerung. Auf der Höhe sei­nes Ruhms konnte Zemp, mit hoher Zu­stim­mung von Volk und der ei­ge­ner Par­tei, das Pro­jekt zu Ende brin­gen. Die Schwei­ze­ri­sche Bun­des­bahn war ge­bo­ren.

Von den aktuellen Bundesrätinnen und Bundesräten zu erwarten, sie würden nach ihrer Wahl in die Regierung auf Distanz zur eigenen Partei gehen, scheint vermessen. Von ihnen zu verlangen, einzig der Regierung gegenüber loyal zu sein, ebenfalls.

Bundesräte heute gelten nicht als von der eigenen Partei abgehoben, sondern als Aushängeschild einer Partei per se. Aus parteipolitischer Sicht ist ein guter Bundesrat ein gutes Aushängeschild. Staatspolitisch betrachtet darf das heutige Modell aber hinterfragt werden.
Die Medienwelt drängt Bundesrätinnen und Bundesräten zu regelmässigen Auftritten, wenn immer möglich in Opposition zu ihren Kolleginnen und Kollegen. Wer aber die Meinung der Regierungskollegen hintergeht, muss zumindest auf den Rückhalt der eigenen Partei zählen können. Dieser Trend der Netzwerkverschiebung weg vom Bundesrat, hin zur eigenen Partei, schadet schlussendlich allen. Die Regierung selber begibt sich in eine Abhängigkeit gegenüber dem Parlament. Das Parlament wiederum, das Aufsichtsorgan des Bundesrates, ist derart eng mit der Regierung vernetzt, dass eine objektive Kontrolle gar nicht mehr möglich ist. Wollte man diesen Trend stoppen, gäbe es mehrere Möglichkeiten. Eine davon wäre, dass der Bundesrat in Corpore die Medienshow stoppt. Eine weitere Möglichkeit wäre, dass eine gewählte Bundesrätin oder ein gewählter Bundesrat aus der Partei austritt. Diese Idee ist nicht mehrheitsfähig, aber sie würde dem Staat das zurückgeben, was ein Zemp noch gelebt hat. Eine unbeirrbare, selbstständige und vor allem strategisch unabhängige Regierung.  

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Comments to: Unabhängiger Bundesrat?
  • September 18, 2010

    Ich wäre für direkte Bundesratswahlen nach dem Proporzsystem. Die Parteien sollten bei den Gesamterneuerungswahl​en auch ihre Bundesratskandidaten aufstellen. Entsprechend der Wählerstärke hätten ihre Kandidaten dann einen Anspruch auf einen Bundesratssitz. Wobei ich eine 13% Klausel einführen würde, wonach Parteien mit Wähleranteil unter 13% keinen Anspruch auf einen Bundesratssitz hätten. So wäre gewährleistet, dass nur die grösseren Parteien im BR vertreten sind. Diese Parteien müssten sich dann bei den Von-Wattenwyl-Gespräc​hen auf einen gemeinsamen Nenner für das Regierungsprogramm der nächsten 4 Jahre einigen. So wäre das Konkordanzsystem auf arithmetische Art wiederbelebt.

    Vort​eil bei Wahlen nach dem Proporzsystem:
    Parte​ien können ihre Kandidaten selber aufstellen und bekommen diese auch in den BR sofern sie genügend Wählerstimmen erhalten.

    Wenn ein BR aus gesundheitlichen Gründen zurücktritt, rutscht einfach der nächste Kandidat auf der Liste nach. Das ist unbürokratisch und einfach. Es gibt zudem kein Parteiengerangel um den freiwerdenden Sitz. Das gibt Stabilität.

    Die Konkordanz wird gewahrt (was bei direkten BR-Wahlen nach dem Majorzsystem wie das die SVP will nicht der Fall wäre) und das sorgt ebenfalls für Stabilität.

    Siehe auch meinen Beitrag zu diesem Thema:
    http://www.da​ilytalk.ch/direkte-bu​ndesratswahlen-propor​zsystem-ist-besser/

    http://www.dailytal​k.ch/direkte-bundesra​tswahlen/

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  • September 19, 2010

    In der Politik entlarven sich Tendenzen, zugunsten der Gegenwart, die Zukunft zu verspielen. Die Politik erkauft sich Zeit, aber die eigentlichen Probleme werden weder entschlossen angepackt noch gelöst.

    Um wieder gewählt zu werden, versprechen uns die Politiker den Himmel auf Erden. Mit Blick auf die alternde Gesellschaft müssten sie uns aber endlich einmal reinen Wein einschenken.

    Mit einer Verdoppelung der Sozialausgabenquote von knapp 15 % auf 30 % des Bruttoinlandprodukts (BIP) in den letzten 30 Jahren wird auch in unserem Land der Empfänger staatlicher Leistungen zunehmend zum Normalfall, der mündige Bürger immer mehr zur Ausnahme.

    Viele Menschen sind auf der Suche. Viele bewegt die Frage, wohin die Reise unseres Landes geht. Unrast und Hektik aber kennzeichnen die politische Lage. Wohin treibt es die Schweiz? Kaum eine Phase, so scheint mir, war so sehr von Orientierungslosigkei​t geprägt wie die heutige. Wie schaut sie aus, die Zukunft unseres Landes? Was ist zu tun?

    Die Schweiz entpuppt sich aber auch immer mehr als Fluchtweg, irritiert und steht weiter im Visier der nach Geld darbenden EU-Regierungen. Die wirtschaftlichen und politischen Systeme entblössen sich als immer krisenanfälliger. Müssen wir vielleicht davon ausgehen, dass sich die westlichen Demokratien de facto als nicht mehr reformierbar zeigen – unabhängig davon, wer gerade die Machtstränge manipuliert? Letztlich regiert die Verwaltung, die im Hintergrund die entscheidenden Strippen zieht.

    Die Schweiz im Jahr 2010: Sind wir wirklich gerüstet, um in den Stürmen der Zeit bestehen zu können? Die Frage drängt – und die Antwort duldet keinen Aufschub mehr.

    Wir brauchen zwingend eine mutige, entschlossene Erneuerungspolitik. Diese Politik sollte bestimmte, langfristige Ziele ins Auge fassen.

    Und wir brauchen dringend charaktervolle, sensible, lebenserfahrene und unabhängige Köpfe, die aus innerer Überzeugung heraus handeln und mit sicherem Instinkt die drängenden Zeitfragen erkennen und auch beantworten können.

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    • Oktober 19, 2010

      Da kann ich nur zustimmen. Die Einstellung der Parteien an sich ist grundsätzlich falsch. Das merkt man schon an Wörtern wie “Wahlkampf”. Wir müssen endlich weg von den Machtparteien, hin zu Interessenparteien, weg von einem sich-bekämpfen zu einem Prozess, in dem alle Interessenparteien eine gemeinsame, akzeptable Lösung, einen Kompromiss, finden.
      Und das ironischerweise hier in der Schweiz – dem Land, das für seine Politikkompromisse berühmt ist…

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  • September 20, 2010

    Ich stimme mit Ihnen überein. Nur glaube ich, dass die Idee des Parteilosen Bundesrates vor dem Volk doch eine Mehrheit finden würde. Jedoch würden sich sämtliche Parteien dieser Initiative entgegenstellen.

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